Die Kraft der Musik: Anita Lasker-Wallfisch
Nur weil sie im Mädchenorchester von Auschwitz spielt, kann sie ihr Leben retten. Die Musik bleibt ihr Lebensinhalt. Jetzt wird Anita Lasker-Wallfisch 95.
Zuversicht als Überlebensmittel
Als Cellistin macht sie nach dem Krieg in Großbritannien Karriere, geht weltweit auf Tournee. Nie wieder will sie deutschen Boden betreten - und kommt doch, um als Zeitzeugin Schülern und jungen Leuten von ihren Erlebnissen als Jüdin in der Nazizeit zu erzählen. Als Holocaust-Überlebende wird Anita Lasker-Wallfisch in Deutschland bekannt. Am 17. Juli feiert sie in London ihren 95. Geburtstag.
Familienleben in Breslau
Anita (2.v.li) ist die Jüngste im Dreimädelhaus der Familie Lasker. Am 17. Juli 1925 kommt sie in Breslau zur Welt. Die Schwestern wachsen behütet auf, die jüdischen Feiertage spielen keine große Rolle im Elternhaus, in dem viel gelacht und musiziert wird. Die Mutter ist eine begabte Violinistin, der Vater erfolgreicher Rechtsanwalt in Breslau. Anitas musikalisches Talent wird sehr gefördert.
Behütete Kindheit
Die Lasker-Schwestern erleben eine glückliche Kindheit - bis die Nazis 1933 an die Macht kommen. Da ist Anita (re) acht Jahre alt. Das Alltagsleben in Breslau verändert sich, sie erlebt auf der Straße die ersten Anfeindungen gegen Juden. "Da haben die Leute Mut bekommen, einen zu beschimpfen", erzählt sie später in ihren Zeitzeugen-Gesprächen mit Jugendlichen. (1931/Foto aus Privatarchiv)
Bedrohte Existenz (1939)
Das Familienleben der Laskers wird zunehmend von Drangsalierungen seitens der Nazis bedroht. Vater Alfons (re) bekommt als Anwalt Berufsverbot, erste Verhaftungen finden statt. Marianne (li), die Älteste, kann 1939 als Begleitung eines jüdischen Kindertransportes noch nach England ausreisen. 1942 werden die Eltern deportiert und von den Nazis ermordet, Anita und Renate von der Gestapo verhaftet.
Holocaust-Überlebende (1945)
Die Schwestern kommen in getrennte Gefängnisse. Erst in Auschwitz sehen sie sich wieder. Beide überleben die Todesfabrik der Nazis: Anita als Cellistin im Lagerorchester, Renate als Botin für die SS. Ende 1944 werden beide mit anderen Häftlingen ins KZ Bergen-Belsen gebracht und im April 1945 von britischen Truppen befreit. Sie bleiben die ersten Monate noch im Lager (vorne links: Anita).
Nachkriegszeit in London (1946)
Mit ihrem Cello-Spiel konnte Anita Lasker (li) ihr Leben und auch das ihrer Schwester Renate (re) retten. 1946 wandert sie nach England aus, macht die Musik zu ihrem Lebensinhalt. Sie begründet das English Chamber Orchestra, geht viel auf Tournee. Am Londoner College lernt sie ihren Mann Peter Wallfisch kennen, der auch aus Breslau stammt. Hier die Schwestern 1946 in London.
Talkshow-Gast
Es dauert fast fünf Jahrzehnte, bis Anita Lasker-Wallfisch das erste Mal wieder nach Deutschland reist - eingeladen als Zeitzeugin. Bis ins hohe Alter geht sie auf Lesereisen, sitzt in Talkshows (hier mit ihrem Enkel Simon 2015 bei "Markus Lanz"/ZDF) sucht das Gespräche mit jungen Menschen und berichtet vor Schulklassen von ihren Erlebnissen im Vernichtungslager Auschwitz.
Gedenkstunde im Bundestag
Der Holocaust-Gedenktag 2018 war für sie ein ganz besonderer Tag. Im Deutschen Bundestag hielt Anita Lasker-Wallfisch vor den versammelten deutschen Parlamentariern und den Mitgliedern der Bundesregierung (vorne li: Bundeskanzlerin Angela Merkel) die zentrale Rede. Sie sprach als Zeitzeugin und politisch wache Zeitgenossin: sehr persönlich, ruhig, klar und gut durchdacht.
Rede des Jahres 2018
Sie sprach über die deutsche Geschichte, ihren Lebensweg als deutsch-britische Jüdin und über den aufkommenden Antisemitismus in Deutschland. Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier dankten der hochbetagten Rednerin persönlich für ihre bewegenden Worte, in denen kein Groll, keine Anklage zu hören war, sondern Zuversicht. Ihre Ansprache im Bundestag wurde 2018 zur besten Rede des Jahres gewählt.
Erzählen für die Nachwelt
Wie sie die Nazizeit als verfolgte Jüdin überlebt hat, konnte sie ihren Kindern Raphael und Maya nicht erzählen. Erst später beginnt sie, jungen Menschen und interessierten Zuhörern davon zu berichten. Damit ihre Erinnerungen der Nachwelt erhalten bleiben, hat sie sich für ein interaktives Projekt zur Verfügung gestellt: "Irgendwie ist es mein Pflichtgefühl", sagt Lasker-Wallfisch, die 95 wird.