Eine holprige Erfolgsgeschichte
16. März 2021Das historische Treffen wirkte fast zufällig. Beide, der deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer und der israelische Ministerpräsident David Ben-Gurion, waren gerade auf Reisen in den USA und beschlossen, sich am 14. März 1960 persönlich in New York zu begegnen. Nur 15 Jahre nach dem Holocaust hatten sie Unmögliches erreicht: ein Vertreter des Täter-Volkes am selben Tisch mit einem Vertreter des Opfer-Volkes.
Das deutsch-israelische Verhältnis war von Anfang an belastet. Das Jahrhundertverbrechen des Holocaust mit sechs Millionen ermordeten Juden machte Anfang der 1950er Jahre einen gegenseitigen Austausch so gut wie unmöglich. In israelischen Pässen stand der Vermerk: "Für alle Länder gültig außer Deutschland", Handel mit Deutschland war untersagt. Bis heute ist der Posten des Botschafters in Deutschland die einzige Position, die ein israelischer Diplomat ablehnen kann. Aber auch auf deutscher Seite war das Interesse an dem jungen jüdischen Staat gering. Eine Umfrage des Instituts für Demoskopie in Allensbach ergab, dass sich Anfang der 1950er Jahre nur elf Prozent der Befragten für eine finanzielle Entschädigung Israels aussprachen.
Der bekannte israelische Schriftsteller Amos Oz fasste die spezielle Verbindung der beiden Länder einmal zusammen, indem er seine Mutter zitierte: "Wenn die Deutschen sich selbst nicht vergeben, dann werden wir ihnen vielleicht irgendwann ein bisschen vergeben. Aber wenn sie sich selbst vergeben, dann werden wir ihnen nicht vergeben". Angesichts dessen erscheint es wie eine beispiellose Erfolgsgeschichte, dass heute geschätzt 10.000 Israelis in Berlin leben, es tiefe wissenschaftliche Kooperationen gibt und unzählige Austauschprogramme die beiden Länder verbinden.
Welchen steinigen, von Freundschaft, aber auch von Rückschlägen geprägten, Weg Israel und Deutschland dabei beschreiten mussten, zeigt ein Blick auf ihre Staats- und Regierungschefs. Wie diese Männer und Frauen miteinander auskamen sagt viel aus über den Zustand, in dem sich die deutsch-israelischen Beziehungen als Ganzes befanden.
Die Grundlagen
Konrad Adenauer und David Ben-Gurion machten im wahrsten Sinne des Wortes den Anfang. Die beiden Herren führten in einem fortgeschrittenen Alter ihre jungen Länder mit Pragmatismus und einem Sinn für Realpolitik. Das brachte sie schließlich an den Verhandlungstisch.
Schon 1952 hatten Adenauer und Ben-Gurion gegen teilweise massive Widerstände in ihren eigenen Ländern das Wiedergutmachungsabkommen unterzeichnet, in dem sich Deutschland verpflichtete, Waren und Dienstleistungen im Wert von 3,45 Milliarden Mark an Israel zu zahlen. Adenauer achtete persönlich und peinlich genau darauf, dass die Zahlungen pünktlich eintrafen. So schuf er das Vertrauen, das schließlich ein Treffen zwischen ihm und Ben-Gurion möglich machte.
Der ehemalige Leiter des Büros der Konrad Adenauer Stiftung in Israel, Michael Borchard, bezeichnet in seinem Buch "Eine unmögliche Freundschaft: David Ben-Gurion und Konrad Adenauer" den deutschen Kanzler als "rheinisch-katholischen Zionisten". Adenauer habe schon seit den 1920er Jahren ein tiefes Interesse am und eine Verbundenheit zum Judentum empfunden. Ben-Gurion auf der anderen Seite wusste, dass er das Geld aus Deutschland brauchte, um seinen jungen Staat aufzubauen. "Wenn es die Kombination dieser beiden großen und durchsetzungskräftigen Politiker nicht gegeben hätte, hätte es zumindest sehr viel länger gedauert, bis sich Deutschland und Israel angenähert hätten. Denn eine Selbstverständlichkeit war das in keinem Fall", sagt Borchard der DW.
Trotz aller Verbundenheit Adenauers und Ben-Gurions fiel der Entschluss, auch offiziell diplomatische Beziehungen aufzunehmen, nicht in die Amtszeit der beiden Regierungschefs. Erst 1965 unter Ludwig Erhard auf der deutschen und Levi Eschkol auf der israelischen Seite besiegelten beide Länder die diplomatischen Beziehungen.
Der Hoffnungsträger
Adenauer und Ben-Gurion waren bis auf ein Jahr fast zeitgleich im Amt. Das ist auch bei einer weiteren Kanzler-Premier-Paarung der Fall: Willy Brandt und Golda Meir. Beide führten von 1969 bis 1974 ihr Land. Das war nicht die einzige Gemeinsamkeit. Golda Meir, die erste und bislang einzige Ministerpräsidentin Israels, setzte große Hoffnungen in den sozialdemokratischen Willy Brandt, denn wie er hat sie ihre politischen Ursprünge in der sozialistischen Bewegung. Außerdem hatte sich der Antifaschist Brandt mit seinem berühmten Kniefall zu Ehren der Toten des Warschauer Ghettos in Israel Ansehen verschafft.
Deshalb setzte Meir im für Israel entscheidenden Jahr 1973 auf den deutschen Kanzler. Im Sommer des Jahres reiste Brandt nach Israel, nur wenige Monate später brach der Jom-Kippur-Krieg aus, der Israel an den Rand der Existenz brachte. Meir bat Brandt im Sommer, mit Ägypten zu vermitteln. Der Historiker Michael Wolffsohn argumentiert in seinem Buch "Die Schattenseiten deutscher Friedenspolitik in der Ära Brandt", dass Brandt damit den Krieg hätte verhindern können. Das habe er nicht getan, im Gegenteil.
Dass Brandt wirklich den Krieg hätte verhindern können, kann Wolffsohn allerdings nicht beweisen. Die Willy-Brandt-Stiftung widerspricht dem Historiker. Brandt habe "aus nachvollziehbaren Gründen eine Vermittlerrolle der Bundesrepublik im Nahost-Konflikt" abgelehnt und stattdessen die "Aufgabe des Nachrichtenübermittlers" übernommen. Welche Auslegung auch stimmen mag, die Hoffnung, die Meir in einer der dunkelsten Stunden Israels in ihren deutschen Amtskollegen setzte, erfüllte er schlussendlich nicht.
Die Krise
Die deutsch-israelischen Beziehungen standen trotz der Differenzen seit ihrer offiziellen Aufnahme 1965 auf einem sicheren Fundament, das allerdings auch immer wieder seine Fragilität bewies. Das zeigte sich sehr deutlich, als Helmut Schmidt in Deutschland und drei Jahre später Menachem Begin in Israel die Regierungsämter bekleideten.
Die beiden Männer waren sich, gelinde gesagt, nicht wohlgesonnen. Begins Eltern wurden beide im Holocaust ermordet. Er hatte die Wiedergutmachungszahlungen vehement bekämpft und als "Blutgeld" diffamiert. Schmidt, dem ehemaligen Wehrmachtsoffizier, warf Begin vor, persönlich an Kriegsverbrechen beteiligt gewesen zu sein. Schmidt wies das empört zurück und besuchte niemals dienstlich Israel. Nur zu einem privaten Besuch nach der Abwahl Begins erklärte er sich bereit. Unter Schmidt und Begin zeigten sich die Gräben zwischen den beiden Ländern überdeutlich. Es herrschte eine Eiszeit, die erst unter dem neuen Kanzler, Helmut Kohl, endete.
Der Freund Israels
Unter Kohls lange Amtszeit fielen gleich vier israelische Ministerpräsidenten. Obwohl Kohls Regierungszeit holprig und mit Missverständnissen begann, wird er heute in Israel geschätzt. Der ehemalige israelische Botschafter Avi Primor sagte 2017 der DW, dass die beiden Länder dank Kohl in den Bereichen Wissenschaft und Forschung enger kooperierten als Israel mit den USA.
Kohl ist aber auch der Kanzler der deutschen Einheit, die in Israel äußerst misstrauisch beäugt wurde. Der damalige israelische Premierminister Yitzhak Schamir sprach öffentlich die Befürchtung aus, ein geeintes und starkes Deutschland könnte den Holocaust an den Juden wiederholen. Kohl wendete sich daraufhin in einem persönlichen Schreiben an Schamir. Er wies die Äußerungen entschieden zurück und sagte, sie würden dem heutigen Deutschland, das aus seiner Geschichte gelernt habe, nicht gerecht. Die Einheit kam und die deutsch-israelischen Beziehungen trübte sie nicht.
Und heute?
Seit über einem Jahrzehnt regieren Angela Merkel und Benjamin Netanjahu ihre jeweiligen Länder. Eine Freundschaft verbindet die beiden nicht, auch wenn Merkels Äußerung von 2008, die Sicherheit Israels gehöre zur Staatsräson Deutschlands, in Israel hochgeschätzt wurde. Ohnehin seien einzelne Persönlichkeiten heute nicht mehr so wichtig wie früher, sagt der Leiter der Wissenschaftlichen Dienste des Archivs für Christlich-Demokratische Politik der Konrad-Adenauer-Stiftung Michael Borchard. "Inzwischen hat sich die Beziehung zwischen den beiden Ländern so gut etabliert, dass sie sich unabhängig von den Spitzenleuten weiterentwickelt. Es gibt solche freundschaftlichen Paarungen immer wieder im deutsch-israelischen Verhältnis, aber heutzutage eher in der zweiten Reihe, unter Parlamentspräsidenten oder Staatssekretären."
Die diplomatischen Beziehungen nach all ihren Auf und Abs haben sich inzwischen eingependelt. Dennoch werde das Verhältnis immer geprägt sein von der Geschichte, sagt die derzeitige deutsche Botschafterin in Israel Susanne Wasum-Rainer. "Die Shoa ist für mich immer ein Thema. Bei jedem Gesprächspartner bin ich mir dessen bewusst." Es gehöre zu ihren wichtigsten Aufgaben, für die deutsche Außenpolitik in Israel zu werben und andererseits die israelische Sichtweise in Deutschland zu erklären. Nach mehr als 60 Jahren steht sie damit in der Tradition, die Adenauer und Ben-Gurion abseits der Öffentlichkeit in einem Hotel in New York begründeten.