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Auf in die Ferne!

Simon Broll14. Februar 2014

Kirgistan, Indien, Kuba: Deutschlands junge Regisseure sind für ihre Filmdebüts in die Ferne gereist. Die Ergebnisse laufen in der "Perspektive Deutsches Kino" – und zeigen die Welt in schillernden Facetten.

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Bildergalerie Filmstill Flowers of Freedom
Bild: Mirjam Leuze

Eine karge Steppenlandschaft im Norden Kirgistans. Eine ältere Frau legt Steine zusammen. Dann dreht sie sich um zur Landstraße, von der ein Motorengeräusch dringt. Ein Lastwagen fährt vorbei. Dann noch einer. Und noch einer. Die Frau verharrt regungslos, während die Kolonne im Hintergrund an ihr vorbeirast. Die Fahrzeuge sind unscheinbar, doch sie tragen eine tödliche Ladung: Zyanid. Das Chemieprodukt kommt im Bergbau zum Einsatz, um Gold aus den Minen zu gewinnen. Und davon gibt es in Kirgistan eine Menge – vor allem am Yssykköl, dem größten See des Landes.

Die Dokumentarfilmerin Mirjam Leuze hat sich nach Barskoon begeben, einem kleinen Dorf am Yssykköl, in dem die Einwohner gegen die Minenbesitzer kämpfen. Immer wieder kam es in der Region zu Umweltkatastrophen – am schlimmsten 1998. Damals fiel ein Lastwagen in einen Fluss, mehr als 20 Tonnen Zyanid liefen aus und landeten im Trinkwasser. Weil die Regierung den Unfall vertuschen wollte, schlossen sich zehn Frauen des Dorfes zu einer Umweltorganisation zusammen. Ihre Geschichte erzählt der Film "Flowers of Freedom". Leuze begleitet die Gruppe rund um die mutige Kämpferin Erkingül über vier Jahre hindurch. Sie filmt die Protestaktionen und ist 2010 vor Ort, als nach der Revolution Erkingül zur Abgeordneten gewählt wird. Dabei kommt Leuze den Aktivistinnen berührend nahe: in der Küche beim Kartoffelschälen oder im Auto kurz vor der Ankunft am Wahllokal. Intime Szenen, in denen die Frauen von ihren Träumen reden – ohne sich für ihre Tränen zu schämen.

Bildergalerie Filmstill Flowers of Freedom
Kirgisische AktivistinnenBild: Mirjam Leuze

Bilder abseits des Klischees

"Ich wollte ein Bild von Kirgistan einfangen, das den Klischees des Landes widerspricht", sagt Leuze im DW-Interview. "Es sollte keine exotischen Fantasien von der Seidenstraße geben und auch keine Nomadenzelte." Dafür das alltägliche Leben. Rau, brutal, packend. Leuzes Beitrag ist ein Paradebeispiel für das diesjährige Programm der "Perspektive Deutsches Kino". Die Berlinale-Sektion gilt als Plattform für junge Regisseure aus Deutschland oder Filmemacher, die an einer deutschen Hochschule studiert haben. 14 Beiträge wurden ausgewählt und die meisten erzählen von der Ferne.

Bildergalerie Mirjam Leuze Porträt NICHT FÜR SOCIAL MEDIA
Regisseurin Mirjam LeuzeBild: Bernd Beyer

Annäherung in Kuba und Indien

Valerie Heine war für ihren fiktionalen Kurzfilm "El carro azul" auf Kuba und schildert das Leben zweier Brüder – einer von ihnen mit Down-Syndrom – die sich nach Jahren der Trennung aneinander gewöhnen müssen. Heines Film, der im Rahmen eines Auslandssemesters entstand, zeigt deutlich, dass für junge Regisseure Landesgrenzen keine Rolle mehr spielen.

Franziska Schönenberger wiederum begab sich mit Jayakrishnan Subramanian auf eine sehr persönliche Reise in die indische Region Tamil Nadu. In der Culture-Clash-Doku "Amma und Appa" trifft sie auf die Eltern ihres Freundes. Diese hatten eigentlich eine arrangierte Hochzeit für den Sohn geplant und müssen sich nun an die junge Frau aus Bayern gewöhnen. Verspielte Animationstricks lockern die Handlung auf, die trotz aller Unterschiede die Gemeinsamkeiten der Kulturen aufdeckt. So kommt Schönenberger zu dem Schluss: die Menschen aus Tamil Nadu sind mit ihrem Trachten und Prozessionen "die Bayern Indiens".

Deutschland Film Berlinale 2014 Filmszene Sektion Perspektive Deutsches Kino Amma & Appa
Indisch-bayerische AllianzBild: HFF / BR

Trauerarbeit in Schweden

Sie sitzt im Auto und fährt doch nicht los. Starr blickt sie nach vorne, in Gedanken versunken. Ihre Augen scheinen fast von alleine zuzufallen. Die Erschöpfung ist Magdalena schon in der ersten Einstellung des Films "Lamento" ins Gesicht geschrieben. Dennoch versucht die Mittfünfzigerin, Haltung zu wahren. Sie holt ihren Enkel vom Musikunterricht ab, will den Hund ihrer Tochter Sara verkaufen. Diese hat sich vor Kurzem umgebracht, doch darüber redet Magdalena nicht. In Schweden ist das ein Tabu.

Jöns Jönssons Spielfilmdebüt zeichnet das Porträt einer Mutter, die versucht zu verdrängen. Als Saras Ex-Freund Johannes aus Deutschland angereist kommt, fängt Magdalenas Fassade an zu bröckeln. Für Filmemacher Jönsson war klar, dass er sein Werk über Schuld und Trauer in Schweden drehen würde. "Obwohl man dort gerne so tut, als wäre man offen, wird über solche Themen wenig geredet", sagt der schwedische Regisseur, der an der Berliner Filmhochschule "Konrad Wolf" ausgebildet wurde. "Es herrscht eine Mentalität, in der jeder sich kontrolliert. Das führt zu gut versteckten Geheimnissen." Mit seinem Werk gelingt ihm ein distanzierter Blick auf das Land: "Eine Geschichte über meine Heimat, nachdem ich zehn Jahre in Deutschland gelebt habe."

Filmstill Lamento
Verzweifelte Mutter in "Lamento"Bild: Buntfilm Juretzka & Hering

Auf der Suche nach der Heimat

Diese Distanz ist auch Ester Amrami geglückt. Die Israelin hat ebenfalls in Berlin studiert und ist für ihren Erstling zurück nach Tel Aviv gereist. "Anderswo" ist eine Komödie über die Suche nach dem Ort, den man Heimat nennt. Filmheldin Noa hat trotz ihrer 33 Jahre diesen Platz noch nicht gefunden. Ihr Leben spielt sich zwar in Deutschland ab – mit Studium, gut gelegener Kiez-Wohnung und Musikerfreund. Doch die trüben Wintertage in Berlin setzen der jungen Frau zu. Als Noas Freund Jörg auf Konzerttour geht, fliegt sie kurzerhand nach Israel. Und wird enttäuscht: Ihre Eltern haben wenig Zeit, die Schwester findet sofort Grund zum Streit. Das Chaos wird perfekt, als Jörg plötzlich am Flughafen steht.

"Anderswo" brilliert durch Wortwitz und den Zusammenprall deutscher mit israelischen Werten. Dabei scheut sich Amrami nicht, ihre eigene Kultur zu hinterfragen. Zeremonien wie der Gedenktag für die gefallenen Soldaten werden in ihrem ganzen Ritualcharakter gezeigt – und sorgen nicht nur beim Ausländer Jörg für Kopfschütteln. "Ich hoffe, dass der Film auch in Israel anläuft und die Menschen zum Nachdenken animiert", sagt Amrami.

Filmstill Anderswo
Noa sucht in "Anderswo" nach ihrer HeimatBild: Johannes Praus

Einstieg für den Wettbewerb

In der "Perspektive" zeigt sich das deutsche Kino von seiner starken Seite. Die jungen Talente können hoffen, in die Fußstapfen von Dietrich Brüggemann zu treten. Der deutsche Filmemacher war bereits mit "Neun Szenen" und "Renn, wenn du kannst" in der "Perspektive Deutsches Kino". Jetzt läuft sein Religions-Drama "Kreuzweg" im Wettbewerb – mit Aussicht auf den goldenen Bären.