DFB-Team: Rückschlag im Berliner Hexenkessel
18. November 2023"Emotionen gehören dazu, und es gehört eine gewisse Lautstärke dazu", hatte Julian Nagelsmann vor dem Freundschaftsspiel gegen die Türkei im Berliner Olympiastadion gesagt - vor seinem Heimdebüt als Bundestrainer, das gefühlt ein Auswärtsspiel werden sollte. Denn die Fans, die es mit den Türken hielten, waren nicht nur zahlenmäßig überlegen. Auch gemessen an der Lautstärke präsentierten sich die Gäste schon titelreif am Ort des Europameisterschafts-Finales im kommenden Juli.
Einen Vorgeschmack bekamen die drei deutschen Torhüter Kevin Trapp, Janis Blaswich und Oliver Baumann schon beim Aufwärmen. Als das Trio den Rasen betrat, wurde es von einem gellenden Pfeifkonzert begleitet. Ähnlich erging es später DFB-Kapitän Ilkay Gündogan bei jedem Ballkontakt. Für ihn, dessen Eltern aus der Türkei stammen, war es ohnehin ein besonderes Erlebnis, wie er noch vor der Partie betonte.
Türkei-Rufe schüchtern das DFB-Team ein
Über 100.000 türkisch-stämmige Menschen leben in Berlin, über eine Million in Deutschland. Gefühlt waren sie alle da, auch wenn nur 70.000 Zuschauer ins Stadion passten. Entsprechend legten die Gäste auch los, getrieben von den "Türkiye, Türkiye"-Rufen von den Rängen. Wie ein Wespenschwarm schienen sie über die deutschen Spieler herzufallen.
Trotzdem war es das DFB-Team, das nach gut vier Minuten in Führung ging. Benjamin Henrichs steckte einen Steilpass auf Leroy Sane durch, der uneigennützig in die Mitte zu Kai Havertz spielte. Der Profi von Arsenal London schob überlegt ins linke untere Eck zum 1:0 ein. Havertz war überraschend von Nagelsmann als linker Verteidiger aufgeboten worden - eine Position, die der 24-Jährige sehr flexibel interpretierte.
Zwei Traumtore drehen das Spiel
Die Pfiffe für das deutsche Team verstummten dennoch nicht. "Die Spieler nehmen das gar nicht so wahr", hatte Nagelsmann noch kurz vor der Partie bei RTL zu beruhigen versucht. Aber mit zunehmender Dauer schlichen sich immer mehr Fehler ein. "Vielleicht war es ein zu guter Start ins Spiel", analysierte Gündogan nach der Partie. "Wir waren zum lethargisch, zu passiv, haben nicht mehr diesen Druck erzeugen können. Am Ende waren wir immer einen Schritt weiter weg".
In der die 38. Minute nahm Ferdi Kadioglu einen langen Ball aus dem Mittelfeld perfekt mit, schlug einen Haken und hämmerte die Kugel in das von Kevin Trapp gehütete Tor - Trapp war für den verletzt abgereisten Marc-Andre ter Stegen kurzfristig nachgerückt.
Der Frankfurter Torwart war auch in der Nachspielzeit der ersten Hälfte machtlos, als Kenan Yildiz, gebürtiger Deutscher und in der Jugendabteilung von Bayern München ausgebildet, mit einem Schuss in den Winkel das verdiente 2:1 erzielte. Das Stadion tobte und der Bundestrainer kritisierte später: "Einige haben nicht das Emotionsniveau erreicht, um so ein Spiel zu gewinnen."
Es brauchte einen Konter kurz nach Wiederanpfiff, um wieder ins Spiel zu finden. Florian Wirtz trieb den Ball über das halbe Feld, gab an auf Mittelstürmer Niclas Füllkrug, der in der 49. Minuten eiskalt zum 2:2-Ausgleich vollendete.
Umstrittener Strafstoß
Sicherheit gab dieser Treffer allerdings wieder nicht. Das Spiel verflachte zusehends, bis sich der Videoschiedsrichter nach knapp 70 Minuten einschaltete. Kai Havertz hatte eine Flanke aus kurzer Distanz an den Arm bekommen, nach Prüfung entschied der Schiedsrichter aus Polen auf Strafstoß. Yusuf Sari verwandelte, auch wenn Trapp die Hand noch am Ball hatte (71.). "Am Ende ist das natürlich kein Elfmeter", kommentierte Nagelsmann in der Nachbetrachtung, auch wenn das "natürlich müßig ist."
Havertz, einer der Auffälligsten auf dem Platz, hatte in der Nachspielzeit noch die Chance zum erneuten Ausgleich, sein Schuss aber wurde abgeblockt. So schlichen die deutschen Nationalspieler wieder einmal mit hängenden Köpfen vom Platz, die Türken dagegen jubelten auf den Rängen und auf dem Rasen.
Für Julian Nagelsmann ist es die erste Niederlage im dritten Spiel als Bundestrainer. Wieder hat die deutsche Abwehr zu viele Fehler gemacht, wieder kassierte man zu viele Gegentore - und das gegen eine türkische Mannschaft, bei der einige Topstars geschont wurden. Es ist also noch viel zu tun bis zum Beginn der Heim-EM in sieben Monaten. Auch wenn dann wenigstens das Publikum hinter dem DFB-Team stehen dürfte.