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Die neue Lässigkeit im Umgang mit der Vergangenheit

Sabine Peschel14. April 2015

Sie lachen zusammen, konsumieren dieselben Dinge und feiern Partys. Prägt eine neue Lässigkeit das Verhältnis zwischen jungen Deutschen und Israelis? Und wo wirft die Vergangenheit noch ihre Schatten?

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EINSCHRÄNKUNG Deutsch-israelisches Symposium in Berlin
Junge Israelis und junge Deutsche unterwegs in Berlin, gemeinsam vergnügtBild: Dirk Bleicker

Wenn Moritz Rinke von der Fußball-Nationalmannschaft spricht, dann dauert es eine Weile, ehe deutlich wird, dass er damit nicht Jogi Löws erfolgreiches Team meint. Er meint die "Autonama", die seit 2005 bestehende, inzwischen von der Kulturstiftung des DFB geförderte "Autorennationalmannschaft" der deutschen Schriftsteller, in der er selber reichlich Tore schießt. Auch Israel hat seine "Autonama", und so kam es im Mai 2008 in Berlin zu einer Begegnung der beiden Mannschaften, im Dezember des gleichen Jahres zum Rückspiel in Tel Aviv. Fußball umkodiert zum Kennenlernen mit Folgen: Freundschaften, Partys, Gespräche, ein Buchprojekt und gemeinsame Lesereisen.

Vergangenheit, Zukunft - geht beides auch parallel?

Der Sammelband "Wir vergessen nicht, wir gehen tanzen" vereinigt die Erzählungen von 19 Autorinnen und Autoren der Generation der 20- bis 40-Jährigen aus Deutschland und Israel, die in ihren Geschichten jeweils über das andere Land schreiben. Die Idee dazu hatten der Autor und Journalist Norbert Kron und sein ebenfalls fußballbegeisterter Kollege Amichai Shalev. Gemeinsam sind sie Herausgeber des im Fischer-Verlag und in einer Sonderedition als Publikation der Bundeszentrale für politische Bildung erschienenen Bandes. Das Buch wurde im März auf der Leipziger Buchmesse prominent vorgestellt. Die Spannweite der Fragen, auf die sein Titel anspielt, ist damit noch längst nicht ausgelotet.

EINSCHRÄNKUNG Deutsch-israelisches Symposium in Berlin - Norbert Kron
Norbert Kron im Gespräch KollegenBild: Dirk Bleicker

Wie viel Normalität ist möglich zwischen Deutschland und Israel? Ist das Verhältnis der beiden Länder 50 Jahre nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen noch immer von der Erinnerung an den Holocaust, von der Vergangenheit geprägt? Oder hat sich die sogenannte dritte Generation davon befreit, indem sie an einem internationalen Horizont der globalisierten Pop- oder Massenkultur die Zukunft erblickt? Bei einem Symposium der Bundeszentrale für politische Bildung in Berlin (12. und 13. April) fühlten sich deutsche und israelische Schriftsteller gegenseitig den Puls.

"Wir teilen dieselben Werte"

"Wir sind in einer sich rasant verändernden Welt aufgewachsen", erklärt Herausgeber Amichai Shalev, "in einer globalisierten Konsumenten-Gesellschaft, im Kapitalismus. Wir hören dieselbe Musik, lesen dieselben Bücher, kaufen dieselben sinnlosen Sachen, und die meisten von uns definieren sich nicht als jüdisch. Manchmal betrachten wir uns nicht einmal als Israelis, wir wollen uns als Weltbürger begreifen. Deshalb sieht man auch so viele von uns in Berlin; in dieser internationalen Stadt haben wir in gewisser Weise das Gefühl, dazu zu gehören", sagt Shalev. Die Israelis und die Berliner teilten dieselben Werte, vermutet er. "Und für mich persönlich sind solche Werte das wichtigste. Nationalität, Religion, Rasse, das sind in meinen Augen keine sehr wichtigen Eigenschaften. Sie begegnen einem, wenn man zurückschaut, aber wenn man in die Zukunft blickt, dann braucht man eigene Werte, mehr als alles andere: Wie man der Realität grundsätzlich gegenüber tritt und Gut und Schlecht unterscheidet – vielleicht meine ich im Grunde eine liberale Weltanschauung."

"Eine geradezu wahnwitzige Liebe"

Sarah Stricker fühlt sich in Tel Aviv, wo sie seit 2009 als Schriftstellerin und Journalistin tätig ist, mehr zuhause als in Berlin. In ihrer Wahlheimat verfolgt sie die heftige Diskussion der Frage, weshalb so viele junge Israelis - an die 30.000 sollen es inzwischen sein – so gern in der deutschen Hauptstadt leben. "Die Israelis machen sich etwas vor, wenn sie argumentieren, das liege vor allem daran, dass es billiger sei. Die Beziehung zwischen Israel und Deutschland ist sehr speziell. Für uns als Deutsche erscheint sie problematisch, da wir immer Angst haben, dass uns die Juden noch hassen. Aber genau so wie sich die Deutschen nicht immer nur als Täter, als Angehörige des schrecklichsten Volkes der Welt fühlen wollen, möchten sich die Israelis nicht immer nur als Opfer fühlen müssen." Manchmal, analysiert die Autorin, könne es einfacher sein, einen Ort, statt ihn zu hassen, mit Liebe zuzuschütten. "Die Liebe, die Berlin und die einem als Deutschen überhaupt in Tel Aviv entgegen gebracht wird, ist geradezu wahnwitzig. Aber ich glaube, das ist oft nur eine Gegenreaktion – es ist einfacher, damit zu leben als mit dem Gegenteil."

EINSCHRÄNKUNG Buchcover Wir vergessen nicht, wir gehen tanzen
"Wir vergessen nicht, wir gehen tanzen"Bild: S. Fischer Verlag
EINSCHRÄNKUNG Deutsch-israelisches Symposium in Berlin - Sarah Stricker
Sarah Stricker lebt seit sechs Jahren in Tel AvivBild: Dirk Bleicker

Ein Verhältnis mit Humor

Das Verhältnis zwischen Deutschen und Israelis hat sich in den letzten zehn Jahren stark verändert, das ist Konsens unter allen, die an dem Erzählungsband mitgewirkt haben. Die Geister der Vergangenheit seien zurückgedrängt, aber nicht gebannt. Sie können sich als antisemitische Gespenster am Rande der Auseinandersetzungen um den Nahostkonflikt erneut zeigen. Aber es gebe einen Weg, sie fernzuhalten: "Anders als die Schriftsteller der 1980er und 1990er-Jahre versuchen wir Jüngeren, die großen Themen zu meiden", sagt Amichai Shalev. Und wenn das nicht gelingt, ergänzt die Tel Aviver Autorin Anat Einhar, "verscheuchen wir aufziehendes Übel mit Humor". Und das können die hebräischen Schriftsteller zumindest in der Diskussion noch immer unbefangener als ihre deutschen Kollegen.

"Wir vergessen nicht, wir gehen tanzen. Israelische und deutsche Autoren schreiben über das andere Land", Anthologie, herausgegeben von Norbert Kron und Amichai Shalev, aus dem Hebräischen von Barbara Linner. Hardcover S. Fischer Verlag, € 18,99, Taschenbuch Sonderedition der Bundeszentrale für politische Bildung, € 4,50