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Die Deutschen altern - na und?

Sabine Kinkartz19. März 2015

Immer mehr Alte, immer weniger Junge: Die demografische Entwicklung gilt als eine der zentralen gesellschaftlichen Herausforderungen in Deutschland. Aber muss es wirklich so schlimm werden?

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Senioren bei der Wassergymnastik
Bild: Colourbox/S. Lapeyrere

Wer sich mit Bevölkerungsentwicklung beschäftigt, hat viel mit Daten und Zahlen zu tun. Eine davon ist das Medianalter, das ermittelt wird, indem die Bevölkerung in zwei gleich große Gruppen geteilt wird. Die eine Hälfte ist älter, die andere jünger als das Medianalter. Die so ermittelte Mitte lag 1960 in Deutschland für Frauen bei 37 Jahren, heute sind es 47 Jahre, 2050 werden es 54 Jahre sein. Nur in Monaco und Japan ist der Wert höher. Im afrikanischen Niger hingegen sind mehr als Hälfte der Menschen jünger als 15 Jahre.

Noch ein paar Daten und Zahlen? Jede neue Generation wird durchschnittlich sechs bis acht Jahre älter. Aktuell ist die älteste Deutsche 111 Jahre alt, rund 13.200 Männer und Frauen haben ihren 100. Geburtstag ebenfalls bereits erleben dürfen. Heute kommen auf zehn Erwerbstätige drei Rentner, 2060 werden es sieben sein. Heute sind 16 Millionen Deutsche unter 20 Jahre alt, 2060 werden es nur noch zehn Millionen sein.

Optimistisch oder angststarr?

Die Zahlen werfen Fragen auf, sie wecken aber auch Ängste. Die können bis zu der apokalyptischen Annahme führen, dass Deutschland bei diesen demografischen Aussichten eigentlich keine Zukunft haben kann. Zumindest keine, die mit der heutigen gesellschaftlichen, sozialen, aber auch wirtschaftlichen Lage vergleichbar ist. Wirklich nicht? "Mir ist die Debatte über die demografische Entwicklung - vielleicht ein bisschen typisch deutsch - zu sehr eine Debatte in Moll", kritisierte Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe beim 4. Berliner Demografie-Forum. "Wir müssen mit Wissenschaft und Wirtschaft diskutieren, wie wir diese Herausforderung meistern und nicht angststarr auf die Schlange blicken."

Symbolbild Kinderbetreuung durch Großeltern
Rentner in Deutschland: Fit und mobilBild: imago

Politiker sind von Beruf aus Optimisten, das müssen sie sein. Beim Thema Demografie schlagen aber auch die Wissenschaftler inzwischen neue Töne an. Sie verweisen darauf, dass die Alten schon heute nicht mehr sind, was sie dereinst waren. "In Deutschland entsteht gerade eine neue Bevölkerungsschicht sehr aktiver älterer Menschen zwischen 60 und 80 Jahren", sagt Norbert Schneider, Direktor des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB).

Altersgerechte Infrastruktur als Exportchance

Er spricht von einer vierten Lebensphase. "Die jungen, die aktiven Alten sind dadurch gekennzeichnet, dass sie mehrheitlich wohlhabend und gesund sind, aktiv und interessiert, motiviert und konsumfreudig." Das seien Menschen, die ganz neue "Nachfragemuster" entwickeln würden. "Darüber entstehen neue Märkte und Innovationen." Der Alterungsprozess sei zumindest in den nächsten 20 Jahren kein Bedrohungsprozess, sondern eine Chance, die Deutschland nutzen sollte.

Schneider widerspricht vehement der Annahme, dass alternde Gesellschaften nicht innovationsfähig seien. Im Gegenteil. Das setze allerdings voraus, dass das Potenzial genutzt werde. Der Alterungsprozess als wirtschaftliche Chance? "Da alle Gesellschaften in Zukunft altern werden, kann man aus den Erfahrungen, die wir jetzt sammeln, wenn wir sie konstruktiv umsetzen, sozusagen Exportchancen entwickeln", bekräftigt Schneider.

Seine Thesen stützt der Wissenschaftler unter anderem auf den jüngsten "Demografie-Kompass", in dem neun Länder in Europa, Asien und den USA verglichen werden. Danach sind derzeit nur drei bis sechs Prozent der Menschen zwischen 65 und 79 Jahren pflegebedürftig. Von den über 100-jährigen Deutschen leben sogar noch 60 Prozent im eigenen Haushalt.

Fit bis ins hohe Alter

Wichtig ist also vor allem, die Menschen bei guter Gesundheit zu halten. Bundesgesundheitsminister Gröhe verweist in diesem Zusammenhang auf das Präventionsgesetz, das derzeit in der parlamentarischen Beratung ist. Der Lebensstil der Menschen müsse viel mehr auf gesundheitsförderndes Verhalten ausgerichtet werden. Das fange schon im Kindergarten an. "Wenn wir uns die Frage nach Arbeitsausfällen durch psychische Erkrankungen stellen, durch Rückenleiden, dann sind das lebensstilbedingte Erkrankungen."

Gröhe ist der Überzeugung, dass der medizinische Fortschritt erheblich dazu beitragen kann, dass die Gesellschaft den Alterungsprozess verkraften kann. Selbstständigkeit bis ins hohe Alter könne auch durch die Telemedizin unterstützt werden. Der Minister fordert aber auch ein gesellschaftliches Umdenken hin zu einer neuen Generationensolidarität. Er sieht die Notwendigkeit, dass sich die "jungen Alten" in Zukunft viel häufiger und intensiver um die "hilfsbedürftigen Alten" kümmern müssten. Dazu zählen für ihn vordringlich diejenigen, die keine Kinder hätten. Das ist auch eine soziale Herausforderung.

Arbeiten bis ins hohe Alter

Für den Politiker heißt das, dass die Gestaltung von altersgemischten Wohnquartieren genauso gefördert werden muss wie die Anerkennung von Ehrenämtern. Es heißt aber auch, dass sich die Rahmenbedingungen auf dem Arbeitsmarkt ändern müssen. "Rente mit 63, mit 65 mit 68, das ist der falsche Ansatz", sagt dazu der Wissenschaftler Norbert Schneider. "Die Menschen müssen dann flexibel aus dem Erwerbsleben ausgleiten können, wenn sie wollen."

Arbeit müsse vielmehr an den Bedarf, die Wünsche und Fähigkeiten gekoppelt werden als an das chronologische Alter. Davon ist auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière überzeugt: "Ziel ist es, jedem Einzelnen entsprechend seiner Lebenssituation und seines Alters die Chance zu eröffnen, seine Potenziale und Fähigkeiten im Laufe eines langen und gesunden Lebens zu entwickeln." Für de Maiziere können aktive Ältere zu einem großen Gewinn für die Gesellschaft werden, wenn sie viel mehr Teil einer "sozialen Infrastruktur" würden.

Kein Ruhestand mehr?

Streng genommen sind sie das schon heute. Großeltern unterstützen ihre Kinder und Enkelkinder finanziell, sie sind da, wenn Kinder betreut werden müssen, sie kochen und kaufen ein. Nach Ansicht des Bundesinnenministers ist der "Unruhestand" aber noch ausbaufähig. Heißt das aber nicht gleichzeitig, dass es so etwas wie einen Ruhestand in Zukunft nicht mehr geben wird? Dass zeitlebens Aufgaben zu erfüllen sind? Von der Hand ist das nicht zu weisen. Wohl auch deswegen, weil immer weniger alte Menschen genug Geld haben werden, um sich "Nichtstun" überhaupt leisten zu können.