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KonflikteUkraine

Deutschland erwägt Marschflugkörper-Ringtausch für Ukraine

25. Januar 2024

Seit Monaten ist in Deutschland die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine umstritten. Nun deutet sich eine Lösung an: über einen Umweg.

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Ein Taurus-Marschflugkörper im Übungseinsatz
Ein Taurus-Marschflugkörper im Übungseinsatz (Archivbild) Bild: picture alliance/dpa/Bundeswehr

Deutschland will sich möglicherweise über einen Ringtausch an der Lieferung von Marschflugkörpern in die Ukraine beteiligen. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur (dpa) gibt es Überlegungen, NATO-Partnern wie Großbritannien oder Frankreich Fernlenkwaffen der Bundeswehr vom Typ Taurus zu liefern. Im Gegenzug würden diese Länder dann ähnliche, nicht ganz so leistungsstarke Waffensysteme in die Ukraine exportieren.

Britische Storm Shadow für die Ukraine

Das "Handelsblatt" berichtet unter Berufung auf Diplomaten und Regierungsvertreter, Großbritannien habe bereits vor Wochen angeboten, der Ukraine im Gegenzug für Taurus weitere seiner Marschflugkörper vom Typ Storm Shadow überlassen zu wollen. Dieses Angebot werde noch geprüft. Das Kanzleramt in Berlin wollte den Bericht am Mittwochabend nicht kommentieren.

Das britische Verteidigungsministerium teilte auf eine dpa-Anfrage zu dem Bericht lediglich mit: "Das Vereinigte Königreich und unsere Partner, darunter Deutschland, arbeiten weiterhin zusammen, um die Ukraine bestmöglich für die Verteidigung ihres Hoheitsgebiets auszurüsten." Über eine internationale Koordinierungsstelle in Stuttgart würden erhebliche Mengen an Rüstungsgütern bereitgestellt.

Ein Marschflugkörper der baugleichen Typen Scalp und Storm Shadow
Ein Marschflugkörper der baugleichen Typen Scalp und Storm ShadowBild: Guillaume Souvant/AFP

Ein Ministeriumssprecher verwies darauf, dass Großbritannien seine Militärhilfe für die Ukraine in diesem Jahr auf 2,5 Milliarden Pfund (etwa 2,9 Milliarden Euro) aufstocken will. Auf die Ringtausch-Idee ging der Sprecher nicht ein.

Differenzen in Regierungsparteien

In den deutschen Regierungsparteien trifft die Ringtausch-Idee auf ein geteiltes Echo. Der für Verteidigung zuständige SPD-Haushaltsexperte Andreas Schwarz sagte dem "Handelsblatt" zu dem britischen Vorschlag: "Wenn es der Ukraine nutzt, dann ist das sicherlich eine Option im Zuge der internationalen Zusammenarbeit."

Dagegen sieht die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Bundestages, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, in dem Ringtausch keine gute Lösung. "Die Ukraine braucht Taurus, und zwar sofort", sagte sie. Der Sinn eines Ringtauschs erschließe sich ihr nicht. "Dann ist Taurus für die Bundeswehr nicht mehr vorhanden, und die Ukraine hat trotzdem keine. Storm Shadow ist kein gleichwertiger Ersatz. Insofern ist der Vorschlag untauglich", so die FDP-Politikerin.

Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Bundestages,  Marie-Agnes Strack-Zimmermann
Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Bundestages, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP)Bild: Jens Krick/Flashpic/picture alliance

Noch kritischer äußerte sich der Grünen-Politiker Anton Hofreiter. Die Ringtausch-Idee zeige "exemplarisch die Schwäche" von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bei der Unterstützung der Ukraine, sagte Hofreiter der dpa. Die Botschaft sei: "Großbritannien kann liefern, aber Deutschland nicht." Ein Ringtausch wäre zwar besser als gar nichts. Aber das deutsche Taurus-System sei deutlich besser als die Waffensysteme der Verbündeten, da es durch elektronische Kriegsführung kaum gestört werden könne, betonte der Vorsitzende des Europaausschusses des Bundestags.

Nach Ansicht des Verteidigungsexperten der oppositionellen CDU, Roderich Kiesewetter, ist ein solcher Ringtausch "peinlich für Deutschland" und widerspricht einem deutschen Führungsanspruch in Europa. "Außerdem ist es ein Zeichen mangelnden Vertrauens in die Ukraine, wenn Deutschland dem Angebot nachkommt", betonte Kiesewetter. "Deshalb sollte Deutschland endlich direkt liefern, denn die Unterstützung der Ukraine auch mit Taurus dient unserer eigenen Sicherheit, verhindert Massenflucht und eine Ausweitung des Krieges."

Scholz beim Thema Taurus zurückhaltend

Die Ukraine hatte die Bundesregierung bereits im Mai vergangenen Jahres offiziell um Taurus-Marschflugkörper gebeten. Die Waffen können Ziele in bis zu 500 Kilometern Entfernung mit großer Präzision treffen.

Bundeskanzler Olaf Scholz
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD)Bild: Franc Zhurda/AP/picture alliance

Bundeskanzler Scholz hatte sich Anfang Oktober vorerst gegen eine Lieferung entschieden. Dahinter steckt die Befürchtung, dass der Beschuss russischen Territoriums mit deutschen Waffen zu einer weiteren Eskalation des Konflikts führt und Deutschland mit hineingezogen wird. Russlands Hauptstadt Moskau liegt etwas weniger als 500 Kilometer Luftlinie von der ukrainischen Grenze entfernt, also in Taurus-Reichweite.

Ukraine: Wollen nicht Moskau angreifen

Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba war den deutschen Bedenken in einem am Mittwoch veröffentlichten Interview von "Bild", Welt.tv und "Politico" erneut entgegengetreten. "Wir brauchen keinen Taurus, um Moskau anzugreifen", versicherte er. Er betonte, dass die Ukraine das Waffensystem stattdessen benötige, um die russische militärische Infrastruktur auf dem von Russland besetzten ukrainischen Gebiet zu zerstören.

Großbritannien und Frankreich haben der Ukraine zu diesem Zweck bereits Marschflugkörper der praktisch identischen Typen Storm Shadow und Scalp geliefert. Diese gelten aber als nicht so zielgenau und leistungsstark wie Taurus. Der französische Verteidigungsminister Sébastian Lecornu kündigte erst vor wenigen Tagen die Lieferung weiterer 40 Scalp-Raketen an. Frankreich soll knapp 400 davon haben. Der Taurus-Bestand der Bundeswehr liegt nach Experten-Schätzung bei etwa 500.

sti/AR (dpa, rtr)