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Deutschland braucht Einwanderer!

Rolf Wenkel16. Dezember 2002

Mit einer Greencard nach Deutschland?! Deutschland - ein Einwanderungsland?! Unvorstellbar ist das nicht mehr. Für diesen Meinungsumschwung gibt es handfeste Gründe. Ein Kommentar von Rolf Wenkel.

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Deutschland wird ein Altersheim. Die UNESCO hat ausgerechnet, dass jährlich 3,4 Millionen Menschen nach Deutschland einwandern müssten, wenn der heutige Altersdurchschnitt in den nächsten Jahrzehnten erhalten bleiben soll. In Deutschland finanzieren die arbeitenden Menschen mit ihren Rentenversicherungsbeiträgen die Generation der Rentner - und erwerben sich damit ebenfalls einen Rentenanspruch. Doch jetzt kippt das System, weil junge Arbeitskräfte fehlen.

Wettbewerb um ausländische Arbeitnehmer

In Deutschland fehlen jedes Jahr mindestens 200.000 junge und gut ausgebildete Ausländer, sagen renommierte Ökonomen. Doch die sind nicht so leicht zu kriegen. Ein weltweiter Wettbewerb ist um sie entbrannt, andere Länder wie die Vereinigten Staaten bieten bessere Bedingungen als Deutschland. Kein Wunder, dass von den erwarteten 20.000 Greencards für ausländische IT-Spezialisten bis zum Sommer 2001 erst etwa 9.000 vergeben werden konnten.

Debatte um Einwanderung

Jahrelang war das Thema Einwanderung Tabu in Deutschland. 16 Jahre lang wurde die falsche Parole ausgegeben, Deutschland sei kein Einwanderungsland. Dabei ist das Gegenteil der Fall. Denn Deutschland ist schon ein Einwanderungsland - seit Jahren. 2000 kamen rund 600.000 Menschen, darunter rund 100.000 deutschstämmige Spätaussiedler aus den früheren Staaten des Ostblocks, 350.000 Menschen mit befristeter Arbeitserlaubnis, von denen viele bleiben, und rund 80.000 Asylbewerber. Die Wirtschaft sagt: Wir brauchen diese Arbeitskräfte. Diese Menschen nehmen niemanden einen Arbeitsplatz weg. Jeder ausländische Besitzer einer Greencard zum Beispiel hat im Schnitt zweieinhalb neue Arbeitsplätze für Deutsche geschaffen.

Die Deutschen sollten daher keine Angst vor Einwanderung haben. Sie sollten sie nur steuern und sozialverträglich organisieren. Und vor der eigenen Türe kehren. Rund 3,9 Millionen Arbeitslosen in Deutschland stehen 1,5 Millionen unbesetzte Arbeitsplätze gegenüber. Die Deutschen könnten ihr Problem mit der Sozialversicherung noch viele Jahre selbst bewältigen, wenn sie ihren eigenen Arbeitsmarkt in Ordnung bringen und den Sozialstaat schlanker machen würden.

Deutschland wendet fast 27 Prozent seiner Wirtschaftsleistung für Sozialausgaben auf. Die USA geben nur 16 Prozent, Kanada 17, Australien und Irland nur rund 18 Prozent ihrer jährlichen Wirtschaftsleistung für Sozialausgaben aus und sind trotzdem attraktive Einwanderungsländer. Dort werden Fremde offenbar leichter als Nachbarn akzeptiert, weil niemand mit dem Argument kommen kann, Einwanderer wollten sich auf Kosten der Allgemeinheit ein schönes Leben machen.

Deutschland sollte nicht mit der „sozialen Hängematte“ locken, sondern mit beruflichen Chancen. In die USA kommen gut ausgebildete junge Menschen aus Lateinamerika und Asien. Sie wissen, dass sie dort von Sozialhilfe wenig zu erwarten haben. Dass aber andererseits Fleiß und Intelligenz belohnt werden. Reformen auf dem Arbeitsmarkt und im Sozialsystem wären also dringend nötig, damit man das auch eines Tages von Deutschland sagen kann.