Deutsches Interior Design im Wandel
8. Oktober 2013Autos, Bier, und Brot. Sicherlich sind das Produkte, die man mit Deutschland verbindet. Ob es der neueste Motor ist, oder die nach striktem Reinheitsgesetz gebrauten Biere - deutsche Produkte sind bekannt für ihre ordnungsgemäße und systematische Gestaltung mit einem hohen Qualitätsanspruch.
Ähnlich wie Bauhaus – die berühmte deutsche Kunstschule, die sich darauf fokussierte, ein "Gesamtkunstwerk" zu erschaffen. Der Bauhausstil verbindet Architektur mit anderen Künsten und industriellem Handwerk und wurde zu einem der einflussreichsten Strömungen im Design des 20. Jahrhunderts.
Doch gehen wir einen Schritt zurück. Was ist mit der Mise en Scène? Das heißt, die Zusammenstellung der Einrichtungsgegenstände, um einen gemütlichen Innenraum zu kreieren. Was sagt der Innenraum über die dort lebenden Leute und gleichzeitig über das Verständnis von Ästhetik? Dies wird, nach Meinungen von Experten, immer noch in deutschen Haushalten vermisst.
Jenseits von Bauhaus
In Sachen Raumgestaltung steht Deutschland im Schatten von Italien, Frankreich, Großbritannien und den USA.
"In Deutschland ist es üblicher, dass man sich sein eigenes Raumkonzept überlegt. Man fragt nicht nach einem eigenen Interior Designer", sagt der Berliner Innenarchitekt Gisbert Pöppler, der zurzeit eine Ausstellung mit Kunst-, Einrichtungs- und Dekorationsgegenständen aus dem 20. und 21. Jahrhundert leitet.
"In New York hat man seinen eigenen Psychiater und Interior Designer", lacht Pöppler. Co-kuratiert vom Vintage Designer Erik Hofstetter, bildet die Ausstellung "Between Time" eine prächtige Sammlung von Stillleben, die einen Bogen der Designtrends des 20. Jahrhunderts von den chinesischen Art Deco Teppichen zu den Möbelstücken der ersten italienischen Möbelmanufakturen spannt.
Die Idee der Ausstellung ist es, die Kunst und das Handwerk von Interior Design und Raumgestaltung der Öffentlichkeit näher zu bringen. Deutschland ist ein Vorläufer in der Produktion, keine Frage, aber die Designmarken sind noch weit davon entfernt, Trendsetter zu werden.
"Die berühmten Interior Designer aus den USA, Großbritannien und Italien fokussierten sich bisher mehr auf den Innenraum an sich. In Deutschland ist Raumgestaltung oder Innenarchitektur etwas völlig anderes, weil wir uns stärker auf das Objekt, zum Beispiel ein Möbelstück oder Regalsystem, konzentrieren", sagt Andrej Kupetz, Hauptgeschäftsführer des Rats für Formgebung (German Design Council). "Das Hauptziel ist immer: Wie können wir Möbel industriell herstellen?"
Der weltbeste Stuhl
Das Interior Design wurde in Deutschland stets an die Handwerkswerkskunst angepasst - mit der Bauhaus-Ära begann die Annäherung der Industrie und der Designwelt.
Ein Beispiel dafür ist der berühmteste Stuhl der Welt, der von dem deutschen Unternehmer Michael Thonet in Boppard am Rhein kreiert wurde, und den Andrej Kupetz als erstes industrielles Designobjekt bezeichnet. Stuhl Nr. 14 (besser bekannt als "Konsumstuhl Nr. 14") entstand 1859 als Ergebnis eines verfeinerten industriellen Prozesses, bei dem Wasserdampf zum Biegen von Buchenholz verwendet wurde. Trotz seiner schlichten Form wird der Thonet-Stuhl immer noch, mit 50 Millionen produzierten Exemplaren bis 1930, die Mutter aller Stühle genannt.
"Heutzutage ist das Hauptproblem für viele junge Designer, die gerne im Bereich Interior Design arbeiten möchten, dass sie immer noch als industrieller Designer ausgebildet werden", erklärt Andrej Kupetz.
Ohne ein ikonenhaftes oder modisches Erbe zu wahren, landen "viele Innenarchitekten und Interior Designer in Möbelgeschäften, um Küchen zu konstruieren oder Systemplanung durchzuführen, weil die Deutschen diese System-Idee bei ihren Möbeln mögen", führt Kupetz weiter fort. Er nennt das Beispiel der minimalistischen Conseta-Sofas von Cor. In den 1960er Jahren hergestellt, ist Conseta immer noch ein erfolgreiches Möbeldesign in Deutschland.
"Die Idee, dass dein Zuhause eine Art Bühne sein könnte, auf der man seine Lebensvorstellungen darstellen kann, war noch nie beliebt bei den Deutschen", sagt Kupetz. "Deutsche Innenarchitekten sind keine Dekorateure."
Ein geschützter Begriff in Deutschland
Der Zweite Weltkrieg brachte die Entwicklung von industriellem Design in Deutschland zum Stillstand. Erst seit dem Wiederaufbau in den 1950er Jahren zeichnete sich die Entwicklung einer Tradition des Designs ab. Nach dem Krieg mussten die zerstörten Gebäude wieder neu errichtet werden, die Gesellschaft musste sich neu erfinden. Der richtige Moment, um neue Designkonzepte zu entwerfen.
"Interior Design, angesehen als eine eigene Disziplin, die sich auf die Innenräume abseits der Architektur fokussiert, wurde schon früh diskutiert", erinnert sich Rudolf Schricker, Vizepräsident vom BDIA, dem 1952 gegründeten Bund der deutschen Innenarchitekten.
Seit den 1970er und 1980er Jahren bieten deutsche Universitäten Studenten die Möglichkeit an, einen Bachelor- oder Masterabschluss in Interior Design zu absolvieren. Heutzutage sind diese Abschlüsse, neben der praktischen Erfahrung, Voraussetzungen in der Branche. Im Bereich Design ist es das Ziel, Teil eines professionellen Verbandes zu werden. Seit der Begriff Innenarchitektur ein gesetzlich geschützter Begriff in Deutschland ist, darf sich nicht jeder Interior Designer als Innenarchitekt bezeichnen, ohne den geforderten Ausbildungsprozess zu absolvieren.
Sozial verantwortliches Design
Rudolf Schricker erklärt, dass das Interior Design lange um seinen unabhängigen Ruf - im Schatten der dominanten Architektur - kämpfen musste. "Das Interior Design wird nun emanzipiert in Deutschland", sagt er.
Heutzutage geht es beim Interior Design darum, relevant für die Gesellschaft zu sein: Eine neue Generation von Designern begibt sich auf die Suche nach einer tieferen Bedeutung von Design, indem sie es in sozialen Kontexten anwendet. Tatsächlich waren es gerade deutsche Interior Designer, die eine Entwicklung von qualitativen Innenräumen für ältere oder behinderte Menschen antrieben.
"Verantwortungsbewusst zu handeln, ist heute essenzieller, als glamourös zu erscheinen", sagt Schricker. "Es scheint beinahe eine weltweite Entwicklung zu geben: Nahe bei den Leuten, nicht nur oberflächlich, bedeutungsvoll, ehrlich, beständig – wichtig für jede einzelne Person."