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Die Angst bleibt

Gina Krymalowski27. Oktober 2014

Millionen Menschen sind vor den Kämpfen in Syrien und dem Irak geflüchtet. Einige haben es nach Berlin-Gatow geschafft, in ein Asylbewerberheim. Mehr als 500 Menschen leben hier in Sicherheit. Doch ihre Angst bleibt.

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Flüchtlingsheim Berlin-Gatow (Foto: DW/Sophie Schimansky)
Bild: DW/Sophie Schimansky

"Wir sind dort vor dem Tod geflüchtet, wir sind zum Leben hier!", erzählt Ali, 28, aus Damaskus. Er möchte weder seinen Nachnamen nennen, noch fotografiert werden, zu tief sitzt noch der Schock. Er war humanitärer Helfer in Syrien, als er erfuhr, dass er vom Geheimdienst verhaftet werden soll. Auf der Flucht landete er in einer von der islamischen Terrorgruppe IS kontrollierten Stadt. Über seine Erlebnisse und die Zustände dort möchte er nicht reden: "Leben war dort nicht möglich, es bestand nur die Möglichkeit zur Flucht." In Deutschland angekommen ist die Angst um die in Syrien Zurückgelassenen immer präsent. Das macht die Anonymität so wichtig, denn viele der hier Angekommenen sind von den internationalen Verzweigungen der Dschihadisten überzeugt. Hier im Erstaufnahmelager in Berlin-Gatow wartet er nun darauf, was mit ihm passieren soll. Der Antrag auf Asyl muss gestellt werden, dann liegt es an den Behörden. Die Bearbeitungsdauer bei den Anträgen variiert.

Viele junge Männer aus dem Irak und Syrien wagen die Flucht ins Ausland erst einmal alleine, oft ist dies auch eine finanzielle Frage. Nach Europa zu gelangen kostet viel Geld. Sobald Asyl gewährt ist, besteht die Möglichkeit, einen Antrag auf Familienzusammenführung zu stellen und den Rest der Familie auf offiziellem Wege nach Deutschland zu holen.

"Konvertieren, freikaufen oder sterben"

Darauf hofft auch Wissam Momika, 36, ein irakischer Christ. Er wirkt müde, aber energisch, will nicht aufgeben. Seine Frau und seine drei Kinder sind momentan auf der Flucht, übernachten im Auto auf einem Parkplatz in Kurdistan. Sie sind wegen ihres Glaubens besonders gefährdet. "Die IS stellt uns Christen ganz klar vor die Wahl: konvertieren, freikaufen oder sterben. Um dauerhaft zu überleben, bleibt uns nur die Flucht." Immer wieder holt er Unterlagen hervor, um zu zeigen, dass er Beweise hat. Sein Kampf hat, obwohl er in Europa ist, noch lange nicht aufgehört. Als einer der wenigen Christen aus dem Nahen Osten fühlt er sich in dem Erstaufnahmeheim nicht wohl. Sein Antrag auf ein Einzelzimmer wurde genehmigt, nachdem seine Mitbewohner wiederholt laute Koranmusik gespielt hatten, wenn er im gemeinsamen Zimmer war.

Flur im Flüchtlingsheim Berlin-Gatow (Foto: DW/Sophie Schimansky)
Flur im Flüchtlingsheim Berlin-GatowBild: DW/Sophie Schimansky

In den langen Fluren des ehemaligen Pflegeheims gibt es nur gedämpftes Licht, es herrscht eine klinische Atmosphäre. An jeder Tür klebt ein laminierter Zettel. Darauf steht die Quadratmeter-Zahl des dahinterliegenden Zimmers. Als er mit uns in seinem Einzelzimmer sitzt, wird deutlich, wie der Alltag eines Flüchtlings aussieht. Wissam Momika stehen knapp neun Quadratmeter zur Verfügung. An Haken über seinem Bett hängen die wenigen Klamotten, die er besitzt, in einem Schrank ein wenig Geschirr, Lebensmittel. Auf dem Tisch liegen die Dokumente, die er für die Familienzusammenführung brauchen wird, sollte sein Asylantrag genehmigt werden. "Mittlerweile ist mir egal, wo ich aufgenommen werde. Hauptsache ich kann meine Familie bald wieder sehen." Er ist so oft wie möglich mit ihnen in Kontakt, vor allem übers Handy. In den Zimmern gibt es keinen Netzempfang, deswegen muss man nach draußen, um zu telefonieren.

Wissam Momika im Flüchtlingsheim Berlin-Gatow (Foto: DW/Sophie Schimansky)
Wissam MomikaBild: DW/Sophie Schimansky

Eine bessere Zukunft in Deutschland

Das Handy scheint für viele hier das wichtigste Besitztum zu sein. Amer, 32, ebenfalls aus dem Irak, legt es fast keine Sekunde aus der Hand, jede Minute wirft er zumindest einen Blick auf das Display. Er musste über Nacht flüchten, es gab konkrete Bedrohungen, über die er nicht reden möchte. "Meiner Verlobten konnte ich nicht erzählen, dass ich flüchte, es hätte sie in Gefahr gebracht." Die Verlobte ist sauer, per Whatsapp streiten sie nun seit seiner Flucht. Auch wegen ihr möchte Amer nicht erkannt werden. Viele seiner Familienmitglieder und Freunde sind nämlich noch in Bagdad. Er möchte sie alle durch seine Handlungen hier nicht in Gefahr bringen. Mit seiner Mutter redet er beinahe täglich. "Wenn wir telefonieren, probiert sie immer mich zu beruhigen, alles wäre alles gut, aber ich weiß, dass es nicht stimmt.“ Als er geflüchtet ist, gab es dort täglich Explosionen, viele Menschen wurden umgebracht. Für ihn ist Deutschland die Zukunft.

In gebrochenem Englisch erzählt er, dass er sich schon über Deutschkurse informiert hat, er möchte gerne sein Studium beenden, sich eine sichere Zukunft aufbauen. Er findet die Bedingungen im Flüchtlingsheim in Ordnung, man sei in Sicherheit und werde ausreichend versorgt. Sobald es um politische Themen geht, blockt er allerdings ab. "Wir sind vor diesen Konflikten geflüchtet, wir wollen das hier nicht."

Am Ende sitzen sie alle zusammen und unterhalten sich, auf einer Bank im ruhigen Berlin-Gatow. Erwachsene Männer, die aus Angst um ihr Leben aus ihrer Heimat flüchteten und sich nun in einem fremden Land ihr Leben neu aufbauen müssen. Amer aus Bagdad, Ali aus Damaskus und Wissam, irakischer Christ. Um sie herum, auf dem Gelände des Flüchtlingsheims, spielen Kinder auf Fahrrädern, Mütter schieben Kinderwagen vor sich her. Auf verschiedenstem Wege sind sie nach Deutschland gelangt, jeder von ihnen hat seine eigene Geschichte, aber eines haben sie gemeinsam. Sie alle erhoffen sich eine bessere Zukunft in Deutschland.

Drei Männer im Flüchtlingsheim Berlin-Gatow (Foto: DW/Sophie Schimansky)
Wissam (li.) im GesprächBild: DW/Sophie Schimansky