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Deutschland bis 2038 klimaneutral?

14. Mai 2020

Die Erderwärmung soll bei 1,5 Grad gestoppt werden. In die Atmosphäre darf deshalb nur noch eine begrenzte Menge CO2. Wie groß ist das Budget für Deutschland und die EU? Antworten geben nun Deutschlands Sachverständige.

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Climate justice now!  die Klimabewegung Fridays for Future Demonstriert in München für die Einhaltung des Klimaziels von möglichst 1,5 Grad. Auf dem Transparent steht: Climate justice now! Aufnahmedatum 20.9.2019 einer der großen Streiktage von Fridays for Future
Bild: picture-alliance/dpa/S. Hoppe

Die deutsche Klimapolitik ist bislang nicht nachvollziehbar am Pariser Klimaabkommen ausgerichtet und liegt nicht "ausreichend auf Zielkurs", lautet eine Kernbotschaft des Gutachtens vom Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU), der die Bundesregierung berät.

Das Gutachten erscheint alle vier Jahre und gibt der Bundesregierung Empfehlungen wie die Lebensqualität mit Klima-, Umwelt- und Gesundheitsschutz verbessert werden kann.

"Es mangelt nicht mehr an Erkenntnissen über die dramatischen Folgen aktueller und drohender Umweltveränderungen. Auch die Technologien für eine Wende hin zu zukunftsfähigem Wirtschaften, nachhaltiger Mobilität oder umweltverträglicher Energieerzeugung sind vorhanden", heißt es in der Einleitung.

Da sich aber Politik, Wirtschaft und Gesellschaft den ökologischen Herausforderungen "viel zu zögerlich stellen, wächst die Kluft zwischen dem Erreichten und dem Notwendigen", betont der Umweltrat. "Unsere Wirtschafts- und Lebensweisen müssen sich verändern, um ökologische Grenzen einzuhalten."

CO2-Budget als Orientierung für Klimaziel 

Um die Erderwärmung im Vergleich zum vorindustriellen Niveau auf deutlich unter zwei, möglichst 1,5 Grad zu begrenzen, schlagen die Umweltexperten ein CO2-Budget für Deutschland und die EU vor, dass auf den Zusammenhängen der Klimaphysik basiert. 

"Das CO2-Budget ist die maximale Gesamtmenge an CO2-Emissionen, die wir insgesamt noch in die Atmosphäre emittieren dürfen, wenn wir die Klimaziele mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit einhalten wollen", erklärt der Erdsystemwissenschaftler Prof. Wolfgang Lucht vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) und Mitglied im SRU.

Weltweit liegt laut SRU das globale CO2-Budget zur Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad bei unter 500 Milliarden Tonnen CO2 und zur Begrenzung auf 1,75 Grad bei unter 720 Milliarden Tonnen CO2.

Prof. Wolfgang Lucht Abteilungsleiter Erdsystemanalyse am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und Mitglied im Sachverständigenrat für Umweltfragen.
Das Zeitfenster ist knapp: Professor Wolfgang Lucht vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung mahnt zur Eile Bild: picture-alliance/dpa/P. Himsel

Die Gesamtmenge an CO2 in der Atmosphäre bestimmt, wie stark sich die Erde erwärmt. "Das ist ein fast linearer Zusammenhang zwischen den über alle Zeit kumulierten CO2-Emissionen und der Temperaturerhöhung", sagt Lucht der DW. Dabei sei es völlig egal, wer wieviel wann emittiert. "Es kommt nur auf die Gesamtmenge an."

CO2 baut sich in der Atmosphäre nicht ab und so sorgen die Emissionen der letzten 150 Jahre und die zukünftigen für entsprechende Temperaturerhöhung in den kommenden Jahrhunderten.

Deutschlands CO2-Budget 2038 verbraucht? 

Bislang legen Deutschland und auch andere Staaten Emissionsziele für bestimmte Jahre fest. Der SRU schlägt vor, Entscheidungen zukünftig am tatsächlich noch verfügbaren CO2-Budget auszurichten und die beschlossenen Klimaziele transparent damit zu vergleichen. Erst dann wird sichtbar, wie groß derzeit noch die Lücke ist. 

Unter dem "Blickwinkel der globalen Verteilungsgerechtigkeit" empfehlen die Experten eine Aufteilung des Emissionsbudgets in der Welt nach der Bevölkerungszahl jedes Landes. Für Deutschland würde bei einer Vernachlässigung von historischen Emissionen ab 2020 noch ein CO2-Budget von "maximal 6,7 Milliarden Tonnen CO2" zur Verfügung stehen, heißt es im Gutachten.

Damit könnte die Erderwärmung auf 1,75 Grad mit einer Wahrscheinlichkeit von 67 Prozent begrenzt werden. Daraus folgt: "Bei einer linearen CO2-Reduktion müsste Deutschland schon 2038 CO2-neutral sein und nicht erst 2050", sagt Lucht.

Würde Deutschland sich am 1,5-Grad Ziel orientieren, wofür laut SRU "gute wissenschaftliche Gründe sprächen", so wäre das verbleibende Budget entsprechend niedriger und läge bei 4,2 Milliarden Tonnen CO2. Bei einer linearen CO2-Reduktion wäre das Budget bereits im Jahr 2032 "verbraucht".

Mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent könnte so die Erderwärmung auf 1,5 Grad begrenzt werden. "Hier zeigt sich die Folge von zwei Jahrzehnten zu zögerlicher Klimapolitik. Der verbleibende Zeitraum ist enorm geschrumpft", so Lucht.

Infografik Wie sollten die CO2-Emissionen in Deutschland sinken, um das Pariser Klimaziel einzuhalten?

Der SRU betont, dass die deutschen Klimaziele derzeit nicht für die Einhaltung der Pariser Klimaziele ausreichen. Die von Deutschland emittierte Emissionsmenge sei "deutlich größer als das vom SRU berechnete Budget". Die deutschen Ziele sollten deshalb "konkretisiert und entsprechend verschärft werden".

Welches Budget hat noch die EU? 

Für die Ausrichtung der EU-Politik am Ziel von 1,75 Grad Erderwärmung bliebe im Vergleich etwas mehr Zeit: In der EU sind die CO2-Emissionen pro Kopf im Durchschnitt niedriger als in Deutschland. Bei einer linearen Reduktion der Treibhausgase bis zum Jahr 2045 auf null wäre das EU-Budget aufgebraucht. Ab dann müsste die EU in der Summe aller Emissionen klimaneutral sein.

Bei einer Ausrichtung der Politik auf eine Begrenzung von 1,5 Grad müsste die Klimaneutralität in der EU ebenfalls deutlich früher gelingen. Bei einer linearen Absenkung der Emissionen auf null wäre dies laut SRU im Jahr 2037.

Konjunkturprogramme für ökologische Zukunft 

Der Vorschlag der Sachverständigen die Klimapolitik an einem langfristigen CO2-Budget auszurichten, stößt beim Bundesumweltministerium (BMU) auf Vorbehalte. Zwar seien die Berechnungen von nationalen Restemissionsbudgets richtig, doch äußert das BMU die Befürchtung, dass eine Debatte über verbleibende Budgets dem Klimaschutz mehr schade als nütze.

Sie lenke "den Blick auf ein Scheitern, nicht auf das Gelingen" sagt ein Sprecher des Ministeriums der DW. "Die nötigen Mehrheiten für den Klimaschutz gewinnen wir aber eher dann, wenn wir positive Zukunftsbilder erzeugen, die die vielen Vorteile aufzeigen, die eine gelungene Klimaschutzpolitik mit sich bringt – für Lebensqualität, Jobs und Krisensicherheit."

Der Sachverständigenrat der Bundesregierung sieht dagegen im CO2-Budget eine wichtige Bewertungsgrundlage, die Transparenz ermöglicht und Ambitionslücken offenlegt. Dies wäre wichtig für die öffentliche Diskussion, um dann diese Lücke auch "möglichst sukzessive zu schließen", so Lucht. "Ohne einen solchen Maßstab weiß man nicht, ob man auf Kurs ist", betont Lucht. Aus diesem Grund empfehlen die Experten den Budgetgedanken auch auf europäischer Ebene in der Langfriststrategie als Instrument des Abgleichs zu verankern.

Ab Juli übernimmt Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft für ein halbes Jahr. Konjunkturprogramme zur Belebung der Wirtschaft sollten nun eine ökologische Zukunftsausrichtung bekommen, betonen die Sachverständigen. "Es sollte in Lösungen investiert werden, die die umweltverträgliche Entwicklung der Wirtschaft fördern", sagt SRU-Vorsitzende Prof. Claudia Hornberg. Die Bundesregierung sollte sich dafür stark machen, dass auch die EU-Konjunkturprogramme darauf ausgerichtet sind, den European Green Deal zu verwirklichen.

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Gero Rueter Redakteur in der Umweltredaktion
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