Donbass-Konflikt: Kultur in Geiselhaft
11. November 2014Auf dem November-Programm der Donbass-Oper steht heitere Kost: Emmerich Kálmáns Operette "Die Csárdásfürstin", die "Fledermaus" von Johann Strauss oder Gioacchino Rossinis "Der Barbier von Sevilla". Es scheint fast, als müsse die Kultur herhalten, um gute Laune in der stark zerstörten Stadt zu verbreiten.
"Wir spielen zunächst kostenlos und schauen, ob das Publikum überhaupt kommt", sagt Chorsängerin Lidia (Name von der Redaktion geändert). "Die Menschen brauchen hier Ablenkung von dem Krieg." Lidia arbeitet seit dem Herbst 2012 für die Oper in Donezk. Damals machte das Haus mit der ersten Wagner-Aufführung in der Ukraine auf sich aufmerksam. "Der Fliegende Holländer" war ein deutsch-ukrainisches Leuchtturmprojekt, das im Dezember 2012 Premiere feierte. Von dem Glanz ist nichts geblieben: Das gesamte Bühnenbild inklusive Requisiten wurde während des Donbass-Konflikts verbrannt. Das Depot brannte aus, nachdem es von zwei Panzerfaust-Schüssen getroffen worden war.
Die meisten Künstler hätten die Flucht ergriffen, von Chor und Orchester sei ungefähr noch ein Drittel übrig. "Als Lyudmyla Janukowitsch noch zu unseren Premieren kam, sah es hier anderes aus", sagt Lidia.
"Es ist zum Verzweifeln", erzählt der berühmte Choreograf und Ballettlehrer Vadim Pisarev, dessen Donezker Tanzschule nicht nur Russland und die Ukraine, sondern auch so manches deutsches Haus mit Solo-Tänzern versorgt hatte. "Unser Theater befindet sich auf dem Territorium, wo immer noch der Krieg tobt."
Zwischen Politik und Krieg
Das Donezker Schauspielhaus war früher ein Zentrum für zeitgenössische Dramaturgie. Gespielt wurde vor allem auf ukrainisch. Zu einer der jüngsten Premieren zählte das Stück "Die Nation" nach einem Roman von Maria Matios. Das Stück handelt vom Kampf ukrainischer Widerständler gegen die Sowjetmacht in den 1930er Jahren. Nun muss das Haus eine Kehrtwende vollziehen: "Würden heute ukrainische Stücke gespielt, würden die Leute auf der Stelle erschossen", meint der ukrainische Kulturminister Evgeny Nischuk in Kiew. "Wir spielen trotzdem weiter. Wir haben genug russische Stücke im Repertoire", versichern die Schauspieler trotzig.
Nach offiziellen Angaben sind in Donezk mehr als 30 Kultureinrichtungen zerstört oder stark beschädigt worden. Stark versehrt wurde etwa das Mahnmal Saur-Mogily, das in den 1960er Jahren für die Toten des Zweiten Weltkrieges errichtet wurde. Auf dem Hügel, auf dem seine kläglichen Ruinen stehen, gab es schon 1943 blutige Kämpfe zwischen der Wehrmacht und der Roten Armee. Im Juli und August 2014 starben dort erneut zahllose Männer. Diesmal im Kampf der prorussischen Separatisten gegen die ukrainische Armee.
Ein weiteres Opfer des Krieges ist das beliebte Donezker Museum für Landeskunde. Das Haus wurde von fünfzehn Panzerfaust-Schüssen getroffen. "Ich glaube nicht, dass gezielt auf das Museum geschossen wurde", glaubt die Chefkonservatorin Tatjana Kojnasch. "Wir sind wahrscheinlich nur zufällig zwischen die Fronten geraten."
Mehr als ein Drittel der insgesamt 150.000 Ausstellungsstücke seien zerstört worden, vermutet der Museumsdirektor Evgeny Denisenko. "Wäre mein Haar nicht schon grau, wäre es jetzt auf jeden Fall ergraut bei diesem Anblick", sagt er angesichts der erschreckenden Verluste. Die wären sogar noch höher ausgefallen, wenn seine Mitarbeiter besonders fragile und wertvolle Exponate nicht schon im Frühsommer evakuiert hätten. Dabei arbeiteten alle aus reinem Enthusiasmus, sagt Denisenko. Das letzte Gehalt wurde im Frühling ausbezahlt.
95,6 Millionen Grivna (umgerechnet knapp 6 Millionen Euro) würde die Renovierung des Hauses kosten, meint Denisenko. Derzeit sind viele Freiwillige damit beschäftigt, das Museum wintersicher zu machen. Zum Beispiel Igor. Der Bauarbeiter ist arbeitslos. "Das Museum ist doch unsere Geschichte", sagt er. "Es muss und es wird wieder funktionieren."
"Das hier ist keine Kunst!"
Weniger optimistisch sind die Mitarbeiter des Zentrums für Contemporary Art "Izolyatsia". Eine private Stiftung hatte am Stadtrand in einer verlassenen Fabrik ein modernes Zentrum für zeitgenössische Kunst errichtet. Das Ruhrgebiet stand dabei Modell: "Kultur durch Wandel, Wandel durch Kultur", war das Motto. Das Territorium wurde aber von prorussischen Separatisten besetzt, die Kunstwerke zerstört, das Buchgeschäft geplündert. Alle Mitarbeiter flohen nach Kiew, wo die Stiftung ihre Arbeit als "Izolyatsia im Exil" fortsetzt.
"Ich bin kein Fachmann, aber ich bin durchaus in der Lage, echte Kunst von dieser Pornografie zu unterscheiden", sagt Leonid Baranov, einer der Besatzer. Er hält wie eine Trophäe ein Foto in die Kamera. Es zeigt ein Bild des berühmten ukrainischen Fotografen Boris Mikhailov. "Eines verspreche ich Ihnen: Solche Kunst wird es in der Volksrepublik Donbass nicht geben!"