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Die Alten erobern die Leinwände

Helena Kaschel31. März 2013

Von Hanekes "Liebe" bis Hoffmans "Quartett" – immer mehr Filme zeigen die Lebenswirklichkeiten älterer Menschen. Warum beschäftigt sich das Kino gerade jetzt so intensiv damit? Auf den Spuren eines Trends.

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Terence Stamp als Arthur und seine Frau Marion (Vanessa Redgrave) in einer Szene des Kinofilms "Song for Marion" (undatierte Filmszene). Foto: Ascot Elite Filmverleih (zu dpa-Kinostarts vom 07.03.2013 - ACHTUNG: Verwendung nur für redaktionelle Zwecke im Zusammenhang mit der Berichterstattung über den Film und bei Urheber-Nennung) +++(c) dpa - Bildfunk+++
Vanessa Redgrave und Terence Stamp in "Song for Marion"Bild: picture-alliance/dpa/Ascot Elite Filmverleih

Ein britisches Ehepaar jenseits der 70 wird vom Krebs auseinander gerissen. Nach dem Tod seiner Frau findet Arthur einen neuen Lebenssinn im Chorsingen, dem Hobby seiner verstorbenen Liebe. Die Tragikomödie "Song for Marion" mit Vanessa Redgrave und Terence Stamp in den Hauptrollen läuft seit dem 14. März in den deutschen Kinos – und reiht sich ein in die Liste aktueller Filme über das Altern. Immer mehr Regisseure machen Senioren zu den Protagonisten ihrer Werke. Auch, wenn die Thematik keine revolutionär neue ist, sind in den letzten eineinhalb Jahren weltweit auffallend viele Filme in die Kinos gekommen, die das Altwerden thematisieren.

Genreübergreifender Trend

Diese Entwicklung beschränkt sich nicht auf ein Genre: Melancholische Filme wie der Berlinale-Gewinner "Gloria" werden mit bedeutenden Preisen ausgezeichnet, aber auch humorvolle Umsetzungen wie "Best Exotic Marigold Hotel" sind an der Kinokasse erfolgreich. Aus dieser Vielfalt ergeben sich ganz unterschiedliche filmische Annäherungen an die Themen Alter und Tod.

Evelyn (Judie Dench, l-r), Graham (Tom Wilkinson) und Douglas (Bill Nighy) in einer Szene des Kinofilms "Best Exotic Marigold Hotel" (undatierte Filmszene). Foto: Twentieth Century Fox (zu dpa-Kinostarts vom 08.03.2012 - ACHTUNG: Verwendung nur für redaktionelle Zwecke im Zusammenhang mit der Berichterstattung über den Film und bei Urheber-Nennung bis zum 14.06.2012) +++(c) dpa - Bildfunk+++
Judi Dench, Tom Wilkinson und Bill Nighy in der britischen Komödie "Best Exotic Marigold Hotel" aus dem Jahr 2012Bild: picture-alliance/Twentieth Century Fox

In Komödien wie "Und wenn wir alle zusammenziehen?" oder Dustin Hoffmans "Quartett" wollen die greisen Protagonisten noch einmal "dem Leben das Mark aussaugen", wie der amerikanische Dichter Henry David Thoreau schrieb. Andere Werke, wie der Oscar-ausgezeichnete Film "Liebe" von Michael Haneke oder die Dokumentation "Vergiss Mein Nicht" von David Sieveking beschäftigen sich schonungslos mit Demenz oder Sterbehilfe.

Arthaus-Kino besinnt sich älterer Zuschauer

Zweifellos spielen ökonomische Gründe eine Rolle. Im Digitalen Zeitalter besinnt sich das Arthaus-Kino – denn Hollywood hat naturgemäß ein Problem mit Altersstoffen – seiner letzten zuverlässigen Zielgruppe: der Senioren. "Natürlich hat die Filmbranche meine Generation für sich entdeckt, die Filme eben nicht per Internet-Stream oder BluRay schaut, sondern den Kinogang als festes kulturelles Freizeitritual empfindet", meint Dieter Hertel. Er ist Geschäftsführer des Rex-Lichtspietheaters in Bonn.

VERGISS MEIN NICHT ist ein Film über die Liebe – zwischen Mutter und Sohn, Eltern und Kindern, Mann und Frau. David Sieveking (DAVID WANTS TO FLY) entdeckt durch die Alzheimer-Demenz seiner Mutter Gretel den Schlüssel zu ihrer Vergangenheit, zur Geschichte ihrer Ehe und zu den Wurzeln der gemeinsamen Familie. Liebevoll und mit zärtlicher Distanz dokumentiert er ihren geistigen und körperlichen Abbau und seine Versuche, ihr das Leben zu erleichtern. Mit viel Sinn für kleine Gesten und für den Zauber des Augenblicks schafft er ein feinfühlig heiteres Familienporträt: die würdevolle, niemals rührselige Reise durch ein Menschenleben, an dessen Ende ein Anfang steht, in dem die Familie neu zueinander findet. © Adrian Stähli/ Lichtblick Media Gmbh/ Berlin. ***In zusammenhang mit dem Film Vergiss_Mein_Nicht erlaubt.***
In "Vergiss mein nicht" (2012) beschäftigt sich Regisseur David Sieveking mit der Altersdemenz seiner Mutter.Bild: Adrian Stähli/ Lichtblick Media Gmbh/ Berlin

In seinem Programmkino besteht das Publikum traditionell zu etwa 50 Prozent aus Zuschauern jenseits der 50. Gut möglich also, dass Produzenten ganz bewusst vermehrt Stoffe aufgreifen, mit denen sich ein älteres Kinopublikum identifizieren kann.

Alte Filmemacher – altes Kino?

Ein weitere Erklärung ist wohl auch das Alter der jeweiligen Regisseure: Vielleicht hat der Österreicher Michael Haneke erst mit 70 das nötige Verständnis für den Stoff seines preisgekrönten Films "Liebe" erlangt. Auch Hollywood-Schauspieler wie Dustin Hoffman und Clint Eastwood wechselten mit über 60 die Seiten und versuchen sich seitdem an Arthaus-Filmen mit Protagonisten im eigenen Alter.

Dieser Aspekt erklärt den aktuellen Trend allerdings nur bedingt. Denn "Song for Marion" beispielsweise wurde von Paul Andrew Williams gedreht, einem 40-jährigen Engländer. "Gloria", ein Film über eine 58-Jährige, die ihre Einsamkeit bekämpft, wurde bei der 63. Berlinale mit dem Silbernen Bären für die beste Hauptdarstellerin ausgezeichnet. Realisiert hat die Tragikomödie der 39-jährige Chilene Sebastián Lelio.

Filme als Spiegel des demografischen Wandels

Erfolgreich sind die Filme über das Altern allemal. Egal, welche Facette der letzten Lebensjahre beleuchtet, welche Geschichte erzählt wird. Mal besteht der Erfolg aus Kritikerlob und Preisen, mal aus hohen Besucherzahlen. "Quartett" spielte weltweit knapp 45 Millionen US-Dollar ein, "Best Exotic Marigold Hotel" sogar 134 Millionen. Offensichtlich haben die Filme einen hohen Identifikationswert für eine alternde Gesellschaft. Spiegelt das Kino den demografischen Wandel wider? Versucht eine Generation, die Angst vor dem Altwerden, vor Verfall und Tod, auf ernste und humorvolle Weise in Filmen zu verarbeiten – als Bewältigungskino sozusagen?

Gloria Wettbewerb 2013 CHL/ESP 2012 REGIE: Sebastián Lelio Paulina García
Paulina García bekam für ihre Rolle in "Gloria" den Silbernen Bären der 63. Berlinale.Bild: Berlinale

"Filme sind wie jede Kunstform eine Art Diskursagentur. Also ein Terrain, auf dem man sich mit lebensweltlichen Themen und Ängsten auseinandersetzen oder Problemlösungen durchspielen kann", sagt die Berliner Film- und Medienwissenschaftlerin Britta Hartmann. Auch, wenn es nicht sicher ist, ob das Phänomen "Alter(n) im Kino" von Dauer sein wird – für sie ist klar: "In einer älter werdenden Gesellschaft ist die Frage nach dem Alter und wie wir mit dem Verfall von Körper und Geist, mit Krankheit und Sterben umgehen, ein drängendes Thema, das uns in allen Medien in den nächsten Jahren verstärkt beschäftigen wird." Auf die Frage, warum Filmemacher immer häufiger das Altern als Motiv erkunden, gibt es offenbar mehrere Antworten. Das Kino jedenfalls wird erwachsen – und bleibt es wahrscheinlich.

HANDOUT - Billy Connolly (l-r) als Wilf, Maggie Smith als Jean Horton, Tom Courtenay als Reggie und Pauline Collins als Cissy in einer Szene des Kinofilms "Quartett" (undatierte Filmszene). (c) dpa
Filmszene aus Dustin Hoffmans Opern-Komödie "Quartett"Bild: picture-alliance/DCM