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Die Rolle der Türkei ist keine Überraschung

Christoph Hasselbach17. August 2016

Eine "Verschlusssache" spricht von Verbindungen zwischen der Türkei und islamistischen Organisationen. Neu sind sie nicht. Doch plötzlich wird der Ruf nach Konsequenzen laut.

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türkische Flagge, dahinter Schatten eines Mannes (Foto: picture-alliance/dpa/S. Suna)
Bild: picture-alliance/dpa/S. Suna

Das deutsche Innenministerium glaubt, die Türkei habe sich "zur zentralen Aktionsplattform für islamistische Gruppierungen der Region des Nahen und Mittleren Ostens entwickelt". Es stützt sich auf Erkenntnisse des Bundesnachrichtendienstes.

Das Innenministerium nennt als Beispiele einer "ideologischen Affinität" zwischen der offiziellen Türkei und islamistischen Gruppen die Verbindungen zur palästinensischen Hamas, zur ägyptischen Muslimbruderschaft und zu Gruppen der bewaffneten islamistischen Opposition in Syrien.

Die Bundesregierung folgt bei der Bewertung der Hamas der EU, die sie seit 2003 als Terrororganisation einstuft. Nachdem die Hamas 2006 die Parlamentswahl in den Palästinensergebieten gewonnen hatte, war der Westen entsetzt. Die türkische AKP-Regierung empfing dagegen eine Hamas-Delegation in Ankara als rechtmäßige Vertreterin des palästinensischen Volkes. Westlicher Kritik begegnete Ankara mit dem Hinweis, man solle der Hamas "ganz offen die Erwartungen der internationalen Gemeinschaft" übermitteln. Ein Ins-Gewissen-Reden scheint es jedenfalls nicht gewesen zu sein: Hamas-Chef Chaled Maschaal zeigte sich anschließend zufrieden über die türkische Unterstützung. Damals stand die Islamisierung der türkischen Außenpolitik allerdings erst am Anfang. Doch der Empfang der Hamas-Delegation war bereits ein Vorgeschmack. Erdogan hat sich türkischen Regierungskreisen zufolge auch im Juni dieses Jahres wieder mit Maschaal getroffen.

Die Unterstützung der Hamas erreichte 2010 einen Höhepunkt, als eine türkische Organisation mit einem Schiff mit Hilfsgütern für den Gaza-Streifen versuchte, die israelische Seeblockade zu durchbrechen. Als israelische Elitesoldaten das Schiff enterten, kamen zehn Türken ums Leben. Erst vor wenigen Wochen normalisierten die Türkei und Israel ihre bis dahin gestörten Beziehungen.

Türkei Ismail Haniyeh und Recep Tayyip Erdogan in Ankara (Foto: "picture-alliance/AP Photo)
Solidarität mit der Hamas, die bei der EU auf der Terrorliste steht: Gaza-Ministerpräsident Ismail Haniyeh bei ErdoganBild: picture-alliance/AP Photo

Die Sympathien waren klar

Neu ist auch nicht Erdogans Wohlwollen gegenüber der ägyptischen Muslimbruderschaft. Als nach den ersten freien Präsidentschaftswahlen Mohammed Mursi von den Muslimbrüdern in Kairo an die Macht kam, unterstützte ihn Erdogan. Als das Militär Mursi 2013 nach großen öffentlichen Protesten stürzte und die Bruderschaft verbot, protestierte Erdogan und sprach von einem Putsch, an dem auch Israel beteiligt gewesen sei. Nach den Angaben aus dem deutschen Innenministerium besteht die türkische Solidarität inzwischen unter anderem darin, dass die Türkei zahlreichen führenden Mitgliedern der Bruderschaft Unterschlupf gewährt. Außerdem betrieben Exilanten in der Türkei Satelliten-Propagandasender gegen die neue ägyptische Regierung.

Weniger klar ist das Verhältnis der Türkei zum "Islamischen Staat" und anderen radikalislamischen Milizen und Dschihadisten. Für die Türkei ist der IS offiziell eine Terrororganisation. Gleichwohl hat es im Laufe des Syrien-Krieges immer wieder Berichte gegeben, Ankara beliefere den IS mit Waffen, gebe ihm Geld, kaufe von ihm Öl und behandele verwundete Kämpfer in türkischen Krankenhäusern. Andererseits hat sich der IS zu einer Reihe von Anschlägen in der Türkei bekannt.

Klar ist, dass der türkischen Staatsführung jeder Machtzuwachs der Kurden in Syrien und dem Irak an der türkischen Grenze verdächtig ist, weil sie separatistische Tendenzen der eigenen kurdischen Minderheit befürchtet. Da der Westen die Kurden gegen den IS unterstützt und Syriens Präsident Assad auch ein Gegner Erdogans ist, liegt es nahe, dass Erdogan zumindest punktuell vom "Islamischen Staat" profitiert hat.

Tayyip Erdogan und Mohammed Mursi (Foto: Reuters)
Brüder im Geiste: Ägyptens damaliger Präsident Mohammed Mursi und Erdogan 2012 in AnkaraBild: Reuters

Nagelprobe NATO

Neu ist das alles nicht. Doch bisher spielte sich das Thema kaum in öffentlichen Diskussionen ab. Der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter bestätigte das im WDR: "Es ist seit zehn Jahren, dass die Türkei Hamas unterstützt. Wir haben das immer hinter den Kulissen intensiv mit der Türkei besprochen. Wir haben immer sehr klar angesprochen, dass die Türkei ein Auge zudrückt bei der IS-Finanzierung." Jürgen Trittin von den Grünen bestätigt, die Türkei sei lange ein Durchgangsland für Waffen- und Ölschmuggel für islamistische Gruppen in Syrien gewesen. Der türkisch-kurdische Politikwissenschaftler Kenan Engin von der Universität Heidelberg sagte im Nordwestradio, die Türkei toleriere den IS nicht nur passiv, sondern unterstütze ihn auch aktiv.

Doch was sind die Konsequenzen? Der CDU-Politiker Kiesewetter sieht keinen Anlass, das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei zu beenden, und schon gar nicht, den Dialog abzubrechen. Berlin verhandele schließlich auch "mit weitaus schwierigeren Staaten" wie Saudi-Arabien oder dem Iran. Doch man müsse der Türkei auch Grenzen aufzeigen: "Ein Visa-Abkommen mit der Türkei ist nur möglich, wenn rechtsstaatliche Grundsätze eingehalten werden." Er rief die NATO auf, zur Sprache zu bringen, "dass hier ein wesentliches Mitgliedsland offensichtlich Gegner unterstützt, die von NATO-Staaten bekämpft werden". In diesem Zusammenhang wies auch die Außenpolitikerin Sevim Dagdelen von den Linken im ZDF-"Morgenmagazin" auf Gefahren hin: Das NATO-Mitglied Türkei könne möglicherweise Aufklärungsdaten des Bündnisses "an ihre Terrorbrüder" weitergeben.

Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich sieht nicht so sehr die Rolle der Türkei als Problem. "Der Gradmesser wird sein, ob die Aktionsplattform für gewaltsame Aktionen genutzt wurde", so Mützenich in der "Frankfurter Rundschau". CDU-Politiker Kiesewetter betont währenddessen, eine Isolierung der Türkei helfe nicht: "Wenn sich die Türkei aus NATO- und aus europäischer Nähe verabschieden würde, hätten wir einen Koloss zwischen Europa und Asien, der so nicht mehr beherrschbar ist."