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Politik

Die Angst in Görlitz vor der AfD

Maximiliane Koschyk
15. Juni 2019

Görlitz in Sachsen wählt einen neuen Oberbürgermeister. Erstmals hat ein Rechtspopulist der AfD Chancen auf das Amt. Einige Bürger wollen das verhindern. Und bekommen dabei ungewöhnliche Unterstützung - aus Hollywood.

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Görlitz - Sebastian Wippel AfD-Landtagsabgeordneter und Oberbürgermeisterkandidat
In der ersten Wahlrunde gaben die Görlitzer dem AfD-Kandidat Sebastian Wippel die meisten StimmenBild: picture-alliance/dpa/S. Kahnert

Görlitz gespalten

Wer Görlitz zum ersten Mal besucht, fühlt sich wahrscheinlich gleich wohl. Historische Bauten zieren eine kopfsteingepflasterte Altstadt - ein großes, altes Rathaus steht in der Mitte. Das schöne Stadtbild lockt nicht nur Touristen in die sächsische Stadt an der Grenze zu Polen. Längst haben internationale Regisseure "Görliwood" als Kulisse für ihre Filme entdeckt.

Jetzt ist das Rathaus von Görlitz selbst zum Schauplatz eines Politdramas geworden. Für Görlitz steht im Empfinden vieler Bürger nicht weniger als das Image der Stadt auf dem Spiel. Das liegt an Sebastian Wippel: Er kandidiert für die rechtspopulistische "Alternative für Deutschland" (AfD) in Görlitz für das Amt des Oberbürgermeisters. Wippel ist bei den rund 56.000 Görlitzern beliebt. Der 37-jährige frühere Polizeikommissar und Landtagsabgeordnete hatte den ersten Durchgang der Bürgermeisterwahl mit 36,4 Prozent der Stimmen klar gewonnen. 

Umstrittene Äußerungen

Als erstes Mitglied seiner Partei könnte er Oberhaupt der Stadtverwaltung werden - Görlitz wäre deutschlandweit die erste Stadt mit einem AfD-Oberbürgermeister. Das besorgt jene Bürger, die die AfD nicht an der Spitze ihres Ortes sehen wollen. Wippel beschwichtigt: "Man braucht vor der AfD keine Angst zu haben", sagt er der DW. In der Partei seien ganz normale konservative Bürger. "Keine Leute, die irgendjemanden durch die Gegend jagen." Doch Wippel ist in der Vergangenheit auch durch heftige Kommentare aufgefallen.

Im Bezug auf die Opfer der islamistischen Anschläge in Bayern und Baden-Württemberg hatte er 2016 bedauert, dass es "leider" keine politisch Verantwortlichen getroffen habe. Dabei fiel auch der Name der Kanzlerin. Und auch zu Beginn seiner Zeit als Landtagsabgeordneter und Mitglied einer Arbeitsgruppe Innere Sicherheit machte er sich stark für die "Einführung des Kriteriums 'deutschenfeindliche Straftat' sowie die Erfassung des Migrationshintergrundes nach Herkunftsland in der Polizeilichen Kriminalstatistik". Auf seinem Kandidatenprofil schreibt er: "Unsicherheit, Überregulierung und Minderheitenwahn zerstören jedes eigenverantwortliche Streben." 

Immer wieder fielen AfD-Mitglieder mit provokanten, nationalistischen und teils auch rassistischen Äußerungen auf. "Wir werden Frau Merkel jagen", kündigte AfD-Fraktionschef, Alexander Gauland, nach der Bundestagswahl 2017 an.

AfD gegen Erinnerungskultur

Sorge um das Image der Stadt

All das sollte jetzt nicht mit Wippel als Oberbürgermeister ins Görlitzer Rathaus einziehen, findet vor allem sein Gegenkandidat. "Viele schauen auf Görlitz, es geht um die Ausrichtung für die Zukunft", sagt Octavian Ursu von der konservativen CDU der DW. Der Musikpädagoge und ehemalige Solo-Trompeter wohnt seit knapp 30 Jahren in Görlitz.

Seit dem Wahlkampf bekommt der gebürtige Rumäne zu hören: Er sei kein waschechter Görlitzer. Ob er oder Wippel am mächtigsten Schreibtisch am Görlitzer Untermarkt Platz nehmen wird, sei entscheidend für das künftige Image der Stadt: "Bleiben wir eine offene Gesellschaft oder schotten wir uns ab, so wie die AfD das propagiert?", fragt Ursu.

Octavian Ursu Vorsitzender des CDU Kreisverbandes Görlitz und CDU-Bundesvorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer
Unterstützung von ganz oben: CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer mit dem Görlitzer CDU-Kandidaten Octavian UrsuBild: picture-alliance/Geisler/M. Wehnert

Auch wenn AfD-Kandidat Wippel im ersten Wahlgang vorne lag, gibt sich Ursu kämpferisch. Er habe Bündnisse mit den anderen Parteien und der Görlitzer Bürgerschaft geschmiedet.

Die beiden Kandidatinnen von Grünen und Linken haben auf den zweiten Wahlgang verzichtet. So wird die Wahl eine echte Stichwahl - und Ursu kann auf Stimmen aus den anderen Lagern hoffen. 

Die AfD könnte nicht nur dem Ruf von Görlitz schaden, fürchten einige, die an der Attraktivität des pittoresken Ortes verdienen. Fast 300.000 Touristen kommen jährlich. "Wir fürchten schon, dass Gäste sich unter Umständen abgeschreckt fühlen, wenn bestimmte Parteien die Überhand bekommen", sagt Martin Vits vom Tourismusverein Görlitz der DW. Die Görlitzer Tourismus-Branche hat deshalb einen Wahlaufruf veröffentlicht, den man recht eindeutig als Positionierung gegen den AfD-Kandidaten verstehen kann.

Hilfe aus Hollywood

Es ist nicht der einzige offene Brief, mit dem in Görlitz Wahlkampf gemacht wurde. 34 Vertreter der internationalen Filmindustrie fordern die Görlitzer auf, nicht für "Hass und Feindseligkeit, Zwietracht und Ausgrenzung" zu stimmen. Unter ihnen bekannte Schauspieler, Oscar-Preisträger und weitere Filmschaffende. "Wenn ich nur ein oder zwei Leute erreichen kann, dann bin ich erfolgreich", sagt Michael Simon de Normier der DW. Der Filmproduzent ist Initiator dieses Schreibens. 

Deutschland Dreharbeiten für The Grand Budapest Hotel in Görlitz
Der deutsch-amerikanische Film "The Grand Budapest Hotel" und weitere US-Produktionen wurden in Görlitz gedrehtBild: picture-alliance/dpa/J. Trenkler

Während sich auch deutsche Film- und Popstars in Görlitz positionieren, stehen sich die Wähler in zwei Lagern gegenüber. "Ich würde die AfD wählen, um den etablierten Parteien mal einen Denkzettel zu geben", sagen die einen auf der Straße, die anderen: "Wer Weltoffenheit will, wählt die CDU."

In der Stichwahl müssen die Görlitzer nun entscheiden, wer von beiden Kandidaten ihr neues Stadtoberhaupt wird. Doch im Kampf um das Rathaus der Grenzstadt geht es längst um mehr: Im Bundesland Sachsen, in dem Görlitz liegt, stehen im September Landtagswahlen an. Die AfD liegt derzeit in den Umfragen vorne. Die Bürgermeisterwahl in Görlitz gilt somit als Generalprobe für die sächsische Landtagswahl im September. 

In allen drei ostdeutschen Bundesländern, die im September und Oktober ein neues Landesparlament wählen, hat die AfD vor allem in Klein- und Mittelstädten aussichtsreiche Kandidaten.

Ob Görlitz die erste deutsche Stadt mit einem AfD-Politiker als Oberbürgermeister wird oder nicht: Es könnte nur noch eine Frage der Zeit sein, bis im Osten Deutschlands Rechtspopulisten an die Macht kommen. Die Görlitzer entscheiden, ob ihr Rathaus den Anfang macht.