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Sieg für Demokratie

21. Januar 2010

Über Moskaus Einfluss auf die ukrainische Präsidentenwahl, deren Verlauf, über die Chancen der Kandidaten in der Stichwahl und die künftige Außenpolitik des Landes sprach die DW mit dem Osteuropa-Experten Alexander Rahr.

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Portrait von Alexander Rahr, Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (Foto: DW)
Alexander Rahr, Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige PolitikBild: DW

DW-WORLD.DE: Wie groß war der Einfluss Moskaus auf die Präsidentschaftswahlen in der Ukraine?

Alexander Rahr: Moskau hat im Jahr 2010 auf die Präsidentschaftswahlen kaum Einfluss gehabt. Wenn der Einfluss Moskaus zu spüren war, dann diesmal positiv, weil Russland jedem Gasstreit mit der Ukraine aus dem Weg gegangen ist. Die Sache so zu interpretieren, dass Moskau wieder die Finger im Spiel gehabt hat, ist auch eine typische Position einiger westlicher Kräfte, ständig die Ukraine als Pufferstaat gegenüber Russland zu platzieren. Das ist eine falsche Haltung. Ich glaube tatsächlich, dass die Demokratie in der Ukraine gewonnen hat, dass keiner der Kandidaten wirklich administrative Ressourcen zur Manipulation der Wahlergebnisse eingesetzt hat. Die Menschen hatten eine große Auswahl von Politikern, denen sie ihre Stimme geben konnten. Dass sowohl Jazenjuk als auch Tihipko achtbare Ergebnisse erzielt haben, zeigt, dass es Alternativen in der Ukraine gibt, und das nenne ich schon Demokratie.

Wie wird Ihrer Meinung nach die Stichwahl am 07.02.2010 verlaufen? Wer wird sie gewinnen?

Ich denke, dass die Wahlen mehr oder weniger frei und fair ablaufen werden, nach europäischen Spielregeln. Wer die Wahlen gewinnt, ist schwer vorauszusagen. Viele glauben, dass Janukowitsch sein Reservoir ausgeschöpft hat, dass es für ihn schwierig sein wird, viel mehr als 40 Prozent zu bekommen. Er ist im Westen der Ukraine weiterhin als pro-russischer Politiker verschrien und kann sich dort auf keine Gefolgschaft stützen. Timoschenko hat aber auch Probleme, die Stimmen der anderen Kandidaten aufzusammeln. Letztendlich könnte sie aber gewinnen, wenn ein großer Teil der Ukrainer zu den Wahlen geht - nicht um Timoschenko zu wählen, sondern um Janukowitsch zu verhindern. Timoschenkos Taktik ist, die Bevölkerung so weit zu bringen, gegen Janukowitsch zu stimmen. Dann hat sie eine Chance zu gewinnen. Aber Janukowitsch hat auch eine Chance zu gewinnen, indem er einfach Timoschenko weiter für die ganze Wirtschaftsmisere und die missratene Politik der letzten Monate verantwortlich macht.

Was ist der Grund für das Scheitern des Amtsinhabers Wiktor Juschtschenko bei der Wahl?

Das Ergebnis ist für ihn eine Katastrophe, und eine Katastrophe auch für das Erbe der Orangefarbenen Revolution. Ein Grund für sein Scheitern ist, dass er eher ein Missionar - fast ein Philosoph - war, der sich als Landesvater über allen sehen wollte. Dabei vergaß er, dass die Ukrainer zweigeteilt sind, zwischen einer Bevölkerung in der Westukraine, mit eigenen kulturellen Vorstellungen von Ukraine, und einem anderen Teil des Volkes in der Ostukraine. Dieses hat Juschtschenko nie ernst genommen und immer ausgeklammert. Der eigentliche Grund war aber einfach technischer Art. Er wurde Opfer des politischen Systems in der Ukraine, die zwischen einer parlamentarischen und präsidialen Republik steckt. Der Präsident glaubte, gewisse Machtfüllen zu haben, konnte sie aber nicht durchsetzen. Timoschenko, aber auch Janukowitsch als Premierminister versuchten ihn ständig zu schwächen. Juschtschenko verbrauchte seine ganze Energie, die er eigentlich für Reformen hätte aufwenden müssen, um sich gegen ambitionierte Premierminister durchzusetzen. Der dritte Grund war seine falsche Außenpolitik. Er wollte die Ukraine zu einem Frontstaat eines ‚freien Westens‘ gegen das ‚neoimperialistische Russland‘ aufstellen. Diese fixe Idee von ihm hat sich als unrealistisch erwiesen. Die Bevölkerung hat ihn in dieser Frage nicht unterstützt, auch nicht das westliche Ausland.

Welchen außenpolitischen Kurs wird die Ukraine unter einem neuen Präsidenten verfolgen?

Zwischen der Ukraine und der NATO wird es sicherlich eine besondere Partnerschaft geben. Die NATO wird mit der Ukraine kooperieren, aber die Ukraine wird nicht in den nächsten zehn Jahren in die NATO aufgenommen werden. Dieses Thema hat sich erledigt, aber nicht weil die Russen hinter den Kulissen gedreht haben, oder der Westen die Ukraine nicht mag. Die Umfrageergebnisse in der Ukraine zeugen davon, dass der größte Teil der Bevölkerung keine NATO-Mitgliedschaft wünscht. Was die EU angeht, so hängt viel von der Ukraine selbst ab. Die Tür zur EU ist offen, aber die Ukraine muss ihre Taktik ändern. Sie kann nicht gegenüber der EU antreten und sagen: 'Gebt uns die Vollmitgliedschaft und dann werden wir alle Eure Kriterien und Spielregeln annehmen und Ihr helft uns dabei. Aber wenn Ihr uns draußen lässt, dann können uns nicht weiter bewegen‘. Das ist falsch. Die Ukraine muss unter einem nächsten Präsidenten die notwendigen Reformen durchführen, um zu einem interessanten Partner der EU, dann zu einem assoziierten Mitglied und dann zu einem Teil der EU zu werden. Ein wichtiges Kriterium ist die Öffnung der Ukraine für westliche Investoren. Solange es immer noch für ausländische Investoren so viele Barrieren bei strategischen Investitionen gibt, solange betrachtet Europa die Ukraine als postsowjetischen Staat und nicht als EU-Anwärter.

Das Gespräch führte Natalia Nedelko
Redaktion: Markian Ostaptschuk / Fabian Schmidt