Developer: Laura. Kefaet. Selamet
15. Januar 2022"Mein Traum hat sich erfüllt. Ich wollte schon lange als Coderin arbeiten. Jetzt kann ich diesen Traum wirklich leben", erzählt Laura. Sie ist überglücklich über ihren Abschluss, den sie sich sogar mit Summa Cum Laude erarbeitet hat.
Die Multimediaproducerin hatte bis vor zwei Jahren noch als Kellnerin gearbeitet. Danach hatte sie sich den Umgang mit Wordpress und Videosoftware selbst beigebracht. Letzten Sommer bewarb sie sich dann für die Ausschreibung der kostenlosen Kursplätze des Projekts "Recode Your Life".
Die Freude über ihren Abschluss auf dem Level einer Junior Web Developerin ist angesichts der neuen Perspektiven begründet, denn derzeit sind mehr als 100.000 Stellen im deutschsprachigen IT-Bereich unbesetzt. Das ermöglicht auch Quereinsteigern den Zugang zu dieser Branche - sogar ohne akademischen Abschluss.
Anerkennung durch Qualifikation
Christoph Pirringer, Gründer der Code Factory hat diese Lücke erkannt und das Projekt "Recode Your Life" ins Leben gerufen. Insgesamt acht Personen aus der Roma-Community hatten durch dieses Projekt einen kostenlosen Kursplatz in seinem IT-Ausbildungsunternehmen ergattert. Vier Monate später halten sie bereits ihr Abschlusszertifikat in der Hand.
"Diese Ausbildung kann dabei helfen, dass Menschen höhere gesellschaftliche, soziale und finanzielle Anerkennung finden. Der kostenfreie Zugang zu dieser Ausbildung soll den Absolventen neue Perspektiven und Möglichkeiten eröffnen", erklärt Pirringer.
Doch kann dieser Abschluss tatsächlich so viel im Leben eines Menschen verändern? Fakt ist, dass die meisten universitären Ausbildungen sehr lange dauern und theoretisch orientiert sind. Zudem haben viele Menschen keinen Zugang zu einer akademischen Ausbildung. Genau hier setzt das Projekt der Code Factory an. Der Kurs orientiert sich an der Praxis und bietet somit Menschen, die von den unterschiedlichsten Hindernissen zurückgehalten werden, den perfekten Einstieg in die Branche.
Für Kefaet waren vor allem die attraktiven Zukunftsaussichten ein Grund, sich zu bewerben: "Web Developer sind nicht nur in der heute gefragt, sondern auch in 25 Jahren noch."
Selamet und Kefaet sind Brüder und arbeiten auch als Musiker und Kulturbotschafter zusammen. Mit ihren Projekten setzen sie sich gegen Antiziganismus ein. Selamet sieht die Fähigkeit zu programmieren als eine Möglichkeit, ihre Aktivitäten im Bereich der Menschenrechte stabil zu finanzieren: "Mit diesen neuen Kompetenzen bin ich auch relevant im kapitalistischen System. In Zukunft möchten wir dieses Wissen an andere weitergeben und ihnen somit dieselben Möglichkeiten eröffnen."
Tatsächlich ist der Job als Junior Web Developer auch finanziell attraktiv. Doch der Einstieg ist nicht so einfach wie es zunächst klingt. Die drei haben sich ihren Abschluss hart erarbeitet. Nach einem Bewerbungsprozess, bei dem auch praktische Aufgaben gelöst werden mussten, absolvierten sie vier Monate lang fast täglich Live-Coding Sessions, erledigten eigenständig Aufgaben und bereiteten sich auf ihre wöchentlichen Praxistests vor. Den Aufwand sei es auf jeden Fall Wert gewesen, betonen alle drei. Es sei eine Chance, die keiner von ihnen ungenutzt lassen wollte. Immerhin seien sie bereits nach dieser kurzen Zeit fähig, Webseiten und Applikationen selbstständig per Programmierung zu erschaffen.
Fit für die Zukunft
Kefaet würde in Zukunft gerne in einer asiatischen Firma arbeiten - aber von einem Schreibtisch in Deutschland. Dies spiegelt auch stark den Trend zu ortsunabhängiger Arbeit in der digitalen Branche. Laura sind die Inhalte ihrer zukünftigen IT-Projekte ebenfalls wichtiger als die Location: "Wenn ich ein Projekt habe, dann ist es das Zentrum meines Universums. Es spielt keine Rolle, an welchem Ort ich dann arbeite oder ob es ein Büro gibt."
Doch es ist keineswegs ein einfacher Weg, erklärt Kefaet: "Coding ist harte physische und psychische Arbeit. Wer nicht bereit ist, sich wirklich auf die Ausbildung zu fokussieren, könnte rasch beginnen, an den eigenen Fähigkeiten zu zweifeln. Wir werden ständig vor neue Herausforderungen gestellt - das ist manchmal eine emotionale Achterbahnfahrt."
Laura ergänzt, warum dies bewusst ein Teil der Ausbildung ist: "Wir lernen, Fehler zu beheben und Probleme zu lösen - das ist der beste Weg, um für die Praxis gerüstet zu sein. Wir lernen, unsere Zeit zu organisieren, Prioritäten zu setzen und uns vollkommen auf unsere Aufgaben zu fokussieren."
Alle drei haben bereits Pläne, wie sie auch die Roma-Communities mit ihren neuen Fähigkeiten unterstützen werden, erklärt Selamet: "Wir möchten diese Inspiration weitergeben. Dieses Gefühl, zu erkennen, dass man mehr erreichen kann als man sich vielleicht zutraut. Wir möchten, dass mehr Menschen die Möglichkeit erhalten, sich selbst zu verwirklichen."
Selamet plant daher, eine Plattform zu bauen, auf der sich die Künstler und Kreativen der Community transdisziplinär vernetzen können. Kefaet denkt in diesem Kontext auch über die zivilgesellschaftliche Verantwortung nach: "Maschinen für sich genommen tun nichts Gutes oder Böses. Wir Menschen hauchen ihnen Leben ein. Daher hängt es von uns Menschen ab, wie wir sie programmieren und verwenden."
Das Pilotprojekt "Recode Your Life" wurde von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung, Zukunft (EVZ) gefördert und von der Romnja-Organisation Romani Phen getragen.
Nach dem erfolgreichen Pilotversuch soll das Projekt nun in ganz Europa umgesetzt werden. Dafür wird derzeit nach Fördergebern und Investoren gesucht, erklärt Pirringer von der Code Factory Vienna: "Wir haben einen Lösungsansatz für eines der gravierendsten Herausforderungen unserer Zeit entwickelt. Der IT-Fachkräftemangel kann damit behoben werden." Das Potenzial europäischer Länder als Hort digitaler Kompetenz könnte so um ein Vielfaches erhöht werden, so der IT-Experte im DW-Gespräch.