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"Die einzige Möglichkeit ist, Kaschmir wieder zu vereinigen"

Das Gespräch führte Michael Knigge / 25. Januar 2006

Salman Rushdie im DW-WORLD Interview über den Kaschmir-Konflikt und seinen neuen Roman, wie der 11. September 2001 das Lesen verändert und was der Fall Orhan Pamuk für die Türkei bedeutet.

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Salman Rushdie mit seinem neuen BuchBild: AP

DW-WORLD: Ihr neuer Roman "Shalimar, der Narr" handelt zum Teil von Kaschmir. Was war für Sie der Anlass, ein Buch über diese Krisenregion zwischen Indien und Pakistan zu schreiben?

Salman Rushdie: Das ist eine Gegend, die mich mein Leben lang beeinflusst hat. Meine Familie kommt von dort. Einer der Günde, warum ich hellhäutig bin, ist, dass ich ein Kaschmiri bin. Und Kaschmiris sind, sogar von den Nordindern, ethnisch verschieden. Es stimmt, dass Kashmiris in Indien sehr deutlich zu erkennen sind. Man sieht anders aus als die anderen Leute. Deshalb ist das ein wichtiger Aspekt der eigenen Identität, wenn man aus einer Kashmiri-Familie stammt. Ich wuchs in dem Bewusstsein der Tatsache auf, dass ich ein Kashmiri bin. Ich hatte das Gefühl, es war nur eine Frage der Zeit, wann ich das Thema aufgreifen würde.

Wo sehen Sie eine Lösung für den Konflikt?

Eine Annäherung zwischen Indien und Pakistan deutet sich ganz schwach an. Aber das passiert sehr langsam. Um die Wahrheit zu sagen: Ich glaube, dass die einzig sinnvolle Lösung diejenige ist, die niemand diskutiert: Beide Seiten müssen voneinander Abstand nehmen und die früheren Grenzen wieder herstellen. Man muss die Kontrolllinie loswerden, Kaschmir wieder vereinigen und Indien und Pakistan gemeinsam die Grenzen sicherstellen lassen. Ich denke, das ist die langfristige Lösung, denn das bringt die Dschihadisten raus aus Kaschmir. Das Problem ist, dass die indische Armee sich dann zurückziehen müsste. Aber so lange man diese international zusammengesetzten Guerilla-Truppen dort hat, ist es sehr schwierig, diesen Ort zu befrieden. Die einzige Möglichkeit ist, Kaschmir wieder zu vereinigen. Die Kaschmiri haben das immer schon gesagt, aber niemand hört auf sie.

Der erste Schritt ist die Entmilitarisierung. Und es scheint so, als ob sich Indien und Pakistan dem langsam nähern. Aber nicht einmal die Erdbeben-Katastrophe konnte sie davon überzeugen, ihre Differenzen zu begraben und das zeigt, wie tief verwurzelt das Thema ist.

"Shalimar, der Narr" wurde von Kritikern als eine Reaktion auf die Anschläge vom 11. September 2001 und den darauf folgenden Anti-Terror-Krieg gedeutet. Sehen Sie das auch so?

Nein. Der einfache Grund dafür ist, dass ich beinahe das ganze Buch vor dem 11. September geschrieben habe. Was sich meines Erachtens geändert hat, ist, wie es gelesen wird. Denn die Befürchtungen im Buch sind von den realen Befürchtungen der Menschen eingeholt worden. Ich schreibe über diese Sachen seit mehr als 20 Jahren. Aber ich glaube, was am 11. September passiert ist, hat das Thema ins allgemeine Interesse gerückt. Wäre dasselbe Buch im Jahr 2000 veröffentlicht worden, wäre es ganz anders gelesen worden. Jetzt, in einer Zeit, in der der 11. September und seine Folgen in aller Munde sind, hat sich das Lesen - nicht das Schreiben - verändert.

Sie sagen also im Grunde, Sie waren der Zeit voraus?

Exakt. Das ist allerdings nicht besonders überraschend, denn ich komme von dort und ich denke schon mein ganzes Leben lang über diese Dinge nach. Wenn man schon sein ganzes Leben über eine Sache nachdenkt, ist es nicht überraschend, dass man anderen Leuten voraus ist, die erst angefangen haben, über diese Dinge nachzudenken, nachdem sie angegriffen wurden. Es ist immer noch so, dass die westliche Welt das Thema Kaschmir ignoriert. Wenn man bedenkt, dass Kaschmir der einzige Ort der Welt ist, an dem sich zwei Atommächte schwer bewaffnet an etwas gegenüber stehen, das eigentlich eine Waffenstillstandlinie sein soll, dann sollte man doch meinen, das wäre von Interesse für den Rest der Welt. Aber nein. Eines der kleinen Dinge, die das Buch bewirken kann, ist, dass ich über Kaschmir reden kann und damit in den Zeitungen präsent bin. Doch das Buch wird nächste Woche schon wieder "out" sein. Der Kaschmir-Konflikt ist wirklich eine vergessene Krise und das ist sehr schlimm.

Sie haben jetzt sieben Jahre lang in den USA gelebt. Wie hat diese Erfahrung Ihr Schreiben verändert? Sind Sie noch immer ein britisch-indischer Autor? Oder sind Sie jetzt ein amerikanischer Autor? Werden Sie je einer werden?

Ich sehe mich selbst nicht als amerikanischen Autoren, aber ich sehe mich als New Yorker. Es gibt die unterschiedlichsten Typen in New York und sie alle erzählen einem ihre Geschichte. Ich weiß nicht, wie das das Schreiben beeinflusst hat. Ich wusste nur, dass New York mir guttun würde. Also kam ich hierher - und ich glaube, dass ich in New York sehr gut arbeiten kann. Die letzten drei Romane, die ich publiziert habe, enthalten alle Passagen, die in den Vereinigten Staaten spielen. Für mich besteht ein wichtiger Aspekt meiner Arbeit darin, mir anzusehen, wie verschiedene Teile der Welt sich zusammentun. Was es auf sich hat mit dem Westen und dem Osten, wo man die Verbindungen findet und wie man Geschichten schreiben kann, die diese Verbindungen erkunden. Also habe ich eine Menge meiner Zeit damit verbracht, nach Osten und nach Westen gleichzeitig zu schauen. Ich weiß nicht, wie lange ich das noch tun werde.

Aber: Das Fundament meiner Arbeit ist, dass ich ein indischer Schriftsteller bin - ein indischer Schriftsteller, der, wie viele andere indische Schriftsteller auch, mal hier und mal dort lebt. Westliche Schriftsteller haben schon immer dort gelebt, wo es ihnen gerade genehm war. Hätten Ernest Hemingway oder Gertrude Stein in Paris leben wollen, dann hätte das trotzdem noch keine Franzosen aus ihnen gemacht. Wenn Schriftsteller umziehen, ist das keine große Sache - nicht mehr als ein Wechsel der Adresse. Es geht doch darum, ob ihre Bücher wahr sind oder nicht. Wenn sie nicht wahr sind, dann bleiben sie auch unwahr, selbst, wenn der Autor nie sein Heimatland verlassen hat.

Sie haben die EU aufgefordert, sich bei der türkischen Regierung dafür stark zu machen, dass der Prozess um Orhan Pamuk beendet wird. Jetzt hat das türkische Gericht den Prozess widerrufen. Sind Sie zufrieden damit? Ist die Türkei Ihrer Meinung nach ein europäisches Land und sollte sie Mitglied der EU werden?

Orhan ist ein Freund von mir. Und ich bin erfreut, dass er diesen lächerlichen Prozess nicht durchstehen muss. Aber es gibt viele, viele andere, international weniger bekannte Schriftsteller und Journalisten, die von demselben Paragraphen des Strafgesetzbuches betroffen sind. Eine Menge Fälle sind noch nicht abgeschlossen, die jetzt aber keine internationale Aufmerksamkeit mehr bekommen werden, weil Orhan der Bekannteste von ihnen ist und die Anklage in seinem Fall fallengelassen wurde.

Als Präsident von "PEN Amerika" spreche ich mich dafür aus, an diesem Punkt den Druck zu erhöhen. Der Rückzug in diesem Fall zeigt klar, dass die Türkei irgendwann diesen Paragraphen des Strafgesetzbuches ganz streichen könnte, dem zufolge es legal ist, Leute ins Gefängnis zu sperren, die sich der Türkei gegenüber "unhöflich verhalten" haben. Wenn die Türkei auch nur die geringste Chance haben will, Mitglied der EU zu werden, muss sie vorher ganz klar ihr Strafgesetzbuch an den internationalen Normen für persönliche Freiheit ausrichten. Es ist ein großer Tag für Orhan, aber wir müssen unsere Bemühungen weiterverfolgen.

Salman Rushdie (58) gehört zu den bedeutendsten Vertretern der zeitgenössischen Literatur. Seine Erzählungen reichert er mit phantastischen Elementen aus der Märchenwelt an. Dieses Vermischen von Mythos und Phantasie mit dem realen Leben wird als magischer Realismus bezeichnet. Rushdie schreibt in englischer Sprache. Für sein Buch "Mitternachtskinder" wurde er mit dem Booker-Preis ausgezeichnet. Am 14. Februar 1989 verurteilte der iranische Staatschef Khomeini Rushdie wegen seines Buches "Die satanischen Verse" mittels einer Fatwa zum Tode, weil das Buch gegen den Islam, den Propheten und den Koran sei. Khomeini rief die Moslems in aller Welt zur Vollstreckung auf. Um die Durchführung zu beschleunigen, wurde ein Kopfgeld von 3 Millionen US-Dollar ausgesetzt. Im Jahre 1998 distanzierte sich der Iran in einer offiziellen Erklärung von dem Todesurteil. Fundamentalistische Kreise halten aber daran fest.