Die Iran-Sorgen der deutschen Wirtschaft
2. Mai 2018Mit einer prominent besetzten Industriedelegation warb Sigmar Gabriel wenige Tage nach der Einigung auf das Atomabkommen für einen Neustart in den deutsch-iranischen Wirtschaftsbeziehungen. Sehr zur Freude seiner iranischen Partner. Öl, Energie- und Industrieminister schwärmten im Sommer 2015 von den Perspektiven gemeinsamer Wirtschaftsprojekte. Und konnten sich dabei auf die Analyse von Experten berufen: Auf bis zu eine Billion US-Dollar taxierten Fachleute den Investitionsbedarf der iranischen Industrie in den folgenden zehn Jahren. Die deutschen Maschinenbauer, die Autoindustrie, aber auch die Pharma- und Medizinbranche, sie alle würden ein großes Stück von dem Kuchen abbekommen - so war die Hoffnung.
Der große Boom ist ausgefallen
Drei Jahre später herrscht Ernüchterung. Zwar hat sich der deutsch-iranische Handel intensiviert, aber auf einem vergleichsweise bescheidenen Niveau. 2015 hatte der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Eric Schweitzer, ein jährliches Handelsvolumen von bis zu zehn Milliarden Euro prognostiziert - innerhalb weniger Jahre. Doch in der Realität waren es 2017 lediglich 3,5 Milliarden Euro - nach 2,7 Milliarden Euro im krisengeschüttelten Sanktionsjahr 2014. Und das, obwohl der Handel mit dem 80-Millionen-Volk nach dem Atomdeal spürbar leichter geworden ist. Der Iran darf wieder Öl und Gas in die EU exportieren, im Gegenzug europäische Flugzeuge und andere Produkte kaufen. Deutsche Banken können bilaterale Handelsgeschäfte mit Darlehen finanzieren. Gegen 300 natürliche und juristische Personen hat die EU ihre Sanktionen aufgehoben.
Und doch bleibt das Geschäft mit dem Iran vermintes Gelände. Vor allem die Finanzierung von Großprojekten bereitet der Industrie Sorgen. "Die großen Banken sind noch immer nicht bereit, das Iran-Geschäft anzufassen", beklagt der Geschäftsführer der Deutsch-Iranischen Handelskammer, Michael Tockuss. Das hat vor allem mit Handelssanktionen der USA zu tun, die auch unter Trumps Vorgänger Barack Obama nicht aufgehoben wurden. Vor allem Geschäfte mit den Iranischen Revolutionsgarden sind betroffen. Die "Wächter der Islamischen Revolution" kontrollieren bis zu einem Drittel der iranischen Wirtschaft und haben entsprechend Einfluss auf viele Unternehmen.
Angst vor den US-Behörden
Für deutsche Banken, die auch auf dem US-Markt tätig sind, bleibt damit die Finanzierung des Iran-Geschäfts heikel - sie müssen mit empfindlichen Strafen rechnen. So musste die Commerzbank 2014 wegen Verstößen gegen die US-Iran-Sanktionen 1,45 Milliarden US-Dollar an den amerikanischen Staat zahlen - die französische Paribas sogar neun Milliarden US-Dollar. Kein Wunder, dass praktisch alle deutschen Großbanken vor entsprechenden Geschäften zurückschrecken. Sparkassen, Volksbanken oder auch die Europäisch-Iranische Handelsbank wiederum haben damit weniger Schwierigkeiten, kommen wegen ihrer Größe aber nur für kleinere Projekte in Frage. So stellt der DIHK rückblickend ernüchternd fest: "Der große Schub ist ausgeblieben."
Deutsche Wirtschaft ist ins Hintertreffen geraten
Doch nicht nur die Angst vor Ärger mit US-Behörden lähmt den bilateralen Handel mit dem Iran, der in den 1970er Jahren immerhin der zweitgrößte Partner Deutschlands außerhalb Europas war. Vor dem Embargo war Deutschland der wichtigste Handelspartner für den Iran. Mittlerweile hat sich auch der iranische Blick verändert. Dass China auch während der Sanktionen Öl aus Teheran in großem Stil gekauft hat, hat seine Wirkung nicht verfehlt. Die Iraner haben schon während der Sanktionszeit ihre Zusammenarbeit mit China ausgebaut, das Deutschland als größten Lieferanten überrundet hat.
Sogar auf EU-Ebene ist die deutsche Wirtschaft ins Hintertreffen geraten: Zwar haben deutsche Autohersteller ihre Präsenz im Iran nach dem Sanktionsende verstärkt, doch die großen Geschäfte machen derzeit andere. Fast die Hälfte von mehr als 1,5 Millionen im Iran produzierten Autos stammte im vergangenen Jahr von Peugeot und Renault. Die beiden französischen Konzerne lassen bei großen iranischen Autokonzernen fertigen, auch weil die Regierung in Paris eine Rahmenvereinbarung mit dem Iran geschlossen hat. Schützenhilfe, auf die auch die deutsche Industrie gerne zurückgreifen würde.
Welche Folgen hat Trumps Entscheidung?
Wenn US-Präsident Donald Trump am 12. Mai seine Iran-Entscheidung verkündet, wird sich für die deutsche Wirtschaft auch bei einem negativen Votum erst einmal wenig ändern. Denn zunächst entscheidet der Präsident nicht über das Atomprogramm, sondern lediglich über Sanktionen im Zusammenhang mit Ölgeschäften. Ausländische Banken und Firmen, die Öl über die Zentralbank in Teheran kaufen, würden in Zukunft von den USA wieder bestraft - für US-amerikanischen Banken gilt diese Vorschrift schon jetzt. Gefährdet wären dann vor allem die iranischen Öl-Exporte in die EU. Doch auch nach dem Ausbau der Handelsbeziehungen machen sie lediglich ein Viertel aus - der Großteil fließt nach China und Indien. Am 12. Mai kann Trump also erst einmal nur einen Nadelstich Richtung Teheran setzen.
Eine verschärfte US-Regelung, die wohl zahlreiche Ausnahmeregelungen enthalten wird, würde das Atomabkommen nicht sofort kippen und auch die langsam wachsende deutsch-iranische Wirtschaftszusammenarbeit nicht auf einen Schlag in Frage stellen. Aber die Unsicherheit im Handel mit dem Iran würde wieder größer. Unsicherheit wiederum ist Gift für die wirtschaftliche Erholung. Der große Iran-Boom - er könnte für die deutsche Industrie bis auf weiteres nur ein Traum bleiben.