Die Nationalmannschaft definiert Deutschsein neu
21. Juni 2006Im Eröffnungsspiel gegen Costa Rica bescherte der gebürtige Pole Miroslav Klose mit zwei Toren seiner neuen Heimat Deutschland einen 4:2 Sieg. Das 1:0 gegen Polen war geprägt durch vergebene Torchancen von Klose und dem Nachwuchsstürmer Lukas Podolski, die beide gegen ihr Herkunftsland spielten. Den Sieg sicherte dann in der Nachspielzeit der in der Schweiz geborene Oliver Neuville, der in eine Flanke von David Odonkor rutschte, dessen Vater wiederum in Ghana jubelte.
Mit Gerald Asamoah weist das Team einen weiteren in Ghana geborenen Angreifer auf. Rechtzeitig zur letzten Weltmeisterschaft 2002 hatte er die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen. Der im Mai nicht für das Team nominierte Kevin Kuranyi wurde in Brasilien geboren. Und Patrick Owomoyela, der wie Kuranyi bis zum Beginn der WM auf Abruf bereit stand, ist nigerianischer Abstammung.
Fünf von sechs Angreifern mit ausländischen Wurzeln
Interessanterweise haben fünf von sechs Angreifern der deutschen Nationalmannschaft ausländische Wurzeln. Sie stammen aus Ländern, die sich für die WM qualifiziert haben: Polen, die Schweiz und Ghana. Unter anderen Umständen hätten die Angreifer auch für die andere Seite spielen können.
"Viele Leute waren der Meinung, ich sollte für Ghana spielen, aber ich habe die Entscheidung getroffen, die ich für richtig hielt", sagt Asamoah. Humorvoll nennt er sich selber den "schwärzesten Spieler", der je für Deutschland gespielt habe, wie der Londoner Independent berichtet. "Es ist eine Ehre, für Deutschland zu spielen."
Vor Asamoah trugen nur zwei dunkelhäutige Spieler in den 1970ern das weiße Trikot der Mannschaft aus Westdeutschland. Erwin Kostedde und Jimmy Hartwig waren Söhne farbiger GIs aus den USA, die allerdings als Nationalspieler rassistischen Sticheleien ausgesetzt gewesen sind.
Rassismus im Fußball
Auch Asamoah, der für den Erstligisten Schalke 04 spielt, war bereits Opfer rassistischer Beleidigungen. So wurde er im ostdeutschen Cottbus mit Bananen beworfen. Bedauerlicherweise zeigte sich der Fußball noch kürzlich von seiner hässlichen Seite, als die NPD ein Foto des Spielers mit der Überschrift "Nein Gerald, du bist nicht Deutschland" verbreitete.
"Das hat mich sehr getroffen", erzählt Asamoah Reportern. "Der Kampf gegen Rechtsradikale wäre eine Aufgabe für die Zukunft, wenn ich meine Karriere als Fußballer beendet habe." Damit hätte er genug zu tun. "Obwohl Rechtsradikalismus in Deutschland im Vergleich zu Nachbarländern nicht mehr weit verbreitet ist, hat rassistisch motivierte Gewalt seit der Wiedervereinigung zugenommen. Über 100 Menschen sind seitdem durch rechte Gewalt getötet worden", sagt Andreas Merx, der im Rahmen eines Projekts für die Heinrich-Böll-Stiftung über Fußball und Integration schreibt. "Im Osten, wo im Verhältnis gesehen weniger Ausländer leben, fallen farbige und dunkelhäutige Menschen stärker auf, so dass jeder, der anders aussieht, zur Zielscheibe rechter Extremisten wird."
Die Nationalmannschaft spiegelt die ethnischen Unterschiede wider
Nach dem Statistischen Bundesamt haben von den 82 Millionen in Deutschland lebenden Menschen 19 Prozent einen Migrationshintergrund. "Es war also an der Zeit, dass sich die ethnischen Unterschiede der Nation in der Nationalmannschaft widerspiegeln", sagt Hans-Georg Soeffner, der ein Projekt zur Assimilation im Fußballmilieu an der Universität Konstanz leitet. "Außerdem bietet der Fußball für Migrantenfamilien, die einen niedrigen sozialen Status haben, eine gute Chance zum Aufstieg."
Türken sind auf der nationalen Ebene unterrepräsentiert
Seltsamerweise war die größte Gruppe der Migranten in Deutschland, die Türken, bisher fast gar nicht im deutschen Team vertreten. Einzige Ausnahme war der ehemalige Nationalspieler Mehmet Scholl, dessen Vater Türke ist. Ein Problem ist, dass sich viele türkische Topspieler lieber für das Land ihrer Vorfahren entscheiden, obwohl sie berechtigt wären, die deutsche Staatsbürgerschaft zu erlangen.
"Stattdessen spielen sie für die Türkei, zum einen wegen der cleveren und unnachgiebigen Bemühungen des türkischen Fußballverbands, der aktiv in Deutschland und Europa hochtalentierte Spieler rekrutiert", sagt Merx. "Ein weiterer Grund, nicht für einen deutschen Verband zu spielen, ist aber auch die Diskriminierung durch deutsche Mitspieler in den unteren Ligen."
Selbst Polen werden in Deutschland beleidigt, oft werden sie als kleine Autodiebe verspottet, die den Deutschen die Arbeitsplätze wegnähmen. Diejenigen allerdings, die es bis an die Spitze geschafft haben, sind nicht nur gute Vorbilder für eine jüngere Generation geworden, sondern werden auch von Millionen deutscher Fußballfans umschmeichelt. Ein Werbespot bringt es auf den Punkt: "Gerald … du bist Deutschland!"