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Die beiden Viktors

Ute Schaeffer 25. November 2004

In den politischen Wirren der Ukraine stehen sich zwei Männer gegenüber, die beide das Präsidentenamt für sich beanspruchen: Viktor Juschtschenko und Viktor Janukowitsch.

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Anhänger beider Lager diskutieren auf der StraßeBild: AP

Es sei die Wahl zwischen Europa und Russland, zwischen einem "Zurück-in-die-sowjetische-Vergangenheit" und einem "Vorwärts-in-die-europäische-Integration": So und ähnlich kommentierten westliche Medien die Präsidentenwahl in der Ukraine. Viktor Juschtschenko sei der prowestliche Reformer. Er werde vor allem eine Politik "auf Europa zu" machen. Sein Gegner Viktor Janukowitsch hingegen stamme aus dem traditionell pro-russischen Osten des Landes. Ganz sicher werde seine Politik auf eine Annäherung an Moskau zielen, Europa käme da erst an zweiter Stelle. Ganz so einfach allerdings sind die Dinge nicht.

Die ehemaligen Regierungschefs kehren zurück

Beide Kandidaten sind "Kinder des Apparats", wie man in der Ukraine sagt. Sowohl Juschtschenko als auch Janukowitsch haben ihre Laufbahn zum großen Teil in sowjetischer Zeit gemacht. Beide wurden vom scheidenden Präsidenten Leonid Kutschma gefördert, bekamen unter ihm politische Verantwortung. Die wohl augenfälligste Parallele: Juschtschenko wie auch Janukowitsch sind Regierungschefs des Landes gewesen. Juschtschenko führte die Regierung von 1999 bis 2001 und Janukowitsch trat dieses Amt im November 2002 an. Doch die Unterschiede werden spätestens dann offensichtlich, wenn man sich die Regierungspolitik dieser Zeit genauer anschaut.

Was können die beiden?

Juschtschenko hat in seiner Zeit als Regierungschef eine sozial orientierte Marktwirtschaft an vielen Stellen angestoßen. In seiner Amtszeit konnte die Ukraine erstmals ein Wirtschaftswachstum verzeichnen. Rentner und Pensionäre erhielten ihr Geld regelmäßig. Er verfolgte eine wirtschaftliche Reformpolitik, zielte auf die Liberalisierung der planwirtschaftlich geprägten Strukturen. Gleichzeitig sagte er der Machtkonzentration im Energiesektor und der überall herrschenden Korruption den Kampf an. Bereits in seiner Zeit als Regierungschef genoss Juschtschenko eine hohe Popularität. Er galt als konsequent und eigenständig. In den Augen vieler übertrieb er es jedoch mit der Eigenständigkeit. Seine Antikorruptionspolitik missfiel den Oligarchen im Parlament und der herrschenden politischen Klasse um Kutschma. Ein Misstrauensvotum im Parlament brachte ihn zu Fall.

Janukowitsch hingegen - und das erwies sich bei dieser Wahl als Nachteil - hat es in den Augen des Volkes nie zu einer eigenständigen Politiker-Figur gebracht. Ihm fehle es an Charisma, meinen viele. Vor Journalisten hielt er sich bedeckt, spontan reagierte auf Fragen der Presse nie. Auch in diesen Tagen belässt er es bei monotonen Vorträgen im staatlich kontrollierten Fernsehen. In seiner Zeit als Regierungschef nahm die Staatsmacht die Medien endgültig an die Kandare. Unter Janukowitsch wuchs der politische Druck auf die Beamten und Angestellten im öffentlichen Dienst. Was folgte war der schmutzigste Wahlkampf, den die Ukraine jemals erlebt hatte.

Wer steht hinter Janukowitsch?

Hinter dem 54jährigen Janukowitsch, der aus der ostukrainischen Industrieregion Donezk stammt, stehen die Großkonzerne und die Mehrheit im industrialisierten, russischsprachigen Osten. Der große breitschultrige Mann, dessen Mine sich selten verzieht, der für westliche Augen jedenfalls einen seltsam unbewegten Eindruck macht, durchlief eine beachtliche und typisch sowjetische Karriere: Er brachte es vom Mechaniker zum Ingenieur, zum Ökonom und Juristen - es kam sogar ein Professorentitel hinzu. Einen kleinen Schönheitsfehler allerdings gibt es: Als junger Mann saß er wegen räuberischer Erpressung und Körperverletzung zweimal im Gefängnis. Allerdings hat ein dienstbares Gericht in der Donezk-Region diese Urteile vor einigen Jahren rückgängig gemacht. Die Hauptargumente von Janukowitsch, die bei den Arbeitern im Osten auf offene Ohren stießen: Stabilität und Wirtschaftswachstum, eine klare Orientierung auf Russland - denn, so war es aus seinem Wahlkampfstab zu hören: Europa biete der Ukraine zu wenig Konkretes an.

Wer ist Juschtschenko?

Juschtschenkos positives Ansehen im Westen resultiert aus seiner Amtszeit als Chef der Nationalbank in den 1990er Jahren. Bereits unmittelbar nach seiner Entlassung als Regierungschef machte sich Juschtschenko daran, die heterogene Opposition zu sammeln und sie zusammenzuschweißen. Damit gelang ihm, was in Belarus und Russland in den vergangenen Jahren gescheitert ist. "Wenn wir ein demokratisches Land sind, dann werden wir alle Probleme im Staat intern lösen", sagte er 2003 in einem Gespräch mit der Deutschen Welle. "Was aber verhindert die Lösung der ukrainischen Probleme? Die fehlende Demokratie!" Womit er ganz offensichtlich Recht behalten hat.

Worin unterscheiden sie sich?

Juschtschenko hat aber über lange Zeit auf Konfrontationen mit Kutschma und dem Staatsapparat verzichtet - das wurde ihm als Führungsschwäche ausgelegt. Möglicherweise blieb er jedoch aus strategischen Gründen vorsichtig, denn ansonsten hätte ihn die Staatsmacht schon weit früher als "Landesverräter" oder "Provokateur" bezeichnet.

Auf solche Diffamierungen Juschtschenkos traf man im Wahlkampf überall - so wurde er wegen seiner amerikanischen Ehefrau als US-Spion bezeichnet. Seit Wochen leidet Juschtschenko zudem unter Vergiftungssymptomen. Seine Anhänger vermuten einen Anschlag des Geheimdienstes. Juschtschenko selbst ist ein überzeugter Demokrat. Von seinen Parteigängern und Financiers lässt sich das allerdings nicht immer sagen.

Jeder künftige ukrainische Präsident wird nach außen generell eine nach vielen Seiten orientierte Außenpolitik verfolgen müssen, schließlich ist die Ukraine mit sieben Außengrenzen ein klassisches Transitland. Nach innen allerdings - so kann man aufgrund der Biographien und der bisher praktizierten Politik der beiden Kandidaten vermuten - wird die Politik im Falle der beiden Kandidaten sicher grundverschieden ausfallen.

Der Hauptunterschied: Unter Janukowitsch würde es zu einer Stärkung der Macht des Staatsapparates kommen, unter Juschtschenko zu entschiedeneren Schritten in Richtung Demokratie und Rechtsstaat. In allererster Linie also ist die Frage des Kandidaten eine Frage der politischen Kultur - eine Frage, die weder dem Westen noch den Menschen in der Ukraine gleichgültig sein kann.