Mehr Abschiebungen nach Nigeria geplant
10. Januar 2020Für die Bundesregierung ist es simple Mathematik: Über 38.000 Nigerianer haben zwischen Januar 2016 und August 2019 einen Asylantrag in Deutschland gestellt. Erfolgaussichten: schlecht. Ein Großteil wurde abgelehnt, die sogenannte Schutzquote liegt bei gerade mal 6,5 Prozent. Über 12.000 Nigerianer sind - wie es im Amtsdeutsch heißt - "ausreisepflichtig". Freiwillig aber geht kaum jemand zurück. Die Konsequenz aus Sicht der Bundesregierung: "Bund und Länder haben daher das gemeinsame Ziel, die Zahl der Rückführungen nach Nigeria deutlich zu erhöhen", schreibt die Bundesregierung als Antwort auf eine Anfrage der Linken-Bundestagsfraktion, die der DW vorliegt.
Gerade einmal 282 Menschen wurden zwischen Januar und August 2019 aus Deutschland nach Nigeria abgeschoben. Im gesamten Jahr zuvor waren es 195. Viele Abschiebungen scheitern, weil die nötigen Papiere fehlen. Laut Tageszeitung "Die Welt" hatten 97 Prozent aller nigerianischen Asylbewerber, die im ersten Halbjahr 2018 einen entsprechenden Antrag stellten, keine Ausweisdokumente dabei. Doch ohne Papiere keine Abschiebung. Für deren Ausstellung ist eigentlich die nigerianische Botschaft in Berlin zuständig. Mit deren Arbeit ist die Bundesregierung aber schon seit langem nicht zufrieden.
"Sie sagen, dass sich die Botschaft zu viel Zeit lässt", bekannte Nigerias Außenminister Geoffrey Onyeama in einem DW-Interview 2018. Nigerianische Zeitungen berichteten im gleichen Jahr, dass der außenpolitische Berater der Bundeskanzlerin mit Nigerias Regierung über eine schnellere Rücknahme abgelehnter Asylbewerber verhandeln wollte. Auch bei einem Nigeria-Besuch der Kanzlerin im selben Jahr stand das Thema ganz oben auf der Tagesordnung, aber ohne dass eine Einigung bekannt wurde.
Ist die Bundesregierung skrupellos?
Nun setzt die Bundesregierung aus Sicht ihrer Kritiker auf Druck. "Quantitativ gibt es nicht viele Abschiebungen nach Nigeria. Aber die Abschiebungen laufen Gefahr, mit einer viel größeren Härte durchgeführt zu werden", sagt Karl Kopp von ProAsyl zur DW. Von "Skrupellosigkeit" spricht die linke Bundestagsageordnete Ulla Jelpke. "Diese Abschiebungen sind zum Teil sehr brutal mit Fesselungen, mit Trennung von Familienangehörigen", so Jelpke im DW-Interview.
15 Mal hoben vergangenes Jahr Abschiebeflüge per Chartermaschine von deutschen Flughäfen mit Ziel Nigeria ab. Doch die Flüge sind umstritten. Immer wieder machten die Betroffenen nach solchen Abschiebeflügen schwere Vorwürfe: Einige der Abgeschobenen gaben an, sie seien während des mehrstündigen Flüges gefesselt gewesen. Andere sollen gegen ihren Willen mit Medikamtenten ruhig gestellt worden sein. Kinder und Eltern seinen voneinander getrennt worden.
Die Bundesregierung weist einen Großteil der Vorwürfe zurück. Der Bundesregierung lägen keine Angaben vor, "welche die Annahme stützen würden, dass Rückzuführende bei dieser Maßnahme menschenunwürdig" behandelt worden seien, heißt es in der Antwort auf die kleine Anfrage Jelpkes. Familienangehörige seien nicht getrennt worden. Nur einzelne Personen, die Widerstand geleistet hätten, sein gefesselt worden - zwischen drei und elf Stunden lang. Nach der Übernahme durch die Bundespolizei habe auch niemand gegen seinen Willen Medikamente bekommen.
Abgeschobene landen auf der Straße
Kritik gibt es auch an der Situation nach der Ankunft der Flüge in Nigeria. Nach der Landung übergaben die deutschen Sicherheitskräfte die Abgeschobenen an die nigerianische Einreisebehörde, die sie noch einmal kontrollierte. Hilfe bei der Weiterreise in ihre Heimatorte sollen sie nicht erhalten haben. "Man hat die Menschen einfach fallengelassen", schimpft Rex Osa, ein nigerianischer Flüchtlingsaktivist, der nach eigenen Angaben abgeschobene Migranten in Nigeria unterstützt. "Sie mussten darum betteln, dass Passanten ihnen Handys leihen, um ihre Familien anzurufen. Andere mussten auf der Straße schlafen, bis sie einen Weg fanden, zu ihren Familien zu kommen", so Osa zur DW. Die Bundesregierung verweist darauf, dass grundsätzlich die lokalen Behörden zuständig sind, nachdem die Abgeschobenen in ihr Heimatland zurückgekehrt sind.
Wenig Erfolg hat aus Sicht der Linken bisher das Programm "Perspektive Heimat" gebracht. Eigentlich soll es Rückkehrern dabei helfen, beruflich wieder Fuß zu fassen. So sollen vor abgelehnte Asylbewerber motiviert werden, freiwillig heimzukehren. In Nigeria finanziert die Bundesregierung drei Beratungszentren in Abuja, Benin-City und Lagos. Sie sollen Rückkehrern und der lokalen Bevölkerung bei der Jobsuche helfen - durch Beratung, Qualifizierung und Kontakte. 1,9 Millionen Euro hat die Bundesregierung für die Projekte 2019 zur Verfügung gestellt.
Kritik an Rückkehrerprogrammen
8064 Personen haben sich nach Informationen der Bundesregierung 2019 dort beraten lassen. Dadurch sollen 2441 Beschäftigungsverhältnisse entstanden sein. Welche genau, wird aber nicht mitgeteilt. Genau das lässt Ulla Jelpke zweifeln: "Es macht mich stutzig, dass die Bundesregierung keine Angaben dazu machen kann, ob es sich um dauerhafte Arbeitsstellen handelt, also dass den Menschen eine langfristige Perspektive geboten wird."
Auch Flüchtlingsaktivist Rex Osa glaubt nicht, dass "Perspektive Heimat" nachhaltig hilft: "Manche Menschen haben sogar schon verschiedene Qualizierungsmaßnahmen mitgemacht und sie sitzen immer noch auf der Straße", sagt er. Jobs gebe es in Nigeria meist nur im informellen Sektor - zum Beispiel als fliegender Händler - was aber kaum zum Überleben reiche. Osa: "Ich kenne Menschen, die darüber nachdenken, sich wieder auf den Weg nach Europa zu machen."