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Deutsche Wirtschaft trotzt der Krise

25. November 2022

Trotz Rekordinflation und Lieferengpässen ist die deutsche Wirtschaft im Sommer stärker gewachsen als zunächst angenommen. Das Bruttoinlandsprodukt stieg von Juli bis September um 0,4 Prozent im Vergleich zum Vorquartal.

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Deutschland  | Thyssenkrupp - Hochofen
Bild: Rolf Vennenbernd/dpa/picture alliance

Die Wirtschaftskraft fiel im Sommerquartal besser aus als von der Bundesregierung in ihrer Herbstprojektion erwartet, wie ein Sprecher des Bundeswirtschaftsministeriums erklärte. Die Statistiken zeigten die starke Widerstandskraft der deutschen Wirtschaft vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine und der Energiekrise. "Viele Lieferverträge für russisches Öl, Gas und Kohle konnten umgestellt werden."

Entscheidend für das Wachstum war der Binnenkonsum. Die Verbraucher nutzten trotz Inflation und sich ausweitender Energiekrise auch im dritten Quartal die Aufhebung fast aller Corona-Beschränkungen, um zum Beispiel mehr zu reisen und auszugehen, erläuterten die Statistiker. Die privaten Konsumausgaben waren insgesamt ein Prozent höher als im zweiten Quartal. Die Konsumausgaben des Staates dagegen blieben auf dem Niveau des Vorquartals.

Erste erfreute Reaktionen

Sehr überrascht und ausgesprochen zeigte sich der Chefökonom der VP Bank, Thomas Gitzel: "Wow, jetzt steht sogar ein BIP-Zuwachs um 0,4 Prozent zu Buche! Die Details zum deutschen BIP überraschen auf der ganzen Linie. Die privaten Konsumausgaben legen um satte 1,0 Prozent gegenüber dem Vorquartal zu. Die Corona-Nachholeffekte nach dem Wegfall nahezu aller Beschränkungen bescherten dem Dienstleistungssektor satte Umsatzzuwächse."

Jörg Zeuner von Union Investment weist auf die Maßnahmen der Bundesregierung hin und bescheinigt ihnen eine heilsame Wirkung: "Die Stimmung der Verbraucher in Deutschland stabilisiert sich. Das Risiko von Energieengpässen und den damit zusammenhängenden Rationierungen ist zurückgegangen. Auch die angekündigten staatlichen Entlastungspakete dürften eine positive Wirkung gehabt haben."

Statistisches Bundesamt gibt Inflationsrate für März 2017 bekannt
Überraschend: Der Binnenkosum trägt die Konjunktur und nicht wie sonst der AußenhandelBild: Daniel Bockwoldt/dpa/picture alliance

Leichte Unwucht in der Handelsbilanz

Der Handel mit dem Ausland nahm trotz der angespannten internationalen Situation zu, wie die Statistiker weiter ausführten. Dank eines weiterhin hohen Auftragsbestands und wieder besser funktionierender weltweiter Lieferketten wurden im dritten Quartal demnach preis-, saison- und kalenderbereinigt 2,0 Prozent mehr Waren und Dienstleistungen exportiert als im Vorquartal. Die Importe legten mit 2,4 Prozent etwas stärker zu.

"Überraschend positiv" nannten die Statistiker auch die Entwicklung im Verarbeitenden Gewerbe: Vor allem wegen Produktionssteigerungen in der Automobilbranche und im Maschinenbau wuchs die Wirtschaftsleistung von Juli bis September um 0,9 Prozent zum Vorquartal. "Besonders dynamisch" wuchs die Bruttowertschöpfung demnach in den Bereichen Handel, Verkehr und Gastgewerbe sowie öffentliche Dienstleister, Erziehung und Gesundheit.

Warnschild Achtung Baustelle an einem Baukran
Die Bauwirtschaft schwächelt, weil viele Projekte wegen drastisch gestiegener Kosten auf Eis gelegt worden sind. Bild: Carsten Hoefer/dpa/picture alliance

Der Bau schwächelt

Allerdings signalisierten aktuelle Konjunkturdaten weiter eine Rezession im Winterhalbjahr. "Voraussetzung für einen milden Verlauf der Rezession ist, dass keine akute Gasmangellage entsteht, dass keine schwierigen Corona-Entwicklungen eintreten und sich die Lieferketten weiter schrittweise stabilisieren."

Zudem würden sich die geplanten Bremsen für die Gas- und Strompreise positiv auswirken, "da sie die Verbraucherinnen und Verbraucher konkret entlasten bei ihren Abschlagszahlungen für Strom und Gas/Wärme", hieß es.

Dass die Baubranche nicht zum Wachstum beiträgt, findet Thomas Gitzel allerdings vorhersehbar: "Die Bauinvestitionen fallen hingegen um 1,4 Prozent, was allerdings weniger überrascht, denn die Baubranche leidet bereits unter dem höheren Zinsniveau und hohen Erstellungskosten für Neubauten."

Kein Grund für Schwarzmalerei

Nach ihren Erwartungen für den Winter und die nächsten Quartale befragt, reagieren die Ökonomen zurückhaltend. Der Chefstratege von Merck Finck, Robert Greil, meint: "Nach dem warmen Sommer und dem milden Herbst kommt auf die deutsche Wirtschaft ein konjunkturell kalter Winter zu. Ich rechne weiterhin mit einer Rezession. Wenn es temperaturmäßig kein harter Winter wird, dürfte es allerdings eher zu einer milden als zu einer tiefen Rezession kommen."

Auch Jörg Zeuner hält Euphorie für unangebracht: "Viele Belastungen spüren die Verbraucher noch gar nicht. Die kalten Wochen in der Heizsaison stehen noch bevor. Auch dürften den Haushalten in nächster Zeit sukzessive weitere Erhöhungen der Abschlagszahlungen ins Haus flattern. Ebenso werden die strikteren Kreditbedingungen als Folge der Geldpolitik spürbar.

Aber einen Grund für Pessimismus sieht er auch nicht: "Unter dem Strich ist mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung über das Winterhalbjahr von 1,5 Prozent zu rechnen. Das Gute daran ist allerdings: Schlimmer dürfte es nicht werden."

dk/hb (dpa, rtr, afp)