Deutscher wegen Erdogan-Beleidigung angeklagt
21. März 2019Der Angeklagte Aret D. erschien vor einem Gericht in Istanbul wegen des Vorwurfs, vor der Parlaments- und Präsidentenwahl vom 24. Juni 2018 den Staatschef beleidigt zu haben. Der deutsche Mitarbeiter der Friedrich-Naumann-Stiftung forderte dort einen Freispruch für sich. Der Anwalt von Präsident Recep Tayyip Erdogan verlangte daraufhin vom Gericht, das abzulehnen. Die Verhandlung im Istanbuler Caglayan-Gericht wurde kurze Zeit später auf den 8. Oktober vertagt. Aret D., der in Istanbul geboren wurde, aber nur noch den deutschen Pass besitzt, bedauerte die lange Zeit bis zum nächsten Termin. Der "psychologische Druck" halte an, sagte er.
Aret D. hatte am Vortag der Wahlen im Kurzmitteilungsdienst Twitter kritisiert, dass die regierungsnahen Medien nicht über die große Kundgebung der Opposition in Istanbul berichteten, dafür aber über die viel Kleinere des "bascalan". Er und sein Anwalt Veysel Ok argumentierten, dass dies keine Beleidigung des Präsidenten sei, da Recep Tayyib Erdogan im Wahlkampf nicht als Präsident, sondern als Vorsitzender der AKP aufgetreten sei.
Nur freie Meinungsäußerung?
Der Chef der Naumann-Stiftung in Istanbul, Hans-Georg Fleck, sagte zu dem Tweet: "Es ging nicht um den Präsidenten, sondern um eine mediale Wertung der Wahlkampf-Aktivitäten. Es war nichts als freie Meinungsäußerung." Die Naumann-Stiftung steht der FDP nahe.
Es steht Aret D. frei, nach Deutschland zu reisen. Eine Meldepflicht bei der Polizei und eine Ausreisesperre waren schon vor dem Prozess aufgehoben worden, wie sein Anwalt Veysel Ok bestätigte. Auch der ursprüngliche Anklagepunkt der Volksverhetzung galt nicht mehr. Als Prozessbeobachter war der FDP-Abgeordnete Thomas Hacker angereist. Im Saal saßen auch Beobachter vom deutschen Generalkonsulat.
Der Paragraf der Präsidentenbeleidigung stammt aus einer Zeit, da der Präsident noch parteilos war. Erst seit der umstrittenen Verfassungsänderung von 2017 kann er einer Partei angehören. Das Wort "bascalan" ähnelt dem türkischen "basbakan" (Ministerpräsident) und war während der Korruptionsermittlungen im Dezember 2013 von Gegnern Erdogans für den damaligen Ministerpräsidenten verwandt worden.
Die Ermittlungen gegen Politiker und Geschäftsleute aus dem Umfeld des Regierungschefs zwangen drei Minister zum Rücktritt, bevor Erdogan deren Stopp erzwang und die beteiligten Polizisten und Staatsanwälte versetzen ließ. Als Drahtzieher beschuldigt Erdogan Anhänger des islamischen Predigers Fethullah Gülen, die er auch für den gescheiterten Militärputsch von Juli 2016 verantwortlich macht. Seit Erdogan im August 2014 zum Staatschef gewählt wurde, hat er zahlreiche Menschen wegen Präsidentenbeleidigung verklagt. Darauf steht vier Jahre Haft.
Noch eine Prozessvertagung
Vertagt wurde fast zeitgleich in Istanbul auch ein anderer Prozess gegen einen Deutschen. Im Prozess gegen den Menschenrechtler Peter Steudtner wegen Terrorvorwürfen in der Türkei hat das Gericht in einer kurzen Verhandlung einen weiteren Termin für den 16. Juli angesetzt. Zur Begründung sagte der Richter, es müssten noch Materialien ausgewertet werden. Es war die siebte Verhandlung im international aufmerksam beobachteten Prozess, in dem elf Menschenrechtler angeklagt sind. Unter ihnen ist der Ehrenvorsitzende der Menschenrechtsorganisation Amnesty International, Taner Kilic.
Steudtner hatte 2017 mehr als 100 Tage in türkischer Untersuchungshaft verbracht, bevor er ausreisen durfte. Sein Fall und der des ein Jahr lang inhaftierten "Welt"-Reporters Deniz Yücel hatten die türkisch-deutschen Beziehungen schwer belastet. Im Gerichtssaal in Istanbul waren Beobachter des deutschen Generalkonsulats, US-amerikanische sowie britische Diplomaten und vier internationale Repräsentanten von Amnesty International zugegen.
kle/stu (dpa, afp)