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Politik

Deutschlands aufgeblähtes Parlament

Richard A. Fuchs
28. September 2017

Der neu gewählte Bundestag startet mit einem Superlativ. Noch nie saßen so viele Abgeordnete im deutschen Parlament. Das klingt zunächst nach mehr Demokratie, zieht aber Kritik auf sich. Kosten in Millionenhöhe drohen.

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Deutschland Reichstag, Parlament und Bundestag
Bild: picture-alliance/Arco Images/Schoening

Volle Aufzüge, längere Schlangen bei der Einlasskontrolle und eine bis zum letzten Platz gefüllte Kantine: Besucher des Reichstagsgebäudes erleben in diesen Tagen, welche Folgen die Bundestagswahl im deutschen Parlament hat. In der 19. Legislaturperiode gehören so viele Abgeordnete wie noch nie dem Deutschen Bundestag an. Saßen zuletzt 630 Volksvertreter im Parlament, ziehen jetzt 709 neue Abgeordnete mit ihren Mitarbeitern durch die Flure und suchen - teilweise zum ersten Mal - ihre Büros.

Bund der Steuerzahler: 500 sind genug

"Leider sind unsere Befürchtungen eingetreten: Jetzt haben wir einen XXL-Bundestag", bedauert der Präsident des Bundes der Steuerzahler, Heiner Holznagel, diesen Umstand in einem offenen Brief. Der Interessenverband der Steuerzahler setzt sich seit geraumer Zeit für eine Wahlrechtsreform ein, welche die Zahl der Abgeordneten deckelt. "Das verkorkste Wahlrecht hat eine vermeidbare Kostenlawine für die Steuerzahler losgetreten, die in keinem Verhältnis zu einem parlamentarischen Mehrwert steht", argumentiert Holznagel. Je nach Wahlausgang kann sich die Zahl der Abgeordneten deutlich erhöhen. Bekommt eine Partei mehr Direktmandate (Erststimme), als ihr Sitze nach der Anzahl der Zweitstimmen zustehen, gibt es Überhang- und Ausgleichsmandate.

Schwarzbuch Die öffentliche Verschwendung
Reiner Holznagel vom Steuerzahlerverband: Für eine Deckelung der AbgeordnetenzahlenBild: picture-alliance/dpa/Bernd von Jutrczenka

Der Bund der Steuerzahler schätzt, dass der Bundestag im kommenden Jahr bereits 54 Millionen Euro teurer sein könnte als bisher mit 630 Abgeordneten. Geht man von der Zahl von 598 Abgeordneten aus, die vom Wahlrecht als angestrebte Parlamentsgröße definiert sind, würden sich die Mehrkosten auf 75 Millionen Euro für das kommende Jahr belaufen.

Der Interessenverband rechnet damit vor, dass der Parlamentsbetrieb 2018 rund 517 Millionen Euro kosten könnte. Darin enthalten: Abgeordneten-Diäten, Gehälter für ihre Mitarbeiter, Zuschläge, Kostenpauschalen, Sachkosten der Büros. Die "Bild"-Zeitung hatte zudem davor gewarnt, dass die große Anzahl überraschend aus dem Parlament ausscheidender Abgeordneter von Union und SPD weitere erhebliche Zusatzkosten verursachen könnte. Beide Parteien hatten insgesamt 105 Mandate an die AfD und die FDP verloren. Ex-Abgeordnete haben einen Anspruch auf Übergangsgeld. Zudem könnten laut "Bild" auch die Kosten für die Fraktionen steigen - ebenso wie die Ausgaben für Besuchergruppen von Parlamentariern.

Berlin Wahllokal zur Bundestagswahl
Seit langem wird eine Wahlrechtsreform gefordert - verhindert bislang von der Großen Koalition Bild: Getty Images/M. Hitij

Aus der Pressestelle des Bundestages heißt es dazu, eine detaillierte Auflistung möglicher Mehrkosten des XXL-Bundestages liege nicht vor. Der neue Bundestag müsse sich deshalb umgehend mit einer Wahlrechtsreform beschäftigen, die eine Obergrenze für die Anzahl der Abgeordneten einführt, fordert Holznagel. "500 Abgeordnete sind genug". Ein aufgeblähter Bundestag sei den Wählern nicht vermittelbar, denn mehr Abgeordnete würden "nicht automatisch mehr Demokratie oder bessere Ergebnisse" bringen. Eine Online-Petition des Verbands wurde von 114.000 Bürgern unterzeichnet.

Bundestagspräsident biss auf Granit

Der ausgeschiedene Bundestagspräsident Norbert Lammert hatte in der vergangenen Wahlperiode mehrfach versucht, einen XXL-Bundestag durch eine Fortschreibung und Ergänzung des Wahlrechts zu verhindern. Zwei Mal legte er dem Bundestag entsprechende Vorschläge vor.

Norbert Lammert Bundestagspräsident
Vergebliche Mahnungen: Ex-Bundestagspräsident Norbert LammertBild: picture-alliance/AA/M. Gambarini

Bereits bei seiner Antrittsrede zur letzten Legislaturperiode am 22.Oktober 2013 mahnte er: "Da es immer besser ist, sich mit solchen Entwicklungen dann auseinanderzusetzen, wenn die Probleme noch nicht eingetreten sind, spricht manches dafür, dass wir nicht erst nach der nächsten Wahl, sondern rechtzeitig noch einmal einen gewissen Blick auf die Regelung werfen." Lammert forderte eine Obergrenze von 630 Abgeordneten, biss aber mit seinem Anliegen bei der Großen Koalition von Union und SPD auf Granit. Beide Parteien erwarteten Nachteile für ihre Parlamentarier und lehnten ab.

Mehr Abgeordnete, mehr Lobbyisten? 

Jetzt ist der übergroße Bundestag Realität - und das wirft ganz praktische Fragen im Parlamentsalltag auf. Wie viel wird die Aufstockung von Büro-Equipment, IT-Infrastruktur und Sicherheitsmaßnahmen kosten? Wie wird ein von vier auf sechs Fraktionen angewachsenes Parlament mit den beschränkten Raum-Kapazitäten klarkommen? Und wird es bald noch voller, weil neben mehr Abgeordneten künftig auch mehr Lobbyvertreter im Bundestag verkehren? Es werden nicht die letzten Fragen sein, die das neue Schwergewicht Bundestag aufwerfen wird.