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Ärzte ohne Grenzen

Heiner Kiesel22. April 2015

Kaum jemand sah sie kommen, niemand war ihr gewachsen: Die Ebola-Welle und ihre 10.000 Toten. Jetzt ziehen "Ärzte ohne Grenzen" Bilanz: Wie konnte das passieren? Und: Wie lassen sich neue Katastrophen verhindern?

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Ebola: Arzt in Schutzkleidung hält ein Kind auf dem Arm (Foto: John Moore/Getty Images)
Bild: Getty Images/J. Moore

Wenn die Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen (Médecins Sans Frontières, MSF) über ihren Kampf gegen die jüngste Ebola-Epidemie sprechen, fällt oft das Wort "Schock". Vor einem Jahr hatte die Nichtregierungsorganisation vor einer nie dagewesenen Infektionswelle in Westafrika gewarnt. "Wir waren geschockt und auch teilweise überfordert, bei dem, was da auf uns zugekommen ist", sagt Tankred Stöbe, Präsident der deutschen Sektion der MSF. Es gibt mehr als 20.000 Infizierte, fast die Hälfte davon stirbt. Und: die Ärzte in den Behandlungszentren müssen Kranke wegschicken, wissend, dass die Abgewiesenen weitere Menschen anstecken. "Wir haben den Spagat nicht wirklich geschafft, zwischen individueller Fürsorge und der öffentlichen Aufgabe, Ebola als Epidemie einzugrenzen." Und dann sind auch 14 eigene Leute umgekommen. "Das hätte nicht passieren dürfen!" Stöbe sieht die Leistungen seiner Organisation, "aber wir müssen unser Vorgehen selbst kritisch betrachten". Künftig wolle man schneller und mit mehr erfahrenem Personal zur Stelle sein.

Vor allem, so wird auf einer Tagung der MSF in Berlin klar, fühlte sich die Ärzte-Organisation über weite Strecken allein gelassen mit der anschwellenden Gesundheitskatastrophe in Liberia, Guinea und Sierra Leone. "Im Juni 2014 haben wir gesagt, das ist außer Kontrolle, im August hat die Weltgesundheitsorganisation WHO auch gewarnt, im September kam dann erst von der Bundesregierung eine klare Absichtserklärung zur Hilfe; und bei jeder dieser Stationen hatte sich die Zahl der Infizierten wieder verdreifacht", führt Stöbe auf. Ebola sei ein Beweis dafür, wie schlecht wir trotz aller Globalisierung aufgestellt seien. Besonders peinlich für die reichen Industrieländer: Von dort aus lief die Hilfe erst richtig an, als vereinzelte Ebola-Fälle die Angst schürten, die tödliche Krankheit könnte sich auch jenseits von Afrika ausbreiten.

Tankred Stöbe (Foto: Heiner Kiesel)
Tankred Stöbe ärgert sich über die verzögerte internationale ReaktionBild: DW/H. Kiesel

Zu spät auf Ebola reagiert

Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen bei einem Training in Guinea (Foto: Amandine Colin/Ärzte ohne Grenzen) Foto: Amandine Colin/Ärzte ohne Grenzen
Training in Guinea: Ärzte ohne Grenzen wollen künftig schneller und massiver auf Seuchen wie Ebola reagierenBild: Amandine Colin/Ärzte ohne Grenzen

"Wir sind zu spät eingestiegen, das lässt sich nicht leugnen", bekennt Olushayu Olu, der für Sierra zuständige Koordinator des Hilfsprogramms der Weltgesundheitsorganisation WHO. Die internationalen Hilfsorganisationen hätten außerdem völlig unterschätzt, welche Bedeutung die soziokulturellen Rahmenbedingungen für ihre Arbeit hatten. Die Gesundheitssysteme der betroffenen Länder waren schwach und die Krankheit breitete sich in einer ethnisch eng vernetzten Grenzregion aus. Gleichzeitig scheiterten die Bemühungen der Regierungen, sie einzugrenzen, zunächst an Misstrauen in der Bevölkerung, Gerüchten und Ängsten. In der Zeit bis die öffentlichen Maßnahmen und die Kommunikationsstrategie angepasst waren, starben Tausende. Aber Olu ist zuversichtlich: "Das wird uns nicht mehr passieren!"

Aber noch gilt es mit der aktuellen Epidemie umzugehen. "Dieser Kampf dauert an", sagt Moses Massaquoi, der das Vorgehen der liberianischen Behörden gegen Ebola koordiniert. "Das war ein Krankheits-Tsunami! Wir müssen nun in allen drei Ländern auf 0 Infizierte herunterkommen und das dann 42 Tage halten", erklärt der Gesundheitsexperte. In den vergangenen Wochen ist die Zahl der Neuinfizierten stetig gesunken, in Liberia scheint man fast am Ziel zu sein. Der letzte Fall dort wurde Ende März gemeldet. Der Liberianer beobachtet, dass sich die Region und das Zusammenspiel der westafrikanischen Länder gewandelt hat. "Wir müssen zusammenarbeiten, das haben wir gelernt." Denn Massaquoi weiß, dass die Seuche wieder kommen wird. "Das Virus lebt in der Tierpopulation weiter und die Menschen rücken zunehmend in deren Habitate vor - wir müssen wachsam bleiben."

Moses Massaquoi (Foto: Heiner Kiesel)
Der Liberianische Gesundheitsexperte Moses Massaquoi spricht von einem Krankheits-TsunamiBild: DW/H. Kiesel

Warten auf den Ebola-Impfstoff

Die eigentliche medizinische Antwort auf die Bedrohung durch Ebola steht bisher noch aus: der Impfstoff. Es gibt inzwischen jedoch zwei viel versprechende Präparate, die in der Erprobung sind. Das sind VSV-EBOV der US-amerikanischen Unternehmen MSD und NewLink Genetics und den Impfstoff chAd3-EBOZ des britischen Pharmaherstellers GlaxoSmithKline. "Die Firmen haben ihre Anstrengungen ganz klar erst auf politischen Druck hin unternommen", äußert sich MSF-Deutschland-Präsident Stöbe enttäuscht. Es müsse auch im Hinblick auf andere vernachlässigte Krankheiten viel mehr geforscht und entwickelt werden, fordert er. Das könne nur durch öffentlichen Druck angeschoben werden. "Bei den schwachen Volkswirtschaften der betroffenen Länder fehlen den großen Pharmafirmen offenbar ausreichende Aussichten auf Rendite."