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"Die Syrien-Politik ist am Ende"

Beklan Kulaksızoğlu24. Juli 2015

Der Kampf der Türkei gegen den IS hat eine neue Dimension erreicht. Das sagt der türkische Terrorexperte Serhat Erkmen - und warnt vor neuen Anschlägen. Die bisherige Syrien-Politik Ankaras hält er für gescheitert.

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Rauch über der syrischen Stadt Kobane (Foto: Getty Images/AFP)
Rauch über der syrischen Stadt Kobane, die an der Grenze zur Türkei liegtBild: Getty Images/AFP

DW: Sie warnen, dass der Selbstmordanschlag in Suruç mit 32 Toten nicht der letzte sein wird. Kann es noch schlimmer kommen?

Erkmen: Wir erleben ja seit zwei Jahren verschiedene Formen von Gewalttaten in der Türkei, überwiegend in grenznahen Regionen. Der Anschlag in Suruç ist ein "Höhepunkt", weil es hier um ein Selbstmordattentat geht. Aus heutiger Sicht muss man durchaus sagen: Ja, es kann leider noch schlimmer werden. Wir können auch Anschläge von Einzelkämpfern wie in Frankreich oder in Tunesien erleben. Wir haben zur Zeit die Situation, dass bewaffnete Männer mitten in Istanbul auf den Straßen herumlaufen. In verschiedenen Provinzen im Südostanatolien ist das schon lange der Fall. Deswegen wird es niemanden wundern, wenn solche Anschläge sich wiederholen.

Der IS hat in Syrien bisher eine Strategie verfolgt, sich den Rücken im Norden freizuhalten und in andere Richtungen anzugreifen. Warum soll sich diese Strategie jetzt geändert haben?

Dass ein paar IS-Kämpfer in Kilis auf türkische Soldaten schießen, das war offensichtlich kein geplanter Akt des IS, sondern eher eine Auseinandersetzung auf lokaler Ebene. Beide Seiten wollen keine direkte und dauerhafte Konfrontation an der Grenze. Die Türkei wäre der letzte Feind, den sich der IS wünschen würde. Aber jetzt stehen beide in direkter Konfrontation. Das wird für die Terrormiliz große Probleme mit sich bringen.

Sie meinen aber, dass sich die Türkei trotzdem auf mögliche Anschläge gefasst machen muss. Wie kann man mit dieser Bedrohung fertigwerden?

Der IS ist eine Bedrohung für die innere Sicherheit der Türkei, aber nicht die einzige. Es gibt die PKK, die Al-Nusra-Front und linke Gruppierungen. Sie alle haben Zellen in der Türkei, die das Land terrorisieren können. Um dieser Bedrohung Herr zu werden, braucht man ein umfassendes Sicherheitverständnis. Wir können davon ausgehen, dass die Operationen der türkischen Polizei, wie wir sie jetzt in mehreren Städten erlebt haben, vermehrt fortgesetzt werden.

Ist das das Ende der bisherigen Syrien-Politik Erdogans? Hat Ankara einen Plan B?

Ja, die Syrien-Politik der Türkei ist am Ende. Eigentlich scheint die Regierung es auch eingesehen zu haben, obwohl sich die Rhetorik nicht geändert hat. Die Regierung lehnt es immer noch ab, zuzugeben, dass sie in der Syrien-Politik Fehler gemacht hat.

Serhat Erkmen (Foto: privat)
"Die Türkei macht das Gegenteil von dem, was sie monatelang gesagt hat": Serhat ErkmenBild: privat

Aber dahinter steckt der Wunsch, aus einem außenpolitischen Thema ein innenpolitisches zu machen und als Regierung daraus Nutzen zu ziehen. Die Türkei macht gerade in fast allen Fragen genau das Gegenteil von dem, was sie in den letzten sechs Monaten gesagt hat - sei es die sogenannte "Sicherheitszone" im Norden Syriens, sei es die Nutzung des strategisch wichtigen Stützpunktes Incirlik, sei es Assad. Bei allen Punkten hat die türkische Regierung die Wünsche der USA akzeptiert.

Ankara hatte sich verweigert, ein Teil der internationalen Koalition gegen den IS zu werden, solange diese sich nicht gegen Assad richte. Jetzt wurde sie einer der wichtigsten Akteure dieser Koalition.

Wie sehen Sie die Lage in Syrien auf mittlere und längere Sicht? Wird Assad bleiben?

In Syrien sind wir an einen Punkt gelangt, an dem jeder Erfolg enorme Kosten verursacht. Daher wird in Zukunft gelten: Wer bessere internationale Unterstützung hat und den Geldfluss sichert, wird gewinnen - sei es das Regime, sei es die Opposition. Assad wird offensichtlich länger bleiben als bisher vermutet.

Was bedeutet die zwischen der Türkei und den USA vereinbarte Sicherheitszone im Norden Syriens für die syrische Kurdenpartei PYD?

Die Vereinbarung zwischen den USA und der Türkei wird manche Vorteile für die PYD sicher zunichtemachen. Aber wenn wir uns die Realität anschauen, gibt es zwischen den USA und der PYD sowie den kurdischen Volksverteidigungseinheiten eine taktische Beziehung. Die Annäherung zwischen der Türkei und den USA wird an dieser taktischen Beziehung nichts ändern. Die USA hat es verstanden, die PYD als wichtigen Akteur zu benutzen, und wird darauf nicht verzichten.

Serhat Erkmen ist Terrorexperte und Politologe an der Ahi-Evran-Universität in Kırşehir.

Das Gespräch führte Beklan Kulaksızoğlu.