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Politik

Deutschland reagiert ohne Schadenfreude

Richard A. Fuchs
9. Juni 2017

Theresa May und ihre Konservative Partei haben bei der britischen Parlamentswahl eine krachende Niederlage erlitten. Ein denkbar schlechtes Ergebnis auch für die Brexit-Verhandlungen, heißt es in Deutschland.

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Flagge von Großbritannien an der Siegessäule in Berlin
Bild: picture-alliance/dpa/S. Pilick

Die politische Zukunft Großbritanniens ist nach der Parlamentswahl gänzlich offen. Der Verlust der absoluten Mehrheit der Konservativen unter Premierministerin Theresa May wird in Deutschland überwiegend mit Sorge aufgenommen. Der CDU-Außenpolitiker und Europaabgeordnete Elmar Brok bangt um die Brexit-Verhandlungen, die eigentlich in wenigen Tagen beginnen sollen. "Für uns wäre es am besten gewesen, Theresa May hätte mit großer Mehrheit gewonnen, hätte faire Verhandlungen geführt und wäre dann in der Lage gewesen, sich parlamentarische Mehrheiten zu sichern", sagte Brok im Deutschlandfunk. Jetzt fehle der EU ein "handlungsfähiger Partner auf der anderen Seite".

Großbritannien Wahlen 2017 May
Theresa May wollte ein klares Mandat für die Austrittsverhandlungen mit der EU - und verlor ihre Mehrheit im UnterhausBild: Reuters/T. Melville

Mancher Beobachter hatte vermutet, in Brüssel und in Berlin könne der Wahlausgang Genugtuung oder Schadenfreude auslösen. May hatte sich immer wieder für einen "harten Brexit" eingesetzt, hatte sich also für einen britischen Austritt aus der Europäischen Union ohne Zugeständnisse an Brüssel und ohne Zugang zum europäischen Binnenmarkt stark gemacht. Das bedeutete einen politischen Konfrontationskurs mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die immer wieder versucht hatte, der britischen Regierung Brücken für einen möglichst sanften Brexit zu bauen.

Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) hat die zukünftige britische Regierung zu einer Überprüfung der Brexit-Strategie aufgerufen. Am Rande seines Treffens mit dem Außenminister von Katar sagte Gabriel, Theresa May habe im Wahlkampf dafür geworben, dass sie eine starke Mehrheit für einen "harten Brexit" brauche. Eine solche klare Mehrheit für diesen Kurs habe sie vom britischen Wahlvolk nicht bekommen, betonte Gabriel in Wolfenbüttel. "Ich finde, die britischen Bürger haben gezeigt, dass sie nicht mit sich spielen lassen wollen." Dieses Ergebnis sollte sich jetzt auch im Umgang mit den europäischen Partnern widerspiegeln, findet Gabriel. 

Elmar Brok stuft die Wahlniederlage von May dennoch nicht als Votum für oder gegen den Brexit ein, sondern mehr als klares innenpolitisches Signal an May. Die habe in der Zeit des Wahlkampfs "komplett ihre Autorität verloren", was mit ihrem schlechten Wahlkampf und ihrer innenpolitischen Führungsschwäche zu tun habe, glaubt der CDU-Politiker. Mängel im britischen Sozialsystem und die ungelöste Terrorfrage hätten daher den britischen Wahlkampf bestimmt.


Oettinger: "Ohne Regierung keine Verhandlungen"

Zu ähnlichen Einschätzungen kommt Broks CDU-Parteikollege, EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger, der sich im Deutschlandfunk äußerte: "Es war eine Wahl, bei der die Situation in Großbritannien hinterfragt wurde." Oettinger erwartet jetzt eine politische Hängepartie und viel Unsicherheit im Verhältnis zur EU. "Mit einem schwachen Verhandlungspartner läuft man Gefahr, dass das Ergebnis der Verhandlungen für beide schlecht wird."

EU Haushalts- und Personalkommissar Günther Oettinger
EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger erwartet schwierige Verhandlungen mit den BritenBild: picture alliance/dpa/E. Lalmand/Belga

Gründe für Schadenfreude gebe es keine, betonte Oettinger. Es bedürfe jetzt einer handlungsfähigen britischen Regierung. Auch für die EU steht viel auf dem Spiel: Großbritannien ist mit jährlichen Zahlungen von rund 13 Milliarden Euro zweitgrößter Nettozahler des EU-Budgets, was nach dem Austritt höhere Beiträge der anderen EU-Staaten zum EU-Haushalt bedeuten könnte.

Für Oettinger heißt das: Soll tatsächlich ein Vertrag bis zum EU-Austrittsdatum am 29. März 2019 unter Dach und Fach sein, müssten die eigentlichen Verhandlungen bereits im Herbst kommenden Jahres abgeschlossen werden. Dann müsse noch Zeit sein, damit die nationalen Parlamente und das EU-Parlament dem Vertragswerk zustimmen könnten. Aber, sagt Oettinger an die Adresse Londons: "Ohne Regierung keine Verhandlungen." 
 

SPD-Kanzlerkandidat Schulz will Labour-Chef treffen

Der für Europa zuständige SPD-Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth, beeilte sich unterdessen, die britische Politik an ihre gesamteuropäische Verantwortung zu erinnern. Im ZDF-Morgenmagazin sagte er, man brauche jetzt zügig eine handlungsfähige Regierung, "die Großbritannien zusammenhält." Man müsse ohne Verzug mit den Verhandlungen beginnen, forderte Roth. Die Uhr bis zum Austrittsdatum der Briten ticke. 

SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz kündigte am Freitag auf Twitter an, sich so rasch als möglich mit Labour-Chef Corbyn zu treffen. Er beglückwünschte den Sozialisten mit den Worten "Was für eine Aufholjagd!"


Diese Aufholjagd begrüßt auch der Grünen-Europaparlamentarier Reinhard Bütikofer. Gleichzeitig bedeutet das Machtvakuum für ihn, dass es um die Verhandlungen mit der EU bereits vor dem ersten Verhandlungstag schlecht bestellt ist: "Die Zeit für eine vernünftige Aushandlung des britischen EU-Austrittes wird angesichts der unklaren Führungssituation sehr knapp", sagte Bütikofer der Deutschen Presse-Agentur. FDP-Europaparlamentarier Alexander Graf Lambsdorff konnte sich eine gewisse Schadenfreude gegenüber Theresa May aber nicht verkneifen: "Nun steht Theresa May da mit Torte im Gesicht", sagte er im Interview mit dem Nachrichtensender Phoenix. 

Unsicherheit ist Gift für deutschen Außenhandel

All das sind Horrormeldungen auch für die deutsche Wirtschaft, für die Großbritannien der drittgrößte Exportmarkt ist. "Der Fahrplan für die Brexit-Verhandlungen ist nun Makulatur", sagte Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK). Außenhandelspräsident Anton Börner befürchtet, dass eine geschwächte britische Regierung mit noch radikaleren Forderungen am Brexit-Verhandlungstisch auftauchen könnte. DIHK-Hauptgeschäftsführer Wansleben plädierte ungeachtet des britischen Wahlergebnisses dafür, die Themen-Schwerpunkte für die Brexit-Verhandlungen nicht zu ändern. Die Zukunft der EU-Bürger im Vereinigten Königreich müsse einer der wichtigsten Punkte in den Verhandlungen bleiben. "Unsere deutschen Unternehmen brauchen eine schnelle Einigung auf den künftigen Status der in Deutschland lebenden Briten und der in UK lebenden EU-Bürger", erklärte Wansleben.