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Politik

"Es geht um mehr, als nur Trump loszuwerden"

28. Oktober 2020

Die US-Grünen sollten sich zugunsten der Demokraten aus dem Rennen ums Weiße Haus zurückziehen, fordern einige - um die Chancen von Joe Biden zu erhöhen. Spitzenkandidat Howie Hawkins sagt, warum er das nicht tun wird.

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Howie Hawkins
Wahlkämpfer Hawkins in Detroit: "Was wir vorschlagen, ist beim Volk beliebt"Bild: Jim West/agefotostock/Imago Images

Howie Hawkins weiß, dass er nicht der nächste Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika wird. Trotzdem tritt er bei der Wahl am 3. November als Kandidat der Green Party US an, der amerikanischen Grünen. Aus einem einfachen Grund: Er glaubt, keine der beiden großen Parteien bietet echte Lösungen für die Probleme des Landes und der Welt.

"Wenn wir für Klimafragen oder bezahlbaren Wohnraum oder die universelle Krankenversorgung kämpfen", sagte Hawkins der Deutschen Welle, "dann kämpfen wir gegen die Demokraten genauso an wie gegen die Republikaner."

Nur wenige landesweite Meinungsumfragen berücksichtigen die kleinen Parteien. Die, die es tun, prognostizieren ein Ein-Prozent-Ergebnis für Hawkins. Zum Vergleich: Die andere der sogenannten Drittparteien mit beachtenswerter Unterstützung, die Libertäre Partei, liegt in Umfragen bei rund vier Prozent.

"Es ist ein sehr schwieriges Jahr für Drittparteien", sagt Lee Drutman, Autor des Buches "Den Zwei-Parteien-Teufelskreis durchbrechen: Argumente für eine Mehrparteiendemokratie in Amerika". "Es wird als eine Wahl gesehen, bei der es um unglaublich viel geht." Die Anhänger des demokratischen Kandidaten Joe Biden und des republikanischen Amtsinhabers Donald Trump seien sehr leidenschaftlich bei der Sache.

Stimmenklau durch die Grünen?

Eine Besonderheit im US-Wahlrecht sorgt dafür, dass Hawkins mancherorts quasi unsichtbar bleibt: Bidens Demokraten haben mit Erfolg vor Gericht durchgesetzt, dass der Name des Grünen-Kandidaten in einigen Bundesstaaten nicht auf den Wahlzettel gedruckt wird. Wählen kann man ihn zwar auch in Pennsylvania und Wisconsin, aber nur, wenn man seinen Namen handschriftlich auf den Wahlzettel schreibt. Eine Anfrage der DW bei den Demokraten, was sie dazu bewogen hat, den Grünen-Kandidaten von Wahlzetteln tilgen zu lassen, blieb unbeantwortet.

Stimmzettel, u.a. Howie Hawkins
Kalifornischer Wahlzettel, mit der Möglichkeit für Hawkins zu stimmen: Name in Pennsylvania und Wisconsin getilgtBild: Rishi Deka/Zuma/picture-alliance

Viele Linke in den USA betrachten die Grünen in der Präsidentschaftswahl als eine Art Spielverderber. Der Vorwurf: Die Partei würden Stimmen von linken Wählern auf sich vereinen, die dann Joe Biden fehlen, was am Ende Donald Trump zu einer zweiten Amtszeit verhelfen könnte.  

Ein Beispiel: Bei der letzten Wahl 2016 erhielt die Präsidentschaftskandidatin der Grünen, Jill Stein, in Wisconsin mehr als 31.000 Stimmen. Trump gewann den Bundesstaat vor der demokratischen Kandidatin Hillary Clinton mit weniger als 23.000 Stimmen Vorsprung.

In der Vergangenheit unterstützten prominente linke Aktivisten und Stars die Grünen, darunter die Schauspielerin und Oscar-Gewinnerin Susan Sarandon, der Filmemacher Michael Moore und die Musiker Eddie Vedder und Patti Smith. Aber in diesem Jahr fehlen der Partei solch namhafte Fürsprecher. "Viele prominente Progressive und Umweltschützer rufen mich persönlich an und flehen mich an, in den Staaten, in denen das Rennen knapp wird, zu sagen 'Wählt Biden'", sagt Hawkins. "Aber ich bin der Kandidat der Grünen Partei."

Er verstehe die Sorgen, dass den Demokraten Wählerstimmen fehlen könnten. "Aber es geht um viel mehr, als nur Trump loszuwerden."

Grünen Themen Gehör verschaffen

Hawkins glaubt, die Angst, Stimmen an die Grünen zu verlieren, könnte Biden nach links drängen. "Die historische Rolle der Drittparteien in den Vereinigten Staaten ist es, Themen nach vorne zu bringen, die nicht angegangen werden", sagt Hawkins. "Es ist eine alte Tradition, die auf die Libertäre Partei zurückgeht, die die Frage der Sklaverei in den 1840er-Jahren zum Wahlthema machte."

Der Grünen-Kandidat hofft, die Demokraten zu einem schnelleren Handeln in Sachen Klima drängen zu können. "Trump sagt, der Klimawandel existiert nicht. Aber der Klimaplan von Biden tut so, als würde er nicht existieren."

Hawkins ist womöglich der erste US-Politiker, der einen sogenannten Green New Deal in ein Wahlprogramm geschrieben hat: Als er 2010 in New York zur Gouverneurswahl antrat. Ziel wäre, ein mit Bundesmitteln gefördertes Arbeitsplatzprogramm in bestimmten Branchen zu schaffen, welches das Land unabhängiger von fossilen Brennstoffen macht. Eine Idee, die sich jetzt auch der linke Flügel der Demokraten auf die Fahnen geschrieben hat.

"Die Dinge, die wir vorschlagen, sind im amerikanischen Volk beliebt", sagt Hawkins. Er verweist dabei neben dem Green New Deal auch auf ein von der Regierung gefördertes universelles Gesundheitswesen. Beides wird von der Mehrheit der US-Bürger unterstützt. "Das Problem liegt also in unserem Wahlsystem."

Eingeschränkt vom Zwei-Parteien-System

Die Grüne Partei der USA wurde nach dem Vorbild der deutschen Grünen aufgebaut, die Umweltschützer weltweit inspirierten, als sie 1983 erstmals in den Bundestag einzogen. Aber während Bündnis 90/Die Grünen in Deutschland derzeit 67 der 709 Abgeordneten im Parlament stellen, sind die US-Grünen auf nationaler Ebene nicht vertreten.

Hawkins macht dafür nicht die Wähler oder seine Partei verantwortlich, sondern das US-amerikanische Wahlsystem. "Es ist ein Zwei-Parteien-System, bei dem der Gewinner alles bekommt", sagt er. "Es liegt in der politischen Kultur."

Die US-Verfassung schreibt keine Begrenzung der Anzahl der Parteien vor. Doch durch das Mehrheitswahlsystem, bei dem es nur einen Gewinner gibt, ist die Chance für kleine Parteien oder neue politische Bewegungen einen Kandidaten ins Parlament zu bringen, nicht besonders groß. Das US-Wahlsystem stammt aus dem 18. Jahrhundert. Buchautor Drutman hält es für veraltet: "Viele der modernen Systeme des Verhältniswahlrechts wurden Mitte bis spätes 19. Jahrhundert entwickelt oder sogar erst im frühen 20. Jahrhundert. Viele Staaten haben sie übernommen. Aber in den USA blieb einfach alles beim Alten."

Ein Mehrparteien-Amerika?

Die Grünen setzen sich für eine proportionale Vertretung im US-Kongress ein, ähnlich wie im deutschen Parlament. Sie haben sich zudem für ein Wahlsystem ausgesprochen, bei dem die Wähler eineRangfolge bei den Kandidatinnen und Kandidaten angeben können.

Doch das ist aktuell nicht in Sicht. Derweil konzentrieren sich die US-Grünen auf Städte, Countys und Staaten, wo ihre Kandidaten tatsächlich eine Chance auf einen Sieg haben. Das sei einst auch die Strategie der Republikaner gewesen, als sie ihre Partei in den 1850er-Jahren gründeten, sagt Grünen-Spitzenkandidat Hawkins: "Sie haben sie von unten aufgebaut. Das ist es, was wir machen müssen."

Adaption: Uta Steinwehr