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Die Kuh als Klimafeind?

Torsten Schäfer26. März 2013

Die Wissenschaft streitet darüber, welchen Beitrag die globale Viehwirtschaft zur Erderwärmung leistet. Die Wahrheit liegt in der Mitte der diskutierten Skala – und geht über die eigentliche Fragestellung hinaus.

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Steak am 29.1.2007 aufgenommen am 14.03.2013 geladen +++ Tom Check / CC BY 2.0 +++
Kleinbäuerliche Landwirtschaft, wenige Kühe: Solche Bedingungen schonen die Böden und das Klima. Das Hauptproblem stellen große Rinderfarmen mit ihrem enormen Flächenbedarf da, für den in Südamerika viel Regenwald gerodet wird.Bild: Tom Check / CC BY 2.0

Wieviel Schuld lade ich mir gerade auf den Teller? Wie klimaschädlich war das Tier - das Schwein, die Kuh, das Huhn - das ich gerade verspeise? Solche Fragen haben Konjunktur - wegen der Klimadebatte und vor dem Hintergrund des Vegetarismus-Booms. Dessen Wortführer, der US-Autor Jonathan Safran Foer, hat das Thema mit seinem Bestseller “Eating Animals” auf den Punkt gebracht. Ebenso wie die Frage, mit der sich derzeit Klimaforscher und Agrarwissenschaftler in der ganzen Welt beschäftigen. Sie interessieren sich dafür, wie hoch der Anteil der Viehhaltung am menschlich verursachten Treibhausgasausstoß ist. Es geht einerseits um die Emissionen, die sämtliche Nutztiere direkt verursachen - Kühe etwa stoßen bei der Verdauung Methan aus. Andererseits geht es aber auch um den Treibhausgas-Ausstoß, der bei den Prozessen rund um die Viehhaltung entsteht: Düngung der Felder, Transport des Futters, Betrieb von Melkmaschinen und dergleichen.

Aus all diesen Faktoren Emissionswerte abzuleiten, ist Aufgabe der Wissenschaft. Allerdings kommen Forscher - je nach Berechnungsmethode oder berücksichtigten Faktoren - zu ganz unterschiedlichen Aussagen darüber, wie klimaschädlich Fleischkonsum denn nun ist.

Deswegen wird sehr kontrovers diskutiert, welche Zahlen für den Anteil der Viehzucht am Treibhausgas-Ausstoß die glaubwürdigeren sind: 18 Prozent – das ist der Wert, den die Welternährungsbehörde FAO immer wieder veröffentlicht. Er beruht auf der Studie "Die langen Schatten der Tierzucht" von 2006. Das renommierte Worldwatch Institute (WWI) hält dagegen: In ihrer 2009 veröffentlichten Studie „Livestock and climate change“ kommen die Autoren Robert Goodland und Jeff Anhang, beides langjährige Umweltspezialisten der Weltbank, auf einen Wert von 51 Prozent.

Foto: Kühe auf der Weide (Foto: CC- BY SA: angusleonard)
Kleinbäuerliche Landwirtschaft, wenige Kühe: Solche Bedingungen schonen die Böden und das Klima. Das Hauptproblem stellen große Rinderfarmen mit ihrem enormen Flächenbedarf da, für den in Südamerika viel Regenwald gerodet wird.Bild: cc-by-sa/angusleonard

„Starke Behauptung, starke Beweise“

Diese Zahl löst Zweifel bei führenden Forschern wie etwa Klaus Butterbach-Bahl aus, der am Karlsruhe Institut für Technologie und am International Livestock Research Institute in Nairobi den Zusammenhang zwischen Tierzucht und Klimawandel erforscht. Er fragt sich, "woher denn ein solch hoher Wert kommen soll."

#videobig#

Welcher Wert stimmt nun, wie klimaschädlich ist die Viehhaltung wirklich? Für Butterbach-Bahl und viele seiner Kollegen ist klar, dass die Landwirtschaft mit all ihren Prozessen zum globalen Treibhausgaseffekt rund ein Drittel beiträgt. Dieser Wert sei valide und vielfach publiziert, so der Forscher. Beispielsweise von Sonja Vermeulen, einer dänischen Klimaforscherin, und John Ingram, einem Umweltwissenschaftler, der in Oxford lehrt. Beide publizierten zusammen 2012 die viel zitierte Arbeit „Climate Change and Food Systems“. „Der Wert von einem Drittel gilt derzeit als Standard-Wert“, sagt Butterbach-Bahl. „Eingeflossen sind darin Veränderungen der Landnutzung und ihre Klimaeffekte.“ Wenn in Brasilien für ein Sojafeld Regenwald abgeholzt wird, gehen dabei wertvolle Kohlenstoffspeicher verloren: der Urwaldboden, der CO2 bindet, und der Wald selbst, der ebenfalls eine wichtige „Kohlenstoffsenke“ ist.

Auswirkungen der Fleischproduktion „größer als bisher angenommen“

Der Betrachtungsrahmen ist also in diesem Modell schon erweitert, da eine veränderte Landnutzung, anders als bei der FAO-Studie, mitberechnet wird. Wie aber kommt darüber hinaus ein noch höherer Wert von 51 Prozent zustande? Auch die Tierschützer der Albert Schweitzer Stiftung haben sich das gefragt und die FAO-Studie bis ins Detail mit der WWI-Analyse verglichen. Ihr Fazit: Keine Seite argumentiert schlüssig genug. Das WWI übertreibe, die FAO fasse die Frage zu eng und arbeite mit veralteten Daten. An dem Vergleich lässt sich gut erkennen, wie unterschiedlich Klimastudien vorgehen: Das WWI bewertet etwa den Methanausstoß von Kühen gesondert, da Methan 25 mal klimaschädlicher ist als C02 – ein Schritt, der mittlerweile in vielen Studien geschieht. Darüber hinaus berücksichtigt das WWI etwa den Effekt, den die Atmung von Nutztieren auf die Erderwärmung haben soll – eine Größe, die in den meisten Klimastudien ebensowenig auftaucht wie die menschliche Atmung. Gleiches gilt für die verpasste Chance, eine gerodete Waldfläche aufzuforsten – ein Faktor, den das WWI ebenso einbezieht wie den schon vorher erfolgten Verlust von C02-Senken durch die Rodung selbst. Eine solch „doppelte Buchführung“ ist schwer nachvollziehbar. „Die Frage ist, ob man dann nicht auch allerhand andere verpasste Chancen einkalkulieren müsste“, schreibt die Schweizer-Stiftung.

Vegetarier-Boom und Kuh-Debatte

All diese Fragen haben auch in Deutschland zu neuen Diskussionen über Vegetarismus und eine klimafreundliche Ernährung geführt. Im Zentrum steht dabei die Viehwirtschaft und der ihr zugeordnete hohe Ausstoß des Treibhausgases Methan. Doch es gibt auch Gegenstimmen wie etwa die der deutschen Tierärztin und Buchautorin Anita Idel. Sie sieht gerade die Viehwirtschaft zu unrecht zum Klimakiller stilisiert. Für Idel sind Kühe „Landschaftsgärtner, die seit Jahrtausenden zur Fruchtbarkeit der Erde beitragen“ - auch zum Vorteil des Klimas, denn die Entstehung von Humus, der CO2 bindet, werde durch Beweidung gefördert. „Aber die meisten Studien zur Klimarelevanz der Viehhaltung sind unwissenschaftlich“, sagt sie. Denn meistens berücksichtigen Forscher nur eine Seite der Rechnung.

Dabei tragen nachhaltige Viehhaltung, die Böden schont, synthetischen Dünger vermeidet und auf Gras statt Getreide, Soja und Mais als Viehfutter setzt, sogar zur Klimafreundlichkeit bei. „Deshalb gibt es einen massiven Forschungsbedarf für Vergleiche verschiedener Systeme der Tierhaltung“, so Idel. Stattdessen werde der „geniale Grasfresser“ aber innerhalb des Systems der industriellen Landwirtschaft analysiert, das für sich gesehen schon umwelt- und klimafeindlich sei. Gerade die synthetischen Stickstoffdünger führt Idel hier an – unter anderem weil bei ihrem Ausbringen Lachgas frei wird, das 300mal klimaschädlicher ist als CO2. „Die Beschränkung auf Methan in Untersuchungen ist interessengeleitet und diskriminiert die nachhaltige Landwirtschaft,“ sagt Idel.

Foto: Kühe im Stall (Foto: CC BY SA 2.0: noanet)
Atemprobleme: Wenn Kühe ausatmen, wird Methan freigesetzt. Das Gas gilt als 25mal klimaschädlicher als CO2. Fast 300mal schädlicher sind aber Kunstdünger, mit denen Mais- und Soja-Monokulturen bearbeitet werden.Bild: noanet / CC BY-SA 2.0

Auch Klaus Butterbach-Bahl spricht sich für eine neue Viehhaltung aus: Viele Böden werden zu intensiv beweidet, zu oft und von zu vielen Tieren. Solch degradierte Flächen könnten kein CO2 mehr speichern. "Davon müssen wir weg - ebenso wie von der Fixierung auf große Fleischmengen in unserem Alltag. Eine ausgewogenere Ernährung bekäme uns und dem Klima besser", sagt der Biologe, “Ein Schnitzel muss nicht über den Tellerrand hängen, dafür gibt es einfach keinen Grund."