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Deutschland: Mehr Geld für Verteidigung statt Sozialstaat?

22. Februar 2024

Bundeskanzler Olaf Scholz will die Bundeswehr schon bald aus dem laufenden Haushalt aufrüsten. Zu Lasten der Sozialausgaben? Das befürchten vor allem Politiker von SPD und Grünen.

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Panzer statt Bürgergeld? Kanzler Scholz sitzt auf einem Gepard-Panzer auf einem Übungsplatz in Schleswig-Holstein im August 2022.
Bild: Marcus Brandt/dpa/picture alliance

Mit einem fast beiläufigen Satz hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD)  die Gemüter im politischen Berlin erhitzt. In einem Interview sagte Scholz der "Süddeutschen Zeitung" am vergangenen Wochenende: "Mein Ziel ist es, dass wir nach dem Auslaufen des Sondervermögens die Ausgaben für die Bundeswehr aus dem allgemeinen Haushalt finanzieren." Das Sondervermögen, das sind jene 100 Milliarden Euro, die die von Scholz geführte Regierung vor zwei Jahren, nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine, für die deutsche Armee zur Verfügung stellte - aus Schulden finanziert.

Verdoppelung des Wehretats?

Aber nach den bisherigen Planungen ist das Geld bereits 2027 aufgebraucht. Munition wurde beschafft, teure Waffensysteme wurden in Auftrag gegeben, aber eben nur bis 2027 kalkuliert. Experten haben errechnet, dass danach 108 Milliarden Euro nötig wären. Das ist mehr als doppelt so viel, wie bisher für die Verteidigung im Haushalt vorgesehen waren, nämlich rund 52 Milliarden Euro. 

Und diese Mehrkosten sollen dann einfach so "an anderer Stelle eingespart" werden, wie Scholz in dem Interview nebenbei anmerkte? Das kann dann wohl nur im größten Etatposten passieren: dem für soziale Ausgaben. In diesem Jahr gibt der Staat für das Bürgergeld für Menschen ohne Arbeit, für anders sozial benachteiligte Gruppen und Rentner rund 176 Milliarden Euro aus mehr als ein Drittel des gesamten Haushalts.

"Ohne Sicherheit auch kein Sozialetat"

Dass die Bundeswehr, woher auch immer, dramatisch mehr Geld braucht, um als wirklich moderne Armee das Land auch gegen einen möglichen Angriff verteidigen zu können, glaubt auch Roderich Kiesewetter, Verteidigungsexperte der CDU-Opposition. Der frühere Soldat und jetzige Bundestagsabgeordnete stimmt mit der Wehrbeauftragten des Bundestages, Eva Högl von der SPD, überein. Högl schätzt die Summe auf 300 Milliarden Euro.

Eine geöffnete Geldbörse mit Geldscheinen und ein ein darunter liegender Rentenbescheid
Fast 130 Milliarden Euro gibt die Regierung 2024 aus, um die staatliche Rente zu unterstützenBild: K. Schmitt/Fotostand/picture alliance

Kiesewetter erinnert im Gespräch mit der DW an die vielen Krisen, die auch Deutschland in kürzester Zeit ereilt haben: Die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten etwa. Er sagt der DW: "In dieser Lage ist es zwingend, dass der Bevölkerung endlich reiner Wein eingeschenkt wird und klargemacht wird, dass wir priorisieren und etwas ändern müssen, wenn wir weiterhin in Freiheit und Demokratie leben wollen." Ohne die notwendige Sicherheit werde die Wirtschaft auf Dauer ruiniert, ganz andere Einschränkungen auch im Sozialetat würden nötig, wenn etwa die Ukraine zerfalle und weitere Millionen Menschen vertrieben würden.

Wurde der Kanzler falsch verstanden?

Kiesewetters Fazit: "Ich halte das Ausspielen von Verteidigungskosten gegenüber dem Sozialetat für eine absolut deplatzierte Debatte angesichts der Bedrohungslage, der auch Deutschland ausgesetzt ist."

Dennoch ist zunächst die Aufregung vor allem bei den Sozialdemokraten, der Partei des Kanzlers, und beim Koalitionspartner von den Grünen groß. Panzer und Waffen statt Bürgergeld und Rente? So lauten sinngemäß viele Schlagzeilen in Deutschland. Nach Ansicht von SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert ist Scholz in dem Interview missverstanden worden. In der ARD sagte Kühnert, die soziale Sicherheit und die territoriale Sicherheit Deutschlands, der EU und der Nato seinen "zwei untrennbare Seiten ein- und derselben Medaille."

Sollte Deutschland die Schuldenbremse aufheben? 

Konkreter wird dann Kühnerts Parteikollege, der Bundestagsabgeordnete Ralf Stegner. Stegner sagte dem Nachrichtenmagazin "Spiegel", innere und äußere Sicherheit dürften "niemals gegen sozialen Zusammenhalt ausgespielt werden". Es seien deshalb "entweder ein Sondervermögen für die Modernisierung unseres Landes oder zumindest eine Reform der Schuldenbremse notwendig". Wenn die Militärausgaben erhöht und gleichzeitig die Sozialausgaben gekürzt würden, um die Schuldenbremse einzuhalten, würde das die Rechtspopulisten stärken, warnte Stegner.

Roderich Kiesewetter von der CDU steht am Rednerpult des Bundestages.
Roderich Kiesewetter (CDU) will den "Menschen endlich reinen Wein einschenken" und der Aufrüstung der Bundeswehr Vorrang einräumenBild: picture alliance / Geisler-Fotopress

Grüne sind für Sondervermögen

Und darum geht es tatsächlich: Die gesetzliche Schuldenbremse schreibt vor, dass die Regierung nur in sehr begrenztem Umfang neue Kredite aufnehmen darf. Bei der Bundeswehr wählte sie deshalb die umstrittene Konstruktion eines Sondervermögens. Das sind neue Schulden, die außerhalb des Haushalts aufgenommen werden. Doch solche Sondervermögen kann die Regierung nicht unbegrenzt auflegen, so ist wohl die Bemerkung von Scholz zu verstehen.

Dennoch hält etwa die Vorsitzende der Grünen, Ricarda Lang,  einen solchen Weg für gangbar. Sie sagte kürzlich: "Das wäre eine Möglichkeit, sicherzustellen, dass wir genug für Verteidigung ausgeben." Lang fügte hinzu: "Die Finanzierung kann nicht allein aus dem laufenden Haushalt entstehen. Wir müssen dafür sorgen, dass die Sicherheitslage nicht gegen die soziale Sicherheit im Land ausgespielt wird."

FDP ist für Umschichtungen im Haushalt

Weniger Probleme mit sozialen Kürzungen hat aber offensichtlich der kleinste Koalitionspartner in der Regierung, die wirtschafts-liberale FDP. Im "Spiegel" sagte der FDP-Verteidigungspolitiker Alexander Müller: "Wir brauchen mehr Mittel, um die Kosten für Personal, Betriebsstoffe und Munition dauerhaft zu finanzieren. Das macht man nicht mit Extra-Schulden, sondern man muss im normalen Haushalt neu priorisieren."

Die deutsche Fregatte Hessen von hinten auf dem Meer
So kriegstüchtig wie die Fregatte Hessen, die hier aus Wilhelmshafen zum EU-Militäreinsatz im Roten Meer fährt, soll bald die ganze Bundeswehr seinBild: Sina Schuldt/dpa/picture alliance

Noch hat die Debatte erst begonnen, aber schon dreht sie sich im Kreis: Die Schuldenbremse verbietet neue Schulden im Haushalt, um sie zu ändern, braucht die Regierung ein Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag und somit auch die Stimmen der Opposition von CDU und CSU. Die lehnt einen solchen Plan aber ab. Also doch neue Sondervermögen? Das scheint am wahrscheinlichsten. Denn dass die Bundeswehr dringend modernisiert werden muss, bestreitet niemand.