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Deutschland nach dem Koalitionsbruch: Wie geht es weiter?

7. November 2024

Es wird Neuwahlen geben, aber wann? Bundeskanzler Olaf Scholz möchte bis Januar 2025 mit einer Minderheitsregierung aus SPD und Grünen weitermachen. Die Opposition im Bundestag mahnt zur Eile.

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Olaf Scholz und Robert Habeck sitzen nebeneinander im Bundestag
Bundeskanzler Olaf Scholz und sein grüner Vizekanzler Robert Habeck setzen darauf, dass Deutschland auch mit einer Minderheitsregierung einige Zeit gut leben kannBild: Ann-Marie Utz/dpa/picture alliance

Was kann passieren und was muss passieren? Das war am Tag nach dem Bruch der sogenannten Ampelkoalition die Frage, auf die alles hinauslief. Eine Frage, die Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ganz anders beantwortet als die Opposition. Die verlangt Tempo. So auch die Unionsparteien CDU und CSU, die nach den derzeitigen Umfragen die größten Chancen hätten, als stärkste Kraft aus Neuwahlen hervorzugehen.

Schon am frühen Donnerstagmorgen (07.11.2024) traf sich die Partei- und Fraktionsführung um CDU-Chef Friedrich Merz. "Die Ampel hat keine Mehrheit mehr im Deutschen Bundestag und damit haben wir den Bundeskanzler aufzufordern - und zwar mit einem einstimmigen Beschluss der CDU/CSU-Bundestagsfraktion -, jetzt sofort die Vertrauensfrage zu stellen, spätestens Anfang nächster Woche", so Merz anschließend. 

Kanzler Olaf Scholz will sich nicht drängen lassen

Die Vertrauensfrage stellen, das heißt, dass der Kanzler sich selbst zur Abstimmung stellt. Normalerweise hat er die Mehrheit der Parlamentarier hinter sich. Doch nach dem Koalitionsbruch werden nur noch die Abgeordneten von SPD und Grünen für ihn stimmen und die FDP-Abgeordneten nicht mehr. Verliert ein Kanzler die Vertrauensfrage, dann gibt das Grundgesetz klare Vorgaben für das weitere Verfahren, das zu Neuwahlen führt.

Deutschland | Nach dem Bruch der Ampel-Koalition - Bundeskanzler Scholz steht vor einer blauen Wand und redet. Er hat dabei beide Hände gestikulierend erhoben.
Bundeskanzler Olaf Scholz am Tag nach dem Ampel-BruchBild: Carsten Koall/dpa/picture alliance

Doch Scholz hat seinen eigenen Zeitplan, den er am Mittwochabend bereits verkündete und bei dem er auch bleiben will. Er will erst am 15. Januar 2025 die Vertrauensfrage stellen und bis dahin mit einer Minderheitsregierung aus SPD und Grünen weitermachen. "Die Regierung tut ihre Arbeit, das wird die nächsten Wochen und Monate so sein und die Bürgerinnen und Bürger werden bald die Gelegenheit haben, neu zu entscheiden, wie das weitergehen soll", sagte er auf einer Konferenz der Betriebsräte der Telekom, an der er am Donnerstagmorgen wie geplant teilnahm. 

Opposition im Bundestag kann Kanzler nur mit Mehrheit stürzen

SPD und Grüne wollen vor Neuwahlen noch einige Gesetze durchbringen und sie brauchen Zeit, um sich für Neuwahlen in Position zu bringen. Ihre Umfragewerte sind miserabel, die Ampel hatte es zuletzt geschafft, zur unbeliebtesten Regierung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland zu werden. Zeit, die sie sich tatsächlich selbst verschaffen können, denn niemand kann den Kanzler zwingen, die Vertrauensfrage zu stellen. 

Scholz: "Schaden von unserem Land abwenden"

Das Grundgesetz sieht für die Opposition lediglich die Möglichkeit eines sogenannten konstruktiven Misstrauensvotums vor. Dafür müssten die oppositionellen Parteien aber eine eigene Mehrheit organisieren und das wäre nur möglich, wenn sich CDU/CSU mit allen anderen Parteien gegen SPD und Grüne zusammenschließen würde - auch mit der in Teilen rechtsextremen AfD. Und das kommt für die Union nicht in Frage.

"Politische Insolvenzverschleppung"

Friedrich Merz, der bei der nächsten Bundestagswahl als Kanzlerkandidat für CDU/CSU ins Rennen gehen wird, schäumt. Es sei "politische Insolvenzverschleppung", Neuwahlen hinauszuzögern. Ins gleiche Horn blies der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder, der von einem "Scherbenhaufen" sprach und ebenfalls eine umgehende Vertrauensfrage und Neuwahlen verlangte. "Scholz, Habeck und Lindner sind komplett gescheitert", so Söder in München. Den Bruch der Ampel bezeichnete er als "ein Symbol für den Niedergang Deutschlands".

Nach Ampel-Aus | Friedrich Merz auf Weg zum Kanzler
CDU-Chef Friedrich Merz möchte der nächste Bundeskanzler werdenBild: Markus Schreiber/AP/picture alliance

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mahnt hingegen zu Besonnenheit. "Viele Menschen in unserem Land blicken mit Sorge auf eine unsichere politische Lage in unserem eigenen Land, in Europa, in der Welt, auch nach den Wahlen in den USA", so Steinmeier in Berlin. "Es ist nicht die Zeit für Taktik und Scharmützel, es ist die Zeit für Vernunft und Verantwortung. Ich erwarte von allen Verantwortlichen, dass sie der Größe der Herausforderungen gerecht werden."

Drei Minister der FDP gehen, einer bleibt

Zu den Verantwortlichen, die jetzt gefragt sind, zählt auch der Bundespräsident selbst. Am Donnerstagmittag überreichte er Bundesfinanzminister Christian Lindner die Entlassungsurkunde. Der Kanzler hatte am Mittwochabend mit dem FDP-Chef gebrochen. Entlassungsurkunden gab es auch für Justizminister Marco Buschmann und Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger. Die beiden FDP-Politiker hatten ihren Rückzug selbst verkündet. Bundesverkehrsminister Volker Wissing will hingegen im Amt bleiben. Er trat dafür aus der FDP aus.

Nach Ampel-Aus | Bundespräsident Steinmeier mit alten und neuen Ministern.  Bundeskanzler Olaf Scholz (l-r, SPD), Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Jörg Kukies (SPD), neuer Bundesminister der Finanzen, Volker Wissing, Bundesminister für Digitales und Verkehr sowie neuer Bundesminister der Justiz, Christian Lindner (FDP), ehemaliger Bundesminister der Finanzen, Marco Buschmann (FDP), ehemaliger Bundesminister der Justiz und Bettina Stark-Watzinger (FDP), ehemalige Bundesministerin für Bildung im Schloss Bellevue.
Kanzler Olaf Scholz (l.) neben Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und den entlassenen und neu ernannten MinisternBild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Das Finanzministerium wird bis zu Neuwahlen von Jörg Kukies übernommen. Der Wirtschaftswissenschaftler arbeitete lange Zeit für die Investmentbank Goldman Sachs. Bevor er 2021 als Staatssekretär ins Kanzleramt wechselte, war er in gleicher Funktion im Bundesfinanzministerium im Dienst. Die beiden anderen Ministerien werden von amtierenden Ministern mit übernommen.

Bundespräsident Steinmeier: Früher SPD, heute unparteiisch?

Der Bundeskanzler und die anderen Minister bleiben im Amt. Der Bundespräsident muss laut Grundgesetz über die Auflösung des Bundestages erst entscheiden, wenn das Parlament dem Kanzler das Vertrauen entzieht. "Zu dieser Entscheidung stehe ich bereit", so Steinmeier. 

Rund 18 Jahre war Steinmeier als führender Sozialdemokrat Minister und in anderen politischen Ämtern, bevor er 2017 erstmals Bundespräsident wurde. Seitdem ruht seine Mitgliedschaft in der SPD. Der 68-Jährige ist sich natürlich darüber bewusst, dass er leicht in den Verdacht geraten kann, trotzdem parteiisch zu sein. Wohl auch deswegen betont er, das weitere Verfahren kritisch beobachten zu wollen. "Unser Land braucht stabile Mehrheiten und eine handlungsfähige Regierung. Das wird mein Prüfungsmaßstab sein." 

Steinmeier appelliert in Regierungskrise an Verantwortung

Wer hat Schuld am Ampel-Bruch?

Doch nicht nur die Frage, wie es nun in Deutschland weitergeht, war am Tag nach dem Ampel-Bruch Thema in Berlin. SPD, Grüne und FDP kämpfen auch darum, die jeweilige Deutungshoheit über die Gründe für das Ampel-Aus zu behalten. Der Kanzler hatte bereits am Mittwochabend nicht mit Vorwürfen gegen Christian Lindner gespart. Nun legte er noch einmal nach. 30 Milliarden Euro habe Deutschland bisher allein an militärischer Hilfe für die Ukraine geleistet. Zwölf Milliarden Euro jährlich koste die Aufnahme von Geflüchteten aus der Ukraine. 

"Wenn man zu der Überzeugung kommt, das müssen wir einfach mal so nebenbei ausschwitzen, dann zündet man das Land an, das will ich ausdrücklich an dieser Stelle sagen", so Scholz. Für die Finanzierung aus dem laufenden Haushalt sei bislang "alles ausgekratzt" worden, "was man irgendwo finden konnte in den Ecken unseres Haushaltes". 

Nach Ampel-Aus | Bundespräsident Steinmeier übergibt Entlassungsurkunde an Lindner
FDP-Chef Christian Lindner (r.) erhielt von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Entlassungsurkunde als BundesfinanzministerBild: Lisi Niesner/REUTERS

Der ewige Streit um die Schuldenbremse

SPD und Grüne hatten immer wieder gefordert, die sogenannte Schuldenbremse auszusetzen und neue Kredite aufzunehmen. Doch dafür war die FDP nicht bereit. "Irgendwann ist der Punkt erreicht, wo die Entscheidung lautet: Entweder wir spielen innere Sicherheit, äußere Sicherheit, soziale Sicherheit, wirtschaftliche Sicherheit, gegeneinander aus und sorgen dafür, dass der Zusammenhalt und das Miteinander in Deutschland nicht mehr funktioniert, oder wir sagen, das ist eine große, zeitlich vorübergehende Herausforderung, vor der wir stehen, wo aber klar ist, das müssen wir ja außerhalb des normalen Haushalts finanzieren", so Kanzler Scholz.

Nach Ampel-Aus | Robert Habeck steht an einem Rednerpult im Bundeswirtschaftsministerium und spricht.
Auch der grüne Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck möchte die Neuwahlen noch hinauszögernBild: JOHN MACDOUGALL/AFP

Christian Lindner hält dagegen. Der Bruch der Ampel wäre nicht zwangsläufig gewesen, sagte der FDP-Chef. "Er ist politisch so gewollt worden, von anderen." Den ehemaligen Partnern warf er ein falsches Spiel vor. "Zu staatspolitischer Verantwortung gehört auch Stil in der Öffentlichkeit, damit die Demokratie keinen Schaden nimmt." Er werde sich an einem solchen Vorgehen nicht beteiligen. Auch Lindner plädiert dafür, den Weg für Neuwahlen schnell freizumachen. 

Doch der Kanzler und auch sein grüner Wirtschaftsminister und Vizekanzler Robert Habeck wollen bei ihrem Zeitplan bleiben. SPD und Grüne seien keine "geschäftsführende Koalition", sondern eine Minderheitsregierung und damit auch international voll handlungsfähig.