Deutschland ringt um sein Rentensystem
Veröffentlicht 24. März 2024Zuletzt aktualisiert 25. März 2024Die geburtenstarken Jahrgänge in Deutschland (geboren zwischen 1955 und 1969) gehen in den Ruhestand. Diese künftigen Rentner und Rentnerinnen haben eine gestiegene Lebenserwartung. Die Zahl der Erwerbstätigen im Land wächst jedoch nicht in gleichem Maße. Den einzahlenden Erwerbstätigen stehen damit immer mehr Rentenempfänger gegenüber. Wer also wird die Renten der Älteren bezahlen?
Das 1889 eingeführte deutsche Rentensystem basiert auf einer gesetzlichen Rentenversicherung, in der die Renten der heutigen Rentner aus den Versicherungsbeiträgen der heutigen Erwerbstätigen bezahlt werden - ein System, das als "Generationenvertrag" bekannt ist.
Zu Beginn der 1960er Jahre kamen noch sechs Arbeitnehmer auf einen Rentner. Heute liegt dieses Verhältnis bei 2:1 - und es sinkt weiter.
Ein beträchtlicher Teil des Bundeshaushalts fließt deshalb in die Stützung des Rentensystems: Im Jahr 2024 werden 127 Milliarden Euro in die Rentenkasse fließen, ein Drittel aller Staatsausgaben. Diese Summe wird sich bis 2050 voraussichtlich fast verdoppeln. Eine schlechte Nachricht in Zeiten hoher Ausgaben in anderen Bereichen wie etwa der Verteidigung.
Gleichzeitig sind die Rentner zur bedeutenden Wähler-Gruppe geworden. Daher ist die Sicherung des Rentensystems zu einem Thema geworden, über das heftig debattiert wird - und bei dem Handlungsbedarf besteht.
Die so genannte Ampel-Koalition aus Sozialdemokraten, Grünen und liberaler FDP will weder die Renten kürzen, noch die Rentenbeiträge erhöhen oder das Renteneintrittsalter stärker als bislang geplant anheben.
Neuer Plan: "Aktienrente"
Zur Lösung des Problems hat Finanzminister Christian Lindner von der FDP einen Plan vorgelegt, wonach der Bund einen Kredit in Höhe von zunächst zwölf Milliarden Euro aufnehmen und in den Aktienmarkt investieren soll.
Konkret soll ein Fonds aufgelegt werden, der von einer unabhängigen öffentlichen Stiftung verwaltet wird, als sogenanntes Generationenkapital. Es soll global gestreut in Aktien investiert werden, wobei die Gewinne zunächst wieder in die öffentlichen Kassen fließen.
"Über ein Jahrhundert wurden die Chancen des Kapitalmarkts für die Rente liegengelassen. Jetzt investieren wir damit in die Zukunft dieser Gesellschaft", schrieb Lindner auf X, ehemals Twitter.
Die Summe von zwölf Milliarden Euro soll in den Folgejahren um jährlich drei Prozent erhöht werden. Bis Mitte der 2030er Jahre sollen die Aktien mindestens 200 Milliarden Euro wert sein, um die gesetzliche Rentenversicherung zu stützen.
Die größte Oppositionspartei, die konservativen Christdemokraten (CDU), kritisieren den Plan als unwirksam.
Axel Knoerig (CDU), stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Arbeit und Soziales im Bundestag, sagte "Ippen.Media", das sogenannte Rentenpaket II garantiere "keineswegs eine langfristige Sicherung der Rente". Es sorge "in der Zukunft für steigende Beiträge und damit eine zusätzliche Belastung für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer".
Die CDU sei zwar nicht grundsätzlich gegen die Anlage am Kapitalmarkt, um zusätzliche Zinseinnahmen zu erzielen, aber das jetzige Konzept bringe "in Anbetracht der zusätzlichen Schuldenlast keine nennenswerte Rendite", so Knoerig.
Breit gestreute Aktienanlagen bringen nach Angaben des Deutschen Aktieninstituts durchschnittlich sechs bis acht Prozent Rendite pro Jahr. Finanzminister Christian Lindner geht von "mehr als drei, vier Prozent Rendite" aus.
Die Investition in den Aktienmarkt birgt das Risiko eines kompletten Verlustes, aber nach Angaben des Bundesfinanzministeriums soll ein Sicherheitspuffer zum Schutz des Stiftungsvermögens eingerichtet werden.
Wie funktioniert das gesetzliche Rentensystem in Deutschland?
In Deutschland ist die gesetzliche Rentenversicherung nur für Arbeitnehmer verpflichtend. Selbstständige können in das staatliche System einzahlen oder sich auf private Versicherungen verlassen. Beamte haben ihr eigenes Rentensystem. Diese beiden Gruppen machen etwa 12 Prozent der Erwerbsbevölkerung aus.
Politiker aus Parteien links der Mitte haben in der Vergangenheit immer wieder gefordert, diese oft gutverdienenden Personengruppen in die gesetzliche Versicherung zu integrieren. Nur so könne das System auf Dauer stabilisiert werden.
In die staatliche Rentenkasse fließen derzeit 18,6 Prozent des monatlichen Bruttogehalts eines Arbeitnehmers, wobei Arbeitnehmer und Arbeitgeber jeweils die Hälfte zahlen. Der monatliche Beitrag darf 1404,30 € nicht übersteigen.
Die Regierung geht davon aus, dass der Beitragssatz ab 2028 auf 20 Prozent und bis 2035 auf 22,3 Prozent ansteigen wird, wo er bis 2045 bleiben soll.
Das derzeitige "Rentenniveau" - der Betrag, der den Rentnern monatlich ausgezahlt wird - liegt bei 48 Prozent des durchschnittlichen Monatsgehalts, ein Prozentsatz, den die Bundesregierung bis 2040 gesetzlich garantieren will.
Im Jahr 2023 betrug die durchschnittliche monatliche Altersrente in Deutschland laut der Deutschen Rentenversicherung 1550 Euro.
Wenn die staatliche Rente nicht ausreicht
Aktuelle Zahlen der Deutschen Rentenversicherung zeigen, dass 61 Prozent der Rentnerinnen und Rentner weniger als 1200 Euro pro Monat aus der gesetzlichen Rentenversicherung erhalten. Jeder dritte Rentner erhält sogar weniger als 750 Euro.
Viele Frauen in Deutschland erhalten deutlich geringere oder gar keine Renten. Das liegt daran, dass sie in schlecht bezahlten Jobs gearbeitet haben. Viele sind jahrelang als Hausfrau keiner Erwerbsarbeit nachgegangen und oft erst lange nach der Geburt von Kindern wieder in den Beruf zurückgekehrt.
Der Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt nach vielen Jahren ist nicht einfach. Für viele reicht die Rente nicht aus, um über die Runden zu kommen. Sie arbeiten entweder, um ihre Rente aufzubessern, oder sie erhalten staatliche Sozialleistungen.
Wahlkampf 2025 steht bevor
Im Wahlkampf für die Bundestagswahl 2025 dürfte das Thema eine große Rolle spielen. Als "Stimme der deutschen Rentner" will Sahra Wagenknecht ihre neu gegründete, populistische Partei BSW, positionieren. Die ehemalige Spitzenpolitikerin der Linkspartei hat angekündigt, dass sie mit dem Thema Rentensicherheit Wahlkampf machen will.
"Die Rente ist das wahrscheinlich größte soziale Problem unserer Zeit", sagte Wagenknecht der "Augsburger Allgemeinen Zeitung". Es sei "ein sozialpolitischer Skandal", dass viele Menschen eine geringe Rente erhielten, trotz jahrzehntelanger Beitragszahlungen.
Es scheint fraglich, dass die Ampel-Regierung mit der geplanten Aktienrente im Wahlkampf 2025 punkten kann. Denn selbst wenn die geplante Aktienrente im Bundestag beschlossen werden sollte: Das Projekt könnte das Rentensystem nur sehr langfristig entlasten.
Dieser Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert.