Deutschlands berühmtester Nicht-Wähler
16. September 2005Joseph Ratzinger - so der bürgerliche Name des Papstes - mag zwar ein Staatschef und der spirituelle Führer von 1,25 Milliarden Katholiken sein. Trotzdem: Er ist auch immer noch ein deutscher Staatsbürger. Obwohl er seit mehr als zwanzig Jahren in Rom lebt, hat er noch immer einen Wohnsitz im bayerischen Pentling, südlich von Regensburg.
Persönlich bekannt
Anders als die Mehrheit der Deutschen hatte der Papst sogar die Gelegenheit, sich einen ganz eigenen Eindruck von Bundeskanzler Gerhard Schröder und seiner Herausforderin Angela Merkel zu verschaffen: Er traf die beiden im August während seines Besuches auf dem Weltjugendtag in Köln persönlich.
Wie die anderen 61,9 Millionen Wahlberechtigten hat der Papst seine Wahlbenachrichtigung höchstwahrscheinlich nach Hause geschickt bekommen. Er könnte um Briefwahlunterlagen gebeten haben - an seinem Heimatort zu wählen, dürfte für ihn schwierig sein. "Sonntags ist bei mir schlecht. Da bin ich immer damit beschäftigt, eine Weltreligion anzuführen." So oder so ähnlich könnte seine Begründung lauten.
Briefwahl wegen der schlechten Augen
Sein Bruder, Georg Ratzinger, erzählt DW-WORLD, dass er selbst schon per Briefwahl abgestimmt habe. "Ich habe Briefwahl gemacht, da ich fast nichts mehr sehe", sagt der 81-jährige frühere Leiter der Regensburger Domspatzen. Im Wahllokal wäre er nicht zurechtgekommen, erklärt Georg Ratzinger.
Bewusster Nichtwähler
Papst Benedikt habe dagegen die bewusste Entscheidung getroffen, nicht zu wählen, berichtet Georg Ratzinger: "Er ist der Souverän des Vatikanstaats und hält es nicht für richtig, sich in die Angelegenheiten eines anderen Staates einzumischen. Das haben wir so besprochen", sagt sein Bruder. "Verfolgen wird er die Wahl sicher, aber nicht mit ganz großer Leidenschaft."
Kritik am politischen Papst
Das Politik-Interesse des Papstes ist in der Vergangenheit mehrfach kritisiert worden. Im Juni soll er den Boykott eines Referendums in Italien unterstützt haben, das Restriktionen bei der künstlichen Befruchtung und der Forschung mit Embryonen zurückdrehen wollte. Außerdem forderte er spanische Standesbeamte auf, sich zu weigern, homosexuelle Ehepaare zu trauen. Die spanische Regierung hatte gleichgeschlechtliche Verbindungen kurz vorher legalisiert.
Wahlaufruf und Orientierungshilfe
Daheim in Deutschland verteidigte unterdessen Kardinal Karl Lehmann, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, den Wahlaufruf der Kirche. Der Aufruf war von einigen Seiten als Wählerbeeinflussung kritisiert worden. "Es ist der Auftrag der Kirche, auf diese Sachverhalte und Kriterien aufmerksam zu machen", schreibt Lehmann in einer Kirchenzeitung. Der Aufruf, der sich auf Themen wie Arbeitslosigkeit, soziale Sicherung, Ehe und Familie beziehe, habe nur dazu gedient, den Menschen eine Orientierungshilfe zu geben und sie zur Wahl zu ermutigen. Die evangelische Kirche in Deutschland hatte besonders junge Menschen ermutigt, zur Wahl zu gehen. Inhaltlich hielt sie sich aber mit Empfehlungen zurück.