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Gesellschaft

Deutschlands ehrenamtliche Strafrichter

Michael Borgers
12. März 2018

Geschworenengerichte wie in den USA gibt es in Deutschland nicht. Doch auch hierzulande wirken Laien in Strafprozessen mit: Schöffen sollen das Vertrauen der Bürger in die Justiz stärken. Kritiker bezweifeln das aber.

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Symbolbild Justiz sucht Schöffen
Bild: picture-alliance/dpa/F. Gentsch

Zwölf Frauen und Männer, die in zwei Reihen auf Holzbänken sitzen und angestrengt eine Zeugenbefragung verfolgen. Menschen, die über das Schicksal der Angeklagten entscheiden. Im Zweifel über Leben und Tod. Wie Rechtsprechung in den USA funktioniert, ist ins globale Kulturgedächtnis eingebrannt. Vorgestellt in zahllosen Büchern, Kino-Filmen und TV-Serien. Hollywoodwissen.

"Von John Grisham und L.A. Law wissen die meisten Deutschen mehr über das amerikanische Rechtssystem als über das eigene", stellt auch Hasso Lieber kritisch fest. Er gründete vor fast 30 Jahren die Deutsche Vereinigung der Schöffinnen und Schöffen (DVS). Schöffen spielen hierzulande nicht die Hauptrolle, wenn über Betrug, Diebstahl oder Körperverletzung verhandelt wird. Entsprechend gering ist das Wissen über die ehrenamtlichen Richter. Dabei haben sie durchaus etwas zu sagen.

Sind Schöffen überhaupt erforderlich?

Ein Februarmorgen in der Aachen Innenstadt. Fünf Männer müssen sich vor dem Landgericht verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen vor, im Untergrund-Internet "Darknet" bandenmäßig mit Drogen gehandelt haben. Zudem sollen sie einen rechtsradikalen Hintergrund haben, berichten Medien, die zahlreich vertreten sind an diesem Morgen. Den Männern droht eine lange Haftstrafe. Entscheiden über ihr Schicksal werden auch zwei Schöffen, ein Mann und eine Frau. Zu erkennen daran, dass sie keine Robe tragen. Am Ende der Verhandlung werden die beiden gemeinsam mit drei Berufsrichterinnen urteilen: Sie die Angeklagten schuldig? Und falls ja, wie lange müssen sie in Haft?

Deutschland Prozess am Aachener Landgericht.
Bild: DW/Michael Borgers

Ihr Votum wird dann genau so viel zählen wie das der "Profis", wie Wolfgang Becher die Berufsrichter nennt. Er war selbst fast 40 Jahre lang so ein "Profi" am Aachener Landgericht, inzwischen arbeitet er als Anwalt. Sein Blick auf das Schöffenwesen sei ambivalent, sagt er. Auf der einen Seite seien die "Amateure", also Schöffen, "juristisch nicht verklemmt" und entsprechend "kritisch im Umgang mit dem, was zur Entscheidung ansteht". Das gefalle ihm gut. Andererseits fehle den Laienrichtern am Ende die berufliche Erfahrung, um kompetent entscheiden zu können - deshalb würden sie fast immer dem Urteil der Berufsrichter folgen. Die logische Konsequenz für Becher lautet deshalb: Eigentlich könnte man auch auf das Ganze verzichten - und die Schöffen aus dem Gerichtssaal verbannen.

Wenn Schöffen zum Risiko werden

Auch er erlebe die Laienrichter meist als "Abnickorgan", sagt Udo Vetter, einer der Strafverteidiger im Aachener Drogen-Prozess. In seiner Karriere habe er "erst ein oder zwei Fälle erlebt, in denen ich mitbekommen habe, dass Schöffen eine andere Entscheidung herbeigeführt haben durch ihren Protest, als die Berufsrichter sie eigentlich wollten".

Manchmal stellten die Schöffen im Zweifel sogar ein Risiko dar, sagt Vetter. Richter - egal ob Berufs- oder ehrenamtliche - müssen sich unparteilich verhalten, während, aber auch jenseits des Gerichtssaals. Und so können im Internet Bemerkungen einen Prozess schon einmal vorübergehend beenden - wie in einem Fall Vetters, in dem sich ein Schöffe in seinem Facebook-Profil fremdenfeindlich geäußert hatte. Vetters Mandant hatte einen Migrationshintergrund, der Rechtsanwalt stellte erfolgreich einen Antrag auf Befangenheit.

Udo Vetter
Bild: Udo Vetter

Entschieden wird im Hinterzimmer

Die Bonner Schöffin Brigitte Frieben-Safar kann die Kritik an den Schöffen nachvollziehen, will sie aber nicht gelten lassen. Ja, die ehrenamtlichen Richter würden häufig als "stille Mimen", als "Abnicker" von Entscheidungen der Berufsrichter  wahrgenommen, räumt die hauptberufliche Übersetzerin ein. Doch das liege vor allem daran, dass "die eben ihre Mimik und Gestik unter Kontrolle haben" und das häufig fehlinterpretiert werde.

Die Entscheidungen über die Schuldfrage und das Strafmaß fielen ohnehin im Hinterzimmer des Gerichts, nicht im Saal, unterstreicht die Bonner Schöffin. Und dann gehe es darum, eine mündige und verantwortliche Entscheidung zu fällen.

Das richtige Personal finden - nicht neu

Je nach Schwere der Anklage und Ort der Gerichtsbarkeit kommen ein oder zwei Schöffen zum Einsatz. Insgesamt sind es bundesweit 60.000. In den meisten Kommunen fanden sich in der Vergangenheit genügend Freiwillige für das Ehrenamt, in großen Städten wie Berlin, Hamburg oder Köln jedoch nicht. In dem Fall werden beliebige Personen aus dem Melderegister ausgewählt und quasi zwangsverpflichtet nach bestimmten Kriterien, darunter die deutsche Staatsangehörigkeit und eine weiße Weste in Strafsachen.

Dass sich nicht genügend geeignetes Personal findet, war bereits vor gut 100 Jahren ein Problem. 1924 wurde die Zahl ehrenamtlicher Richter halbiert. Bis dahin hatte auch in Deutschland die Schuldfrage in Fällen schwerer Straftaten in der Hand von zwölf Geschworenen gelegen. Doch stellten Juristen und Staat damals fest: Zu viele versuchten, sich um das Ehrenamt zu drücken, und die Gefundenen zeigten keine Freude an ihrer Aufgabe.

DVS-Gründer Hasso Lieber wünscht sich im Jahr der Schöffenwahl - in den kommenden Monaten werden deutschlandweit neue ehrenamtliche Richter gewählt - Reformen: ein neues Wahlsystem, das geeignetere Kandidaten erzeugt, und eine Politik, die sich mehr für das Schöffenwesen engagiert.