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Deutschland: Gewalt im Jugendfußball steigt an

6. Juni 2023

Nach dem tödlichen Vorfall bei einem Jugend-Fußballturnier stellen sich viele Eltern die Frage nach der Sicherheit ihrer Kinder. Experten beobachten einen Anstieg der Gewalt.

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Das Foto zeigt Kinderbeine beim Fußballspiel
Der Tod eines Jugendspielers nach einem Angriff durch einen Gegenspieler bei einem Fußballturnier schockiertBild: Norbert Schmidt/picture alliance

"Beim Abklatschen nach dem Spiel gibt es oft Beleidigungen, böse Blicke, auch wenn man dann in die Kabine geht. Die Gewinnermannschaft provoziert meistens." Für den 14-jährigen Elias sind provozierende Beleidigungen rund um seine Fußball- und Handballspiele ganz normal - und das schon seit einigen Jahren. "Das fängt so mit 12 Jahren an", erklärt er der Deutschen Welle. Bis jetzt sei es aber bei aggressivem verbalen Verhalten geblieben, eine brutale Prügelei habe er nicht erlebt. "Aber man kann sich vorstellen, dass es passiert." 

In Frankfurt ist es passiert. Bei dem internationalen Nachwuchs-Fußballturnier "German Cup" kam es am Pfingstwochenende zu einem tödlichen Gewaltvorfall. Der 15-jährige Paul aus Berlin verstarb an seinen schweren Hirnverletzungen. Nun fragen sich viele Eltern: Wie sicher ist mein Kind beim Fußball? Und: War das nur eine Frage der Zeit, bis so etwas passiert?

Kriminologin: Gewalt im Jugendfußball nimmt zu

In Deutschland sind mehr als 24.500 Fußballvereine mit knapp 150.000 Mannschaften im Deutschen Fußball-Bund (DFB) organisiert. Woche für Woche findet somit eine Vielzahl von Spielen statt, dazu kommen die Turniere, auch internationale. Piet Keusen ist Turniersprecher der U19 Champions Trophy in Düsseldorf, die über die Ostertage ausgerichtet wird und sich an die Nachwuchsteams von namhaften Vereinen richtet. 

Er habe in 20 Jahren noch nie ein Problem mit Gewalt bei diesem Turnier gehabt, sagt Keusen der DW. Da die Spieler auf den Sprung in den Profikader hoffen, könnten sie sich das gar nicht leisten. Und mögliche Problemfälle seien in dem Alter schon gar nicht mehr dabei. Ist das Gewaltproblem also ein Problem des Amateurfußballs?

Kriminologin Thaya Vester forscht an der Universität Tübingen genau zu diesem Thema und berät den DFB. Sie habe in den letzten Jahren den Trend beobachtet, dass es in den Jugendspielklassen häufiger zu Gewalt komme, sagte sie der DW: "Früher war das hauptsächlich ein Problem im Herrenbereich und der A- und B-Jugend. Inzwischen sind auch die C- und D-Jugend betroffen. Auch bei den ganz Kleinen gibt es bereits Konflikte - dort sind aber insbesondere die Eltern und die Trainer das Problem." 

Psychologin: Affektkontrolle bei Jugendlichen sinkt

Es fängt also schon im Kinderfußball an, Eltern und Trainer haben dort eine wichtige Vorbildfunktion. Warum aber eskaliert die Gewalt unter Jugendlichen im Moment - zumindest gefühlt - so sehr? Mangelnde Affektkontrolle und verschiedene Einflüsse wie Videospiele und Virtual Reality könnten zu solch gewalttätigen Handlungen führen, erklärt Psychologin Marion Sulprizio von der Deutschen Sporthochschule Köln. Dabei seien demjenigen, der den Aussetzer hat, die Konsequenzen seiner Tat nicht bewusst. Auch nicht bei Schlägen oder Tritten gegen den Kopf.

Kinder beim Fußballspiel, von hinten durch das Tornetz fotografiert
Schon bei den jüngsten Fußballern gibt es Gewaltausbrüche - allerdings meist verbal und durch Eltern und TrainerBild: Trygve Finkelsen/Zoonar/picture alliance

Psychische Erkrankungen, einschließlich Aggressivität bei Jugendlichen hätten zudem während der Corona-Pandemie zugenommen. Auch das Alter und das Geschlecht spielten dabei eine Rolle. Denn während der Pubertät strotzt der Körper nur so vor Kraft und im Gehirn formen sich neue neuronale Vernetzungen, so Sulprizio. "Es wird ja manchmal auch gesagt, es ist die totale Baustelle da oben im Kopf." 

Wie kann man dem entgegentreten? Es sei in diesem Zusammenhang vor allem notwendig, genauer auf das Verhalten der Spieler zu achten und Anlaufstellen für abnormes Verhalten einzurichten. "Es gibt mittlerweile ja Kinderschutzbeauftragte in den Vereinen, die sich um solche Dinge kümmern." Es müsse sich eine Kultur des Hinsehens entwickeln. 

Gewaltprävention muss vor Ort stattfinden

Kriminologin Vester ist der Meinung, dass Trainer und Vereine viel früher einschreiten und deutliche Grenzen setzen müssen. "In solchen Situationen ist es wichtig, dass es Personen gibt, die das Geschehen runterkühlen und nicht noch weiter anfachen. Insbesondere Rudelbildungen müssten viel früher unterbunden werden. Hierfür müssen aber Verantwortungen festgelegt werden, damit sich jemand dafür zuständig fühlt."

Ordner sind bereits auch im Amateurbereich bei bestimmten Spielen vorgeschrieben. Zudem kann jeder Verein sein Hausrecht durchsetzen und ein Schiedsrichter kann anordnen, dass Zuschauer die Anlage verlassen müssen, erklärt Andreas Kotira. Er ist Kreisschiedsrichter-Obmann in Kempen-Krefeld und hat in seiner 39-jährigen Erfahrung als Schiedsrichter schon so manch ein ernstes Wörtchen mit aufbrausenden Spielern oder Zuschauern gesprochen. "Ich erkenne recht schnell, wenn richtig Tamtam gemacht wird, und unterbinde das auch. Also ich gehe dann hin und frage: Wo sind die Ordner? Bitte sorgen Sie hier für Ruhe." Diese Sozialkompetenz werde auch immer wichtiger in der Schiedsrichter-Ausbildung.

Dortmunder Spieler diskutieren mit Schiedsrichter Danny Makkelie (M).
Schiedsrichter sehen sich in allen Spiel- und Altersklassen Unverständnis und Gewalt ausgesetztBild: David Inderlied/dpa/picture alliance

Kotira sieht die Veranwortung aber auch bei den Vereinen, die ihre Spieler und Trainer in Sozialkompetenz besser schulen sollten, um Gewalt - auch gegen Schiedsrichter - zu verhindern. Er selbst hat in einem Pilotprojekt von Bayer Uerdingen Juniorenspieler für das Schiedsrichterwesen sensibilisiert. "Damit die einfach mal verstehen, wie schwer es ist, als Schiedsrichter unterwegs zu sein." Das Projekt ist laut Kotira ein voller Erfolg, andere Vereine hätten schon ihr Interesse bekundet. 

In Deutschland gebe es einige solcher Präventionsansätze, oft scheitere es aber an der Umsetzung, kritisiert Kriminologin Vester. Sie fordert gewisse Leitplanken, die der DFB in seiner Verantwortung als Dachverband vorgeben sollte. Doch für sie ist der jeweilige Verein mit in der Verantwortung: "Die tatsächliche Gewaltprävention muss dann vor Ort erfolgen."