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PolitikEuropa

Die EU boykottiert Ungarns Ratspräsidentschaft - ein wenig

17. Juli 2024

Viktor Orbans Reise nach China und Russland hat für Ärger gesorgt. Die EU-Kommission will nun bei inoffiziellen Treffen nur auf Beamtenebene teilnehmen. Was bedeutet der Teil-Boykott der ungarischen Ratspräsidentschaft?

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Ursula von der Leyen, umgeben von drei Männern in blauen Anzügen
EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen und Ungarns Regierungschef Orban in BrüsselBild: Ludovic MARIN/AFP

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat entschieden, bis auf weiteres nur noch höhere Beamte zu den informellen Treffen des europäischen Rates zu schicken. Auch eine eigentlich geplante Reise der EU-Kommission nach Ungarn soll nicht stattfinden. Damit schließt sich die Kommission dem Vorgehen einiger Mitgliedsstaaten an. Vergangene Woche hatten beispielsweise Schweden und Litauen angekündigt, informelle Treffen vorübergehend nur auf Beamtenebene zu besetzen.

Die Entscheidung der EU-Kommission sei gefallen "in Anbetracht der jüngsten Entwicklungen, die den Beginn des ungarischen Ratsvorsitz markieren", teilte ein Sprecher in Brüssel auf X (vormals Twitter) mit.

Orban und Selenskyj reichen sich die Hände
Der ungarische Premier Viktor Orban zum Auftakt seiner "Friedensmission" bei einem Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj (2. Juli)Bild: Maxym Marusenko/Nur Photo/IMAGO

Orbans doppeldeutige "Friedensmission"

Mit den "jüngsten Entwicklungen" sind die Reisen gemeint, die Viktor Orban auf seiner selbst deklarierten "Friedensmission" unternommen hat. Den Auftakt machte ein Treffen mit Präsident Wolodymyr Selenskyj in der Ukraine gleich am zweiten Tag der ungarischen Ratspräsidentschaft. Gefolgt von einer Reise nach Moskau, wo Orban mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin sprach. In Peking wurde er von Chinas Präsident Xi Jinping empfangen. In Washington traf sich der amtierende Ratspräsident unter anderem mit dem türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan sowie mit Donald Trump in Florida.

Orbans Reisen umgaben eine wohl beabsichtigte Doppeldeutigkeit. So bezog er sich in Kiew bei einem X-Post explizit auf die Übernahme der Ratspräsidentschaft - wie auch gegenüber der Bild-Zeitung in einem Interview nach seinem Moskau-Besuch. Gleichzeitig hieß es auf einer Pressekonferenz des ungarischen Europaministers Janos Boka in Brüssel, Premierminister Orban würde nicht im Auftrag und Namen der EU handeln und habe das an verschiedenen Stellen auch deutlich gemacht. Der russische Präsident Wladimir Putin hatte die EU-Ratsräsidentschaft bei der Begrüßung jedoch ausdrücklich erwähnt.

"Ehrlicher Makler" ohne Mandat

Ungarn hat die rotierende EU-Ratspräsidentschaft seit dem 1. Juli inne. In dieser Position übernimmt das Land den Vorsitz bei den Ratstreffen der Mitglieder und soll Kompromisse im EU-Rat - einem der beiden EU-Gesetzgeber - schmieden. Ungarns Europaminister Boka hatte stets beteuert, sein Land werde als "ehrlicher Makler" handeln.

Blockierer Ungarn übernimmt EU-Ratsvorsitz

Insbesondere das Treffen in Moskau hatte heftige Kritik innerhalb der EU und den EU-Mitgliedstaaten ausgelöst. Orban reise "ohne Mandat" und ohne die Ukraine werde nicht über die Ukraine diskutiert, postete etwa Charles Michel, der Präsident des Europäischen Rates, als die ersten Gerüchte über die Reise aufkamen. Auch Staaten wie Deutschland und Tschechien betonten, dass Orban nicht im Auftrag der EU reise.

Der ungarische Premier gilt als russlandfreundlich und blockiert EU-Hilfen für die angegriffene Ukraine. Derzeit können rund sechs Milliarden Euro an Militärhilfen an die Ukraine nicht freigegeben werden. Andererseits sind aufgrund von Rechtsstaatsbedenken rund 19 Milliarden Euro für Ungarn eingefroren. 

Welche Bedeutung hat die Entscheidung?

Die EU-Kommission wolle "eine symbolische Geste setzen, die Ausdruck der Missbilligung über die unkoordinierten Reisen des Premierministers in Drittstaaten" ist, erläuterte ein Kommissionssprecher. Die Entscheidung von der Leyens betrifft demnach inoffizielle Treffen auf Ministerebene. Hierbei kommen in der Regel Fachminister zum Austausch zusammen - ohne über konkrete EU-Gesetze abzustimmen. Das findet häufig in dem Land statt, das den Ratsvorsitz innehat. Auch Ungarn hat für die nächsten sechs Monate eine Reihe solcher Termine angesetzt. So werden kommende Woche beispielsweise die Justiz -und Innenminister in Budapest erwartet. Informelle Treffen wie diese nutzen die Gastgeberländer auch, um sich und ihre europapolitische Ausrichtung zu präsentieren.

Josep Borrell spricht in Brüssel mit der Presse
Der aus dem Amt scheidende EU-Außenbeauftragte Josep Borrell ist für die Ansetzung von Treffen der Außen- und Verteidigungsminister zuständigBild: FRANCOIS WALSCHAERTS/AFP/Getty Images

Etwas anders dürfte die Lage mit Blick auf einen für den November vorgesehenen Gipfel der Staats- und Regierungschefs sein, ebenso wie für ein im August geplantes Treffen der Außen- und Verteidigungsminister. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell lässt klarstellen, dass die Sitzungen der Verteidigungs- und Außenminister in seiner Kompetenz liegen. Bislang sei keine Entscheidung gefallen. Laut dpa wird darüber diskutiert, den Termin nach Brüssel zu verlegen. Eine Entscheidung könnte beim nächsten regulären Außenministertreffen Anfang nächster Woche fallen. Auch offizielle Ratstreffen, die regelmäßig in Luxemburg und Brüssel stattfinden, sind von der Entscheidung nicht betroffen.

Von der Leyen und ihre Wiederwahl

Ungarn kritisiert die Haltung der Kommission. Auf X bemerkte Europaminister Boka, die Europäische Union sei eine durch die Mitgliedstaaten gegründete Institution. "Die EU-Kommission kann sich die Institutionen und Mitgliedstaaten, mit denen sie kooperieren will, nicht aussuchen. Gründen sich alle Beschlüsse der Kommission nun auf politischen Erwägungen?"

Tatsächlich gilt die Entscheidung in Brüssel als beispiellos. Und sie kommt nur wenige Tage bevor Ursula von der Leyen im EU-Parlament zur Wiederwahl als EU-Kommissionschefin antritt. Insbesondere die Grünen, Sozialdemokraten und die Liberalen hatten in der Vergangenheit eine härtere Gangart gegenüber Ungarn gefordert.

Der Grünen-Politiker Daniel Freund hält die Entscheidung für "einen guten ersten Schritt". Im Gespräch mit der DW fordert er, die ungarische Ratspräsidentschaft zu verkürzen, weil der ungarische Premier EU-Regeln verletzt habe. Bereits im vergangenen Jahr hatten große Teile des EU-Parlaments gefordert, Ungarn aufgrund "gravierender Probleme bei der Rechtsstaatlichkeit" nicht zur Ratspräsidentschaft zuzulassen. 

DW Mitarbeiterin Lucia Schulten
Lucia Schulten Korrespondentin in Brüssel