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Digital Natives?

Marcus Bösch31. Oktober 2012

Kennen Sie Digital Natives? Wissen Sie was diese jungen Menschen machen, wenn sie die ganze Zeit in ihre Computer reingucken? Marcus Bösch hört es, sieht es und muss sich doch sehr wundern.

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Kinder an Computern in den 1970er Jahren Quelle: flickr.com/usnationalarchives
Kultur DigitalkolumneBild: gemeinfrei

Wenn ich eine Hutschnur hätte, dann wäre sie heute gerissen. Der Hut wäre mir vom Kopf geflogen. Einfach weggesegelt. Auf Nimmerwiedersehen. Und das kam so: Friedlich saß ich in einem Lokal und löffelte meine Linsensuppe. Bis ich das Gespräch am Nebentisch erlauschte und mit dem Löffeln innehielt. Die Studenten nebenan redeten über Computer, sie redeten über das iPad, dieses schicke Tablet, auf dessen Oberfläche man so schön mit den Fingern herumwischen kann.

Und dann fiel der Satz, der mich bass erstaunte. Hier ist er. Es handelt sich um eine Frage, die vollkommen ernst gemeint war: "Echt - hat das iPad gar keine Maus?“ Na und, sagen Sie. Und schütteln den Kopf. Was soll's?! Vielleicht haben Sie Recht. Sie müssen es ja nicht wissen.

Jedoch: Es waren Studenten. Jung an Jahren und damit qua Geburt verpflichtet, Teil der so genannten "Digital Natives“ zu sein. Digitale Eingeborene, aufgewachsen und groß geworden mit technischem Gerät, versiert an Tastatur und Bildschirm, firm in der Handhabung und flink bei der Bedienung. So steht es in Studien. So steht es in der Zeitung. Ja, so steht es sogar bei Google News. Es muss also stimmen. Und ist doch nicht wahr.

Das Piercing

Glauben Sie mir. Ich habe eine Tochter. Und die hat einen Laptop. Natürlich nutzt sie Facebook, natürlich guckt sie Videos im Internet. Aber das war es auch schon. Sie weiß nicht, was Instagram ist, keiner ihrer Freunde und Bekannte nutzt Twitter. Ja nicht einmal Pinterest ist ihr ein Begriff.

Glauben Sie mir. Ich frage sie täglich: "Du bist mit Wikis, Blogs und Social Networks aufgewachsen und unterscheidest kaum mehr zwischen virtueller und realer Welt, sag, wie fühlt sich das an?"

Ich blicke in ein leeres Gesicht. Kein Chatten, kein Bloggen, kein Twittern. Stattdessen bestellt sie Piercings bei einem Online-Versand. Was habe ich falsch gemacht? Sie sollte doch fit werden, Vorreiter werden, bereit für die Glasfaser basierte Datenhighway-Zukunft des 21. Jahrhunderts. Quasi als zweite Muttersprache sollte sie die Semantik der Browsereingaben lernen, das Verwalten und den Umgang mit endlosen Daten und Formaten, das Recherchieren im größten Informationspool aller Zeiten.

Jugendliche in der 1970er Jahren, treffen sich an einem heißen Sommertag mit ihren Fahrrädern. Quelle: flickr.com/usnationalarchives
Jetzt wissen wir es: Unsere Kinder sind noch nicht in der digitalen Welt verloren gegangen.Bild: Flip Schulke

Der Mythos

Halten wir hier kurz fest: Es gibt keine "Digital Natives“. Oder etwas präziser direkt aus dem Abschnitt "Wissenschaftlicher Diskurs des Konzeptes“ im Wikipediaeintrag herauskopiert: "Eine Klassifizierung als 'Digital Native'... wird daher von mehreren Medienwissenschaftlern abgelehnt, weil hinsichtlich des tatsächlichen Nutzungsverhaltens (das heißt für welche Aktivitäten die Medien verwendet werden) kaum Unterschiede zu früheren Nutzern feststellbar sind und sich deshalb keine neue Generation im Sinne des Begriffs herausgebildet hat.“

So sieht es aus. Und das übrigens schon länger. Bereits vor knapp zehn Jahren schrieb ein amerikanischer Professor der Computer-Forensik, Simson Garfinkel, einen tollen Artikel mit dem Titel "The myth of Generation N“. N wie Natives. Er nimmt damit den zwei Jahre zuvor vom amerikanischen Pädagogen Marc Prensky geprägten Begriff "Digital Native“ auseinander. In dem er seine Beobachtungen mit jungen Studenten teilt, die alles andere als universelle Computerkompetenz an den Tag legen.

Ein Antrag

Komisch, dass der Begriff trotzdem seit gut zehn Jahren durch das Netz geistert. Wie ein Echo längst vergangener Tage. Hiermit stelle ich ganz offiziell den Antrag, den Begriff ab jetzt nicht mehr zu verwenden. Legen wir ihn auf den Berg zeitlich befristeter Begriffe. Sortieren wir ihn ein, neben "Datenautobahn", "Surfen" und "Vodcast". Das Internet ist da. Wir sind jetzt alle drin. Und kommen nicht mehr raus.

Marcus Bösch war irgendwann 1996 zum ersten Mal im Internet. Der Computerraum im Rechenzentrum der Universität zu Köln war stickig und fensterlos. Das Internet dagegen war grenzenlos und angenehm kühl. Das hat ihm gut gefallen.

***ACHTUNG: NUR im Zusammenhang mit der Netzkolumne "Digitalitäten" benutzen!*** Bild von Marcus Bösch für die DW, September 2012
DW-Netzkolumnist Marcus BöschBild: DW/M.Bösch

Und deswegen ist er einfach da geblieben. Erst mit einem rumpelnden PC, dann mit einem zentnerschweren Laptop und schließlich mit geschmeidigen Gerätschaften aus aalglattem Alu. Drei Jahre lang hat er für die Deutsche Welle wöchentlich im Radio die Blogschau moderiert. Seine Netzkolumne gibt es hier jeden Donnerstag neu. Diese Woche ausnahmsweise schonmal Mittwochs.