Dutschke und die '68er'
24. August 2008Die Studentenbewegung in Deutschland begann schon vor dem Jahr 1968. Ein erstes großes Aufflammen studentischer Proteste gab es bereits im Juni 1967, als der pazifistische Student Benno Ohnesorg bei einer Demonstration gegen den Schah-Besuch in Berlin von einem Polizisten erschossen wurde.
Dieses Ereignis gilt in Deutschland als Initialzündung für die "Außerparlamentarische Opposition", kurz APO. Zentrale Figur dieser Studentenbewegung war der 27-jährige Soziologiestudent Rudi Dutschke. Dutschke war an nahezu allen großen Protesten der APO maßgeblich beteiligt. Auch an dem Vietnamkriegs-Kongress, der im Februar 1968 im Zentrum der Aktionen stand.
"Ho, Ho, Ho Chi Minh ..."
"Die Revolutionierung der Revolutionäre ist die entscheidende Voraussetzung für die Revolutionierung der Massen!" In Berlin, der Hochburg der Bewegung, forderte Dutschke die Weltrevolution und vertraute darauf, dass sich aus ihr heraus eine freie Gesellschaft freier Individuen entwickeln würde. Er war überzeugt, dass die Vereinigten Staaten den Krieg gegen den Vietcong stellvertretend für das kapitalistische System führten. Die Proteste der APO richteten sich demzufolge nicht nur gegen die USA, sondern auch ganz allgemein gegen 'den Kapitalismus'. Offen sympathisierten die Studenten auf Demonstrationen mit dem kommunistischen Vietcong. "Ho, Ho, Ho Chi Minh ..." - den Namen des Vietcong-Führers Ho Chi Minh zu skandieren, wurde gewissermaßen zum Markenzeichen der Bewegung.
Die Medien reagierten auf die Studentenunruhen weitgehend mit Ablehnung. Vor allem in Berlin, wo die Publikationen des konservativen Axel-Springer-Verlages einen Marktanteil von 70 Prozent hielten. "Extremisten, Radikalinskis, Politrowdies, Rotgardisten, Skandalmacher, Randalierer, linksradikale Wichtigtuer, akademische SA", die Springer-Presse - allen voran ihre Boulevardzeitung "Bild" - fand wenig schmeichelhafte Ausdrücke für die Studenten.
"Volksfeind Nummer eins"
Zwei Tage nach einer Vietnamkriegs-Demonstration der APO rief der Berliner Senat seine Bürger zu einer pro-amerikanischen Gegenkundgebung auf. An der Kundgebung nahmen mehr als 80.000 Menschen teil. Am Rande dieser Veranstaltung wurde ein Student, der Rudi Dutschke ähnlich sah, von der Menge angegriffen. Nur mit Mühe konnte die Polizei ihn in Sicherheit bringen.
"Dutschke raus! Dutschke raus!", die Stimmung in Westberlin war extrem aufgeheizt, als der Studentenführer am 11. April 1968 vor der Geschäftsstelle des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) am Kurfürstendamm von dem 23-jährigen Josef Erwin Bachmann niedergeschossen wurde. Unter dem Gebrüll "Du dreckiges Kommunistenschwein!" jagte der Arbeiter Dutschke drei Revolverschüsse in den Kopf.
Das zweite Opfer aus den Reihen der Studenten
Noch am selben Abend versammelten sich vor dem Verlagsgebäude des Axel-Springer-Konzerns in Berlin-Kreuzberg Tausende von Studenten und skandierten: "Mörder, Springer!" Die Erschütterung über den Anschlag war groß, Rudi Dutschke genoss innerhalb der außerparlamentarischen Opposition große Zuneigung. Die Publizistin Katharina Rutschky, damals Weggefährtin von Rudi Dutschke, erinnert sich an sein Charisma: "Er strahlte diesen Aufbruch aus, dieses Vertrauenswürdige; alle liebten Dutschke, weil man Vertrauen zu ihm haben konnte."
Der Attentäter wurde zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt. Nach zwei Jahren Haft beging er Selbstmord. Rudi Dutschke selbst überlebte die Schüsse schwer verletzt und starb zehn Jahre später an den Folgen des Überfalls.
Radikalisierung oder Marsch durch die Institutionen
Der Anschlag auf Rudi Dutschke war ein Fanal für die Außerparlamentarische Opposition, urteilt der Grüne Bundestagsabgeordnete Christian Ströbele, der damals mit anderen zusammen vor dem Axel-Springer-Hochhaus demonstriert hat. "Es war ein Ereignis, was bundesweit erhebliche Beachtung gefunden hat."
Die Schüsse auf Rudi Dutschke markierten aber auch einen Wendepunkt in der Geschichte der außerparlamentarischen Opposition. Ein Teil der APO radikalisierte sich nach dem Anschlag. Als im Mai 1968 landesweit gegen die Notstandsgesetzgebung der damaligen Bundesregierung demonstriert wurde, kam es vielerorts zu heftigen Ausschreitungen. Etliche Mitglieder der Szene tauchten zwei Jahre später in den Untergrund ab und schlossen sich der terroristischen Rote-Armee-Fraktion an. Andere jedoch begannen, sich in Institutionen, Parteien und Bürgerinitiativen mit demokratischen Mitteln für eine Veränderung der deutschen Gesellschaft zu engagieren.