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Deutschland darf sich nicht wegducken

Claus Stäcker13. Februar 2014

Zentralafrika braucht militärische Hilfe, um die Gewalt zu beenden, auch von Deutschland. Ethnische Säuberungen und Anarchie bedrohen die gesamte Region, warnt Claus Stäcker.

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Deutsche Welle Claus Stäcker
Claus Stäcker ist Leiter der Afrika-Programme der DWBild: DW

Es sind verstörende Bilder, deren Verbreitung sich verbietet: Mitten in der Hauptstadt Bangui wird auf offener Straße ein Mensch gelyncht. Ein internationaler Medientross filmt und fotografiert ungehindert, wie der Mann zerstückelt wird und ein Passant eines seiner Organe isst. Ein Verrückter sicher, der Kannibale. Das eigentlich Verrückte aber ist, dass auch die schwer bewaffneten französischen Soldaten, die den Vorfall beobachten, ihn nicht stoppen.

Großteil des Landes außer Kontrolle

Die 1600 Soldaten aus Frankreich hätten die Hauptstadt weitgehend unter Kontrolle, heißt es. UN-Hilfsflüge aus Kamerun können nun in Bangui landen. Eine forsche Übergangspräsidentin ist bestimmt. Sogar die Stadtgrenzen konnte Catherine Samba-Panza dank der ausländischen Soldaten jetzt erstmals verlassen. Weit kam sie nicht. Der größte Teil des Landes entzieht sich jeder Kontrolle. Dort sind weder französische noch afrikanische Schutztruppen in Sicht.

Ortsnamen, die heute Massaker und Lynchmorde markieren, sind schon morgen wieder vergessen: Boda, Bouka, Nzakoun. Muslimische Milizen töten Frauen und Kinder, christliche Bürgerwehren führen einen blutrünstigen Rachefeldzug gegen muslimische Zivilisten, die für die Milizen in Sippenhaft genommen werden. Über 2000 Menschen sollen schon getötet worden sein, die Dunkelziffer dürfte weit höher liegen. Von "ethnischen Säuberungen" sprechen Menschenrechtsorganisationen, von einer "humanitären Katastrophe unbeschreiblichen Ausmaßes" berichtet UN-Flüchtlingskommissar Guterres. 1,5 Millionen Zentralafrikaner sind auf der Flucht und brauchen Lebensmittel.

Frankreich war nach der erfolgreichen Mali-Intervention mit neuem Mut unterwegs, unterschätzte die Bangui-Mission aber fatal. Die Soldaten können militärische Einheiten zurückschlagen oder entwaffnen. Gegen spontane Lynchmobs aber sind sie machtlos. Die Afrikanische Union hat mit der MISCA-Truppe ungewöhnlich schnell reagiert und ist mit über 5000 Mann vor Ort. Sie wird aber zu Recht beargwöhnt, weil der Großteil des Kontingents aus dem Nachbarland Tschad kommt, der aktiv in dem Konflikt mitmischt.

UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon hat Paris deshalb gebeten, die Truppenstärke zu erhöhen. Und die Übergangspräsidentin Samba-Panza fordert ein Blauhelmmandat, die Truppe hätte wohl frühestens in sechs Monaten das Marschgepäck geschnürt. Bis dahin wäre Zentralafrika womöglich gespalten - in einen muslimischen Norden und einen christlichen Süden. Mit unabsehbaren Folgen für die ganze Region mit ihren unzähligen marodierenden Truppen in Sudan, Südsudan, Kongo oder Uganda.

Deutsche Afrikapolitik braucht militärische Komponente

Frankreich hat in der Vergangenheit viele Fehler mit seiner post-kolonialen Strippenzieherei gemacht, gerade auch in Zentralafrika. Präsident Hollande wollte das beenden, sich ehrlicher machen. In Mali ließ sich das gut an. In Zentralafrika könnte die neue Attitüde eine Fortsetzung finden, aber Paris braucht Verbündete. Die EU-Freunde zeigen sich bisher wenig interessiert. Deutschland gab sich rhetorisch entschlossen, stellte aber nur vage ein Sanitätsflugzeug in Aussicht. Das wird nicht reichen, um Zentralafrika zu befrieden.

Viel ist in Berlin von einer neuen Afrika-Strategie die Rede. Ein couragiertes Dreigestirn aus Außenminister, Verteidigungsministerin und Bundesentwicklungsminister scheint Schulter an Schulter zu stehen, wenn es um mehr Engagement in Afrika geht. Und zu Recht erinnert Verteidigungsministerin Von der Leyen an das kollektive Versagen bei den Völkermorden in Ruanda und Kongo. So muss das neue Afrika-Trio im Bundeskabinett auch Deutschlands militärische Rolle klären und auf eine nachvollziehbare EU-Sicherheitsstrategie und Arbeitsteilung hinwirken. Keine andere Weltmacht zeigt Interesse an Militärabenteuern in Afrika. So fällt der EU eine Schlüsselrolle für den Nachbarkontinent zu. Spätestens seit der letzten Flüchtlingskatastrophe vor Lampedusa sollte klar sein, dass Afrikas und Europas Stabilität zusammenhängen. Deutschland kann sich da nicht wegducken oder es den Franzosen überlassen. In Situationen wie dieser ist Solidarität gefragt. Und Militärs würden wohl sagen: auch Korpsgeist.