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"Die NSA besitzt das Internet"

Kay-Alexander Scholz3. Juli 2014

Wie funktioniert die NSA? Welchen Umfang hat die Massenüberwachung? Antworten darauf erhoffte sich der Bundestag durch die Auskunft zweier NSA-Whistleblower. Sie wurden vom NSA-Untersuchungsausschuss befragt.

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NSA Untersuchungsausschuss 3.7.2014 Binney
Bild: picture-alliance/dpa

Er vermute, dass auch in Deutschland jeder, der ein elektronisches Gerät benutzt, vom US-Geheimdienst NSA abgefragt werde. Denn die USA hätten nach 9-11 mit der globalen Massenüberwachung angefangen. "Die NSA besitzt das Netz", sagte William Binney, der als erster Zeuge vor dem NSA-Untersuchungsausschuss im Bundestag aussagte (Artikelbild). Alles, was technisch möglich sei, werde gemacht, ohne Einschränkungen und ohne Einhalten von Gesetzen, das sei die Philosophie. Dabei bleibe das Recht auf Privatsphäre auf der Strecke. Und das sei ein "totalitärer Ansatz".

Binney war mehr als 30 Jahre, davon viele Jahre als Technischer Direktor, bis zum Herbst 2001 bei der NSA tätig. Nach dem Kurswechsel von gezielter zu Massenüberwachung verließ er den Geheimdienst. Denn Massenüberwachung sei eine massenhafte Grundrechtsverletzung, lautete seine Begründung damals.

"Viele düstere Aussagen"

Die Zeugenvernehmung des 70-Jährigen, der im Rollstuhl sitzt, dauerte mehrere Stunden. Binney stellte sich dutzenden Fragen der Abgeordneten. Er machte viele düstere Aussagen, wie Ausschussmitglied Roderich Kiesewetter (CDU) nach der Vernehmung sagte. Aber das sei ein guter Auftakt für die Arbeit des Ausschusses gewesen.

Binney gab eine Einschätzung, wie sich die NSA nach seinem Weggang entwickelt habe. Von einer Abkehr von der Massenüberwachung sei wohl keine Rede. Physische Beweise dafür seien neue Gebäudekomplexe, die von der NSA für ihre Datenspeicher genutzt würden. Von den NSA-Reformvorschlägen der Regierung halte er wenig, so Binney. Die Reformen seien nicht ernstgemeint. Wenn nun Kommunikationsdaten von Privatfirmen statt von der NSA selbst gespeichert werden sollen, dann sei das nur eine andere Art der Abrufung der Überwachungsdaten. "Die gehen dann nicht mehr einfach in den eigenen Keller zu den Servern, sondern fragen die Firmen ab."

Globale Überwachung

Binney geht davon aus, dass die NSA auch mit deutschen Geheimdiensten zusammenarbeitet und konnte auch von einer konkreten Zusammenarbeit bei einem Software-Projekt aus seinen Zeiten berichten.

Thomas Drake, Whistleblower der NSA (Foto: AP)
Früher bei der NSA, jetzt deren Kritiker: Thomas DrakeBild: picture-alliance/AP Photo

Weltweit habe die NSA 50.000 Implantate im Internet installiert und arbeite mit vielen Geheimdiensten auch in so genannten Ringtauschen, außerdem mit Firmen zusammen. Da aber 80 Prozent aller Internetkommunikation sowieso über US-Kabel verliefen, können die NSA viel im eigenen Land über die gesamte Welt erfahren. Auch durch gängige Verschlüsselungssoftware seien die User nicht geschützt. Er gehe davon aus, dass bei vieler Software ein Hintertürchen für die NSA eingebaut sei. Wer zum Beispiel häufig terrorverdächtige Internetseiten betrachte, werde zu einer Verdachtszone erklärt. Um neue "Bösewichte" zu finden, werde dann ein komplettes Profiling der Person und seines Umfelds erstellt.

Dringend müsse die westliche Welt neue moralische Standards schaffen, appelliert Binney. Wie gehen wir miteinander um? Welche Ziele, welche Richtlinien der Geheimdienst-Arbeit sollten gelten? Daten über jeden in der Welt zu sammeln, das sei sinnlos und ineffektiv. Vielmehr sollten relevante Daten herausgefiltert werden, meinte der Ex-NSA-Mitarbeiter.

Snowden soll lieber nicht nach Deutschland kommen

Binney wurde auch danach befragt, wie er Edward Snowden einschätze. Er warnte davor, den Whistleblower nach Deutschland holen zu wollen. Er könne sich gut vorstellen, dass die Amerikaner ihn ansonsten in die Finger bekommen würden. Seine Dokumente aber seien "bestes Beweismaterial" gegen die Regierung.

Der Unterschied zu seiner eigenen Whistleblower-Tätigkeit sei, so Binney, dass Snowden konkrete Beweise hätte. Als Systemadministrator habe er, obwohl bei einer Auftragsfirma angestellt, direkten Zugriff auf die NSA-Server gehabt.

Enttäuschender zweiter Zeuge

Die Befragung wurde danach mit dem zweiten Zeugen, Thomas Drake, fortgesetzt. Er hat bis 2008 bei der NSA unter "Top Secret" gearbeitet. Allerdings erbrachte die Befragung Drakes keine wirklich neuen Beweise über den Zeitraum der NSA-Arbeit direkt nach 9-11. Obwohl es im Vorfeld hieß, Drake könne "schmutziges Wissen" liefern. Das sei etwas ernüchternd gewesen, gab CDU-Obmann Roderich Kiesewetter am Ende der insgesamt 12-stündigen Ausschuss-Sitzung zu. Dennoch habe man in zwei Punkten bestätigende Hinweise für bestehende Vermutungen erhalten, sagte SPD-Kollege Christian Fliesek. Das betrifft zum einen die unterstützende Rolle Deutschlands als "Plattform" für den Drohnenkrieg sowie die Zusammenarbeit von Google mit der NSA, die bereits direkt nach 9-11 begonnen haben soll.

Drake nutzte seinen Aufritt vor dem Gremium, um einen dringenden Appell an Deutschland zu richten, die Arbeit der Geheimdienste aufzuklären. Die US-Regierung übe eine ultimative Form der Kontrolle aus, sagte Drake. Quasi alle Daten, die Deutschland durchquerten, würden durch die NSA oder den Bundesnachrichtendienst aufgegriffen. "Die Öffentlichkeit hat ein Recht zu wissen, was die NSA macht", so Drake. Die Internetsicherheit weltweit werde geschwächt. Das Privatleben werde immer mehr zum Eigentum des Staates. "Jetzt kommen wir bald zu einem echten Überwachungsstaat in den USA."