Die EU und Vietnam sind im Geschäft
12. Februar 2020Der vietnamesische Journalist Pham Chi Dung wurde Ende 2019 in seinem Haus in Ho-Chi-Minh-Stadt festgenommen und kurz darauf wegen "Verbreitung staatsfeindlicher Propaganda" angeklagt. Sollte Pham Chi Dung verurteilt werden, droht ihm laut Reporter ohne Grenzen (RoG) eine Haftstrafe von bis zu zwölf Jahren. RoG bezeichnet die Verhaftung des Journalisten als "weiteren Beleg für die komplette Unfähigkeit des vietnamesischen Regimes, Informationen zu tolerieren, die nicht aus der eigenen Propagandamaschinerie stammen".
Gerade wegen solcher Fälle stemmen sich viele Menschenrechtsorganisationen vehement gegen das vereinbarte Freihandelsabkommen (EVFTA) zwischen der Europäischen Union und Vietnam. Ein Pakt, für den sich an diesem Mittwoch im EU-Parlament im französischen Straßburg die Mehrheit der Abgeordneten aussprach. 28 Organisationen, darunter Human Rights Watch (HRW) hatten von den Abgeordneten gefordert, das Votum zu vertagen bis die Regierung Vietnams zustimme, "konkrete und überprüfbare Maßnahmen beim Schutz von Arbeitnehmer- und Menschenrechten einzuhalten".
EU-Handelskommissar Phil Hogan hatte am Dienstag vor dem EU-Parlament in Straßburg zwar eingeräumt, dass die Menschenrechtslage sicher ein Problem sei in der Beziehung zu Vietnam. Wie andere Befürworter des Deals betonte er aber, dass die EU nur durch das Handelsabkommen Reformen im Land voranbringen könne. Der SPD-Abgeordnete und Vorsitzende des Handelsausschusses im EU-Parlament Bernd Lange teilte nach dem Votum mit, die EU wolle durch das Handelsabkommen die Lebensbedingungen der Menschen in Vietnam verbessern. "Isolation ändert ein Land und seine Machtverhältnisse nicht, sondern zementiert bestehende Verhältnisse", so Lange
Vietnam als zweitwichtigster Handelspartner der EU in Südostasien
Die größte Rolle für die Brüsseler EU-Kommission dürften allerdings wirtschaftliche Gründe spielen. In den kommenden Jahren sollen stufenweise 99 Prozent aller Zölle auf beiden Seiten abgeschafft werden. Außerdem sollen EU-Unternehmen leichter an öffentliche Aufträge in Vietnam kommen. Und es sollen bürokratische Hürden fallen, indem Vietnam etwa internationale Standards einführt und EU-Zertifikate akzeptiert. Phil Hogan bezeichnet das Abkommen mit Vietnam als das ambitionierteste, das die EU jemals mit einem Entwicklungsland geschlossen habe.
Laut EU-Kommission exportiert die EU hauptsächlich Hightech-Produkte wie elektrische Maschinen, Flugzeuge, Fahrzeuge und pharmazeutische Produkte nach Vietnam. Aus dem südostasiatischen Land importiert die EU vor allem Telefone, elektronische Produkte, Schuhe und Kleidung.
Vietnam ist mit seinen 95 Millionen Einwohnern nach Singapur der wichtigste Handelspartner für die EU in Südostasien. Die kommunistische Partei hat das Land fest im Griff, das Recht auf freie Meinungsäußerung ist eingeschränkt. Seitdem Vietnam sich Mitte der 1980er Jahre für den Weltmarkt geöffnet hat, wächst die Wirtschaft rasant. Die EU betrachtet den Handelsdeal mit Vietnam auch als Mittel, um ihre Präsenz in Asien zu erhöhen.
128 politische Häftlinge in vietnamesischen Gefängnissen
Kritiker versucht die EU-Kommission mit Hinweisen auf die im Vertrag festgehaltenen Bestimmungen zu Menschenrechten und zu nachhaltiger Entwicklung zu beschwichtigen. Laut EU-Handelskommissar Phil Hogan hat Vietnam bereits sechs der acht Normen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) unterzeichnet - und habe den Plan, das bis 2023 auch mit den verbleibenden beiden zu tun. Vietnam arbeite konkret daran, Kinderarbeit zu beseitigen, so Hogan.
Für nicht wenige Abgeordnete im EU-Parlament war das kein Grund, dem Abkommen zuzustimmen. Anna Cavazzini, handelspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im EU-Parlament, sagte, sie lehne es ab, dass die EU die vietnamesische Regierung und ihr brutales Vorgehen gegen Oppositionelle mit einem Handelsabkommen adle. In einem Bericht der Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) von Mai 2019 heißt es, dass mindestens 128 politische Häftlinge unter "unerträglichen Bedingungen" in vietnamesischen Gefängnissen untergebracht seien. Es gebe Beweise dafür, dass Gefangene gefoltert und kein sauberes Wasser bekommen würden.
Das Abkommen muss nun auf EU-Seite in einem nächsten Schritt vom Rat der Europäischen Union noch mit einer qualifizierten Mehrheit beschlossen werden, bevor es in Kraft treten kann.