Die erste Hürde für Parteien
4. Juli 2013Bundesbürger, die bei der Bundestagswahl am 22. September ihre Kreuze auf dem Stimmzettel machen, werden viel Auswahl haben. Denn neben den etablierten Parteien können die Wähler auch einer der zahlreichen Kleinparteien ihre Stimme geben. 58 solcher Vereinigungen wollten sich zur Wahl stellen. Sie nennen sich "Partei der Bedrängten", "Die Frauen" oder "Die Aktiven". 38 werden auf dem Stimmzettel auftauchen. Der Bundeswahlausschuss hat sich festgelegt. Das Gremium besteht neben dem Bundeswahlleiter als Vorsitzendem aus acht Beisitzern, die auf Vorschlag der etablierten Parteien berufen werden, und zwei Richtern des Bundesverwaltungsgerichts.
Für sechs etablierte Parteien CDU, CSU, SPD, FDP, Linke und Grüne, die im Bundestag vertreten sind, war die Zulassung zur Wahl kein Problem. "Wenn eine Partei mit mindesten fünf Abgeordneten in einem Landtag, dem Bundestag oder dem europäischen Parlament sitzt, dann ist sie automatisch zur Wahl zugelassen", sagt der Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer von der Freien Universität Berlin. Auch die Piratenpartei darf sich ohne Prüfung zur Wahl stellen, obwohl sie bei der vergangenen Bundestagswahl 2009 nur zwei Prozent der Stimmen bekommen hat. "Da hat der Bundeswahlausschuss überhaupt keine Möglichkeit, sie nicht zuzulassen, denn die Piraten sitzen in vier Landtagen", betont Niedermayer.
Das Wahlprogramm spielt keine Rolle
Ohne Einschränkungen zugelassen werden auch die Freien Wähler und die rechtsextreme NPD- wegen ihrer Präsenz in Landesparlamenten. In Umfragen liegen die Parteien aber unter der Fünf-Prozent-Hürde, die Voraussetzung ist für den Einzug in den Bundestag.
Kleinparteien ohne Mandatsträger mussten sich dagegen beim Bundeswahlleiter Roderich Egeler melden. Gesetzlich ist festgelegt, dass eine sogenannte Beteiligungsanzeige eingehen muss. Darin müssen die Gruppen unter anderem angeben, wie viele Mitglieder sie haben, wie viele Verbände gegründet wurden, wie sie bisher bei Wahlen abschnitten und ob sie öffentliche Versammlungen abgehalten oder andere Werbung gemacht haben.
Der Ausschuss entscheidet anhand der Angaben, "ob es der Partei tatsächlich ein ernsthaftes Anliegen ist, an der politischen Willensbildung mitzuwirken", erläutert Politologe Niedermayer das Verfahren. Laut Gesetz ist eine weitere Voraussetzung, dass die Parteien "insbesondere nach Umfang und Festigkeit ihrer Organisation, nach der Zahl ihrer Mitglieder und nach ihrem Hervortreten in der Öffentlichkeit eine ausreichende Gewähr für die Ernsthaftigkeit dieser Zielsetzung bieten." Die Gruppen müssen also Beweise für Wahlkampf, Veranstaltungen und ausreichend Mitglieder liefern. Bei der Zulassung geht es nicht um Inhalte oder das Wahlprogramm, sagt Niedermayer: "Der Bundeswahlausschuss handelt nach reinen Formalkriterien."
Euroskeptiker wie die neu gegründeten "Alternative für Deutschland" (AFD) oder die "Neue Mitte" haben die Zulassung erhalten.
Ab einer bestimmten Anzahl von erhaltenen Stimmen werden sie Geld vom Staat bekommen. Deshalb spielten sich bei den Sitzungen des Bundeswahlausschusses vor vier Jahren emotionale Szenen ab, als Bundeswahlleiter Roderich Egeler von etwa 50 Vereinigungen 31 die Zulassung verwehrte. Einige Parteien waren bei der vorangegangenen Wahl noch problemlos zugelassen worden und deshalb um so erstaunter, dass sie die Kriterien nicht mehr erfüllten.
Damals wurde unter anderem die Satiretruppe "Die Partei" ausgeschlossen. Egeler hatte sie nicht zugelassen, weil er von nur einem Landesverband ausgegangen war, obwohl deren Vertreter in der maßgeblichen Sitzung auf Nachfrage neun Landesverbände aufgezählt hatte. Wegen dieser und anderer Entscheidungen war der Wahlleiter in die Kritik geraten und hatte auch eine Debatte darüber ausgelöst, wie hoch die Hürden für die Zulassung zur Wahl sein sollten.
Denn wer nicht bei der Wahl antreten darf, hatte bislang kaum Möglichkeiten, dagegen vorzugehen. "Gegen eine ablehnende Zulassungsentscheidung kann nichts unternommen werden, weder beim Ausschuss selbst noch vor Gericht", schreibt der stellvertretende Leiter des Instituts für Deutsches und Internationales Parteienrecht und Parteienforschung an der Universität Düsseldorf, Martin Morlok, in einem 2009 erschienenen Artikel für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung".
Darin beklagt er, dass Parteien erst nach der Wahl die Möglichkeit hätten, ein Wahlprüfungsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe anzustrengen. Und selbst dann seien die Aussichten schlecht, denn "eine Wahlanfechtung hat nur Erfolg, falls ohne den aufgetretenen Fehler das Parlament anders zusammengesetzt wäre", stellt Morlok fest.
Gerade Kleinstparteien hatten deshalb geringe Chancen auf den nachträglichen Erfolg, weil sie in der Regel bei einer Zulassung nur wenige Stimmen bekommen hätten. Die Sitzverteilung im Bundestag hätte sich also auch bei einer Teilnahme wahrscheinlich nicht verändert. Auch "Die Partei" scheiterte mit ihrer Wahlprüfungsbeschwerde vor dem Verfassungsgericht - allerdings wegen formaler Fehler.
Inzwischen ist das Wahlrecht geändert worden: Direkt nach der Ablehnung durch den Bundeswahlausschuss kann eine Vereinigung Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht einlegen - und nicht erst nach der Wahl.
Parteien brauchen Unterschriften
Auf die Parteien, die die erste Hürde geschafft haben, kommt direkt die nächste zu. Auch wenn der Bundeswahlausschuss einer Vereinigung den Status als Partei anerkennt, darf sie nicht automatisch bei der Bundestagswahl antreten. Wer dabei sein will muss - anders als die etablierten Parteien - auch notwendige Unterstützungsunterschriften in einzelnen Wahlkreisen und im jeweiligen Bundesland zusammenbekommen. Das liegt am System der Erst- und Zweitstimmen in Deutschland. Bei der Bundestagswahl gibt man zwei Stimmen ab: zum einen für die Direktmandate, mit der man den Kandidaten einer Partei aus seinem Wahlkreis seine Stimme für den Einzug in den Bundestag gibt. Zum anderen wählt man die Landesliste einer Partei. Mit dieser Zweitstimme bestimmen die Wähler in Deutschland die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag.
Die Vorschläge für die einzelnen Wahlkreise müssen laut Wahlrecht von mindestens 200 Wahlberechtigten persönlich dort unterschrieben werden. Bei der Landesliste richtet sich die Zahl der benötigten Unterstützer nach der Zahl der Wahlberechtigten bei der vergangenen Wahl. Maximal sind dann 2000 Unterschriften nötig. Nur wer schließlich auch diese Hürde nimmt, findet sich am 22. September tatsächlich auf den Stimmzetteln wieder. Trotzdem wird die Liste so lang sein, dass manch Wähler die Qual der Wahl hat.