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Die Geiseln des Präsidenten

Eugen Theise4. Februar 2014

Keine Straßenkämpfe, keine Molotow-Cocktails. Doch die Ruhe in Kiew trügt. Denn der Repressionsapparat von Präsident Viktor Janukowitsch läuft auf Hochtouren. Hunderten drohen lange Haftstrafen.

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Ein Schild mit einem Bild von Viktor Janukowitsch, im Hintergrund Sicherheitskräfte (Foto: REUTERS/Gleb Garanich)
Bild: Reuters

"Seit fast zwei Wochen habe ich keinen einzigen Tag richtig schlafen können", sagt die 28-jährige Darja, die um das Schicksal ihres Verlobten bangt. Seit dem 24. Januar sitzt Myhailo Ovsijenko im Lukjaniwski-Untersuchungsgefängnis in Kiew. Das graue, düstere Gebäude aus dem 19. Jahrhundert ist hoffnungslos überfüllt. In den dunklen, kalten Zellen werden viele Gefangene krank. Darja kann es immer noch nicht fassen, dass ihr Geliebter - ein junger Ingenieur mit guten Karriereaussichten - seit gut zwei Wochen dort ist.

Verhaftung wie aus heiterem Himmel

Myhailo Ovsijenko und seine Verlobte Darja (Foto: privat)
Darja und ihr Verlobter Myhailo OvsijenkoBild: privat

Myhailo war an einem Freitagnachmittag nach Feierabend mit seinem Opel Vivaro in der Innenstadt unterwegs. Als er von Verkehrspolizisten angehalten wurde, wunderte er sich zunächst nicht. Er hatte ein blau-gelbes Bändchen an der Antenne - die Farben der ukrainischen und der EU-Fahne. Wer in Kiew ein Symbol der Protestbewegung gegen den autoritär regierenden Präsidenten auf seinem Auto zeigt, muss mit Kontrollen der Verkehrspolizei rechnen. Seit Wochen fahndet die Polizei nach den Aktivisten des "Automaidan". Die Autokolonnen der Demonstranten blockierten immer wieder die Prachtvillen des Präsidenten und seiner Minister, um Aufklärung über die Gewalt seitens der Sicherheitskräfte zu fordern. Deswegen ist diese Bewegung den Machthabern ein Dorn im Auge.

"Aber Myhailo beteiligte sich nicht an den Aktionen des 'Automaidan'. Sein Auto war nicht auf der Fahndungsliste der Polizei", sagt Darja. Trotzdem wurde er verhaftet. Wegen alter Autoreifen. Das blau-gelbe Bändchen auf der Antenne und ein Satz alter Autoreifen im Wagen genügten den Polizisten, um Myhailo mit den Unruhen im Regierungsviertel in Verbindung zu bringen. Schließlich verbrannten dort die Demonstranten tausende alte Autoreifen, um sich hinter einer qualmenden Feuerwand von den Sicherheitskräften abzuschirmen.

15 Jahre Haft für "Landfriedensbruch"

Ende Januar kam es im Kiewer Regierungsviertel zu gewaltsamen Ausschreitungen (Foto: REUTERS/Vasily Fedosenko)
Ende Januar kam es im Kiewer Regierungsviertel zu gewaltsamen AusschreitungenBild: Reuters

Nun drohen Myhailo Ovsijenko acht bis 15 Jahre Haft für "Landfriedensbruch". Er soll "eine Gruppe von 3000 bis 5000 Personen" für die Teilnahme an Unruhen im Regierungsviertel organisiert haben", heißt es in seiner Strafakte. Insgesamt wurden unter diesem Vorwurf nach Angaben der Staatsanwaltschaft 234 Menschen verhaftet. Menschenrechtler sprechen sogar von 300 Betroffenen. "Viele Strafakten sind wie voneinander kopiert", kritisiert der Anwalt Dmytro Husij. Er ist einer von mehr als 30 Juristen in Kiew, die die Initiative "Euromaidan SOS" ins Leben gerufen haben. Sie betreuen die verhafteten Aktivisten und "zufällige Opfer der Justizwillkür" kostenlos. Die Urteile über den Verbleib in der U-Haft werden "wie am Fließband gefällt: Zeugen werden ignoriert, alle Anträge der Anwälte abgewiesen. Gegen die Justiz im System Janukowitsch haben wir keine Chance. Es geht uns vor allem darum, das haarsträubende Unrecht zu dokumentieren", sagt Husij.

Die Menschenrechtsgruppen wollen die internationale Gemeinschaft über die Justizwillkür in der Ukraine informieren. So werden die Aktivisten beispielsweise dem Menschenrechtsbeauftragten des Europarates Nils Muiznieks über die Situation der Verfolgten berichten. Muiznieks kommt am Dienstag (04.02.2014) nach Kiew, um zur Aufklärung der Menschenrechtsverletzungen beizutragen.

"Die Geiseln von Janukowitsch"

Olga Salo und andere Menschenrechtsaktivisten fordern die Freilassung verhafteter Demonstranten (Foto: DW)
Menschenrechtsaktivisten fordern die Freilassung verhafteter DemonstrantenBild: DW/Eugen Theise

"Myhailo ist eine Geisel im Krieg des Präsidenten Viktor Janukowitsch gegen sein eigenes Volk", sagt Darja im Gespräch mit der Deutschen Welle. Von den etwa 300 Menschen, denen bis zu 15 Jahren Haft drohen, befindet sich etwa jeder Dritte noch in Untersuchungshaft. Die anderen stehen unter Hausarrest. Die Opposition fordert eine bedingungslose Amnestie aller, die im Zusammenhang mit den Protesten juristisch verfolgt werden. Nach dem neu beschlossenen Amnestiegesetz ist die Freilassung dieser Menschen allerdings an Bedingungen geknüpft: die Demonstranten sollen alle besetzten Verwaltungsgebäude räumen.

Genau das aber darf nicht passieren, betont Darja. "Wenn die Menschen sich auf die Erpressung des Präsidenten einlassen und vom Maidan gehen, dann wird Myhailo erst recht nicht freikommen. Und auch wir werden nicht in Freiheit leben", fügt die 28-Jährige hinzu. Vor einigen Wochen noch träumte sie zusammen mit ihrem Verlobten davon, im Frühjahr zu heiraten. Nun sind es Richter und Politiker, die darüber entscheiden werden, ob dieser Traum in Erfüllung geht.