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PolitikEuropa

Die EU, der Westbalkan und der ewige Beitrittsprozess

23. Oktober 2024

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen reist in die Länder des westlichen Balkans. Es geht um die EU-Erweiterung und finanzielle Unterstützung für die Region - und um Zweifel und Zuhören.

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Ein Mann und eine Frau vor einem farbigen Hintergrund, die halten sich bei der Hand: Albaniens Premier Edi Rama (l) und EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen (r)
Albaniens Premier Edi Rama begrüßt EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen (EU-Westbalkangipfel in Tirana, Dezember 2022)Bild: Olsi Shehu/AA/picture alliance

Ihre dreitägige Westbalkanreise beginnt EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mit einem Treffen mit dem albanischen Premierminister Edi Rama in Tirana. Bis Ende der Woche wird von der Leyen die Staats- und Regierungschefinnen und -chefs Nordmazedoniens, Bosnien-Herzegowinas, Serbiens, des Kosovo und Montenegros treffen.

Laut EU-Kommission ist das eine allgemeine und auch in den vergangenen Jahren übliche Reise,  deren Fokus hauptsächlich auf dem EU-Erweiterungsprozess sowie dem sogenannten Wachstumsplan für den westlichen Balkan liegen werde.

Der Besuch findet auch noch vor der Veröffentlichung der jährlichen Fortschrittsberichte über die Erweiterung statt. Diese Bewertungen von Reformfortschritten beitrittswilliger Länder will die EU-Kommission nach derzeitigem Planungsstand nächste Woche vorlegen.

Die Reise bietet der EU-Kommissionschefin darüber hinaus die Möglichkeit, ihre Erwartungen und Botschaften auf höchstmöglicher politischer Ebene anzubringen, sagt Vessela Tcherneva vom European Council on Foreign Relations gegenüber der DW. Außerdem sei es eine "Übung im Zuhören" für von der Leyen. Denn in der Region gebe es Zweifel daran, dass der Beitrittsprozess angemessen voranschreite und dass die Angebote der EU wirklich glaubwürdig seien.

Langwierige Verhandlungen - und kein Ende in Sicht

Denn den sechs Westbalkanländern wurde schon vor über 20 Jahren eine EU-Mitgliedschaft versprochen. Heute sind sie unterschiedlich weit gekommen. Seit vergangener Woche führen die EU und Albanien Verhandlungen über den inhaltlichen Teil des Beitritts. Ab jetzt wird über insgesamt 35 Kapitel verhandelt, die die Rechtsgebiete festschreiben, in denen Albanien sein System an das geltende EU-Recht anpassen muss.

"Albanien und Montenegro haben Fortschritte gemacht"

Montenegro und Serbien führen diese inhaltlichen Gespräche bereits seit rund einem Jahrzehnt. Nordmazedonien wartet noch auf den Beginn inhaltlicher Verhandlungen, und für Bosnien und Herzegowina fehlen bestimmte Schritte, die den inhaltlichen Gesprächen vorangehen. Das Kosovo gilt bislang nur als "potenzieller Beitrittskandidat" - auch wegen des Konflikts mit Serbien. Das Kosovo hatte sich 2008 unabhängig von Serbien erklärt, was dieses nicht anerkennt. Das gilt auch für fünf EU-Mitgliedstaaten: Spanien, Griechenland, Zypern, Rumänien und die Slowakei. Solange sich die Verhältnisse zwischen Kosovo und Serbien nicht normalisiert haben, bleibt ihr EU-Beitritt unwahrscheinlich, denn im Beitrittsprozess braucht es regelmäßig die einstimmige Entscheidung aller 27 EU-Mitgliedstaaten.

Wachstumsplan für den Westbalkan

Dennoch gibt es Unterstützung für die Region. Der sogenannte Wachstumsplan ist ein Sechs-Milliarden-Euro-Paket für den Zeitraum von 2024 bis 2027, bestehend aus vier Milliarden Euro in Krediten und zwei Milliarden Euro in Zuschüssen. Das Ziel: Die Westbalkanländer sollen bereits vor einer Mitgliedschaft näher an die EU und den europäischen Binnenmarkt herangeführt werden. Die EU-Kommission verspricht, das werde die Wirtschaft der Empfängerländer ankurbeln und ihre Volkswirtschaften im nächsten Jahrzehnt potentiell verdoppeln. Um das Geld zu erhalten, müssen die Länder unter anderem eine Reformagenda vorlegen, die Empfehlungen der EU-Kommission umsetzt.

Kosovo: Eine Brücke spaltet Kosovo-Albaner und Serben

Milena Mihajlovic, Mitbegründerin des EU-freundlichen Thinktanks European Policy Centre (CEP) in Belgrad, lobt im DW-Gespräch den Wachstumspakt als erstes konkretes Beispiel für den 2022 herausgearbeiteten graduellen Integrationsansatz. Weitere Beispiele werden ihrer Ansicht nach folgen, etwa im Bereich der institutionellen Zusammenarbeit. Von der Kommissionspräsidentin erwartet Mihajlovic, dass sie darauf dringen wird, regionale Streitigkeiten beizulegen, beispielweise im Belgrad-Pristina-Dialog zwischen Serbien und Kosovo, den die EU vermittelt. Fortschritte in diesem Bereich seien nämlich eine Grundvoraussetzung für die Auszahlung von EU-Geldern.

Eine Frau und ein Mann stehen an runden Stehpulten vor den herabhängenden Flaggen der EU-Mitgliedsländer: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (l) und der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (r)
Ursula von der Leyen kündigt Gelder aus dem Wachstumsplan (neben ihr Bundeskanzler Olaf Scholz), Oktober 2024Bild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Vergangene Woche erklärte die EU-Kommission, fünf der sechs Reformagenden - das sind alle mit Ausnahme Bosnien Herzegowinas - seien bereits von den Mitgliedstaaten gebilligt worden. Nun werde die EU-Kommission diese formell und zeitnah verabschieden. Wenn ein Staat von Mitteln aus dem Wachstumsplan profitieren wolle, müsse er darüber hinaus Kreditabmachungen treffen und umsetzen. Das sollte laut Ursula von der Leyen bis Ende dieses Jahres klappen.

Neue geostrategische Prioritäten

Gerade nach Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine gilt es in Brüssel als geostrategisch wichtig, die Westbalkanstaaten in die EU aufzunehmen. EU-Kommissionpräsidentin Ursula von der Leyen sagte im September bei einer Rede im slowenischen Bled: "Im Zeitalter geostrategischer Rivalitäten verleiht uns eine größere Europäische Union eine stärkere Stimme in der Welt."

Allerdings: Das gebe den Ländern keinen "Freifahrtschein", betont Westbalkan-Expertin Tcherneva, selbst wenn viele Regierungen in der Region dächten, dass sie sich aufgrund der geopolitischen Lage nicht mehr so anstrengen müssten. Das werde von der Leyen bei ihrer Reise vermutlich auch klarstellen.

Nun müssten die Westbalkanstaaten zeigen, dass sie Fortschritte machen könnten, betont Analystin Mihajlovic. Und sie müssten auf die positiven Signale der EU antworten. Die EU ihrerseits solle versuchen, die Zweifel auszuräumen, dass sie es - trotz anderslautender Versicherungen und Programme - nicht wirklich ernst meine mit der Beitrittsperspektive. 

DW Mitarbeiterin Lucia Schulten
Lucia Schulten Korrespondentin in Brüssel