Russlands Invasion bedroht Ukraine-Griechen
1. März 2022Odessa, Mariupol, Sewastopol: Die Namen dieser Städte klingen in griechischen Ohren vertraut, fast heimisch. Die Gegend an der Küste des Schwarzen Meeres spielt schon in der griechischen Mythologie eine große Rolle. Die griechische Revolution 1821 wurde von der "Filiki Eteria" (Gesellschaft der Freunde) vorbereitet, einer geheimen Organisation, die in Odessa gegründet wurde. Seit Jahrtausenden leben Griechen in diesem Gebiet, noch heute zählt die Minderheit 100.000 bis 150.000 Menschen. Die wenigsten davon leben in Odessa, die meisten in Mariupol und 29 Dörfern in der Umgebung der ostukrainischen Hafenstadt.
In den ersten fünf Tagen der russischen Invasion in der Ukraine wurden im Dorf Sartanas (ukrainisch: Sartana) zwölf Angehörige der griechischen Minderheit getötet. Nach Informationen des griechischen Außenministeriums fielen sie Bombenangriffen der russischen Streitkräfte zum Opfer, was das Ministerium dazu veranlasste, beim russischen Botschafter in Athen einen "starken Protest" einzulegen.
Die Botschaft antwortete mit einem Post auf Facebook und forderte in herrischem Ton alle griechischen Politiker, Analysten und Journalisten auf, "ernst zu werden". Die russischen Streitkräfte hätten keinerlei militärische Operationen in Sartanas durchgeführt. Schuld an dem Tod der Griechen seien ukrainische Soldaten. Die Antwort des griechischen Außenministeriums erfolgte prompt: "Die Aussagen der russischen Botschaft sind Fake News".
Schon am Anfang der Ukraine-Krise äußerte die Regierung in Athen ihre Sorge um die griechische Minderheit in Mariupol. Am 31. Januar 2022 war Außenminister Nikos Dendias vor Ort und versicherte den Griechen in der Ostukraine, dass Griechenland sie schützen wolle. In der Tat wurden in Athen Evakuierungspläne geschmiedet für Ukraine-Griechen, die ihre Häuser aufgrund von Kämpfen verlassen müssen. Darüber hinaus forderte Dendias bei einem Besuch in Moskau am 18. Februar seinen russischen Amtskollegen Sergej Lawrow auf, die griechische Gemeinde in der Ostukraine zu schützen. Seit dem 22. Februar 2022 ist Mariupol nun umkämpft, niemand in der Stadt ist sicher.
Die "griechischste" Stadt der Ukraine
In der Hafenstadt am Asowschen Meer mit ihren 500.000 Einwohnern leben heute laut der letzten Volkszählung 91.548 Griechen. Neben ukrainisch und russisch sprechen sie einen einmaligen griechischen Dialekt, den sie die "rumische Sprache" nennen. Sie leben seit Jahrhunderten zusammen mit großen armenischen und aserbaidschanischen Minderheiten - und seit 2014 mit vielen ukrainischen Flüchtlingen, die damals vor der russischen Invasion der Krim in die Stadt geflohen sind.
Mariupol heißt auf griechisch die "Stadt Marias". Die Stadt wurde aufgrund eines Dekrets von Katharina der Großen im Jahr 1778 in der Nähe einer Kosakensiedlung gegründet. Sie sollte den Griechen als neue Heimat dienen, als diese von der Krim fliehen mussten, um den Türken auszuweichen, die damals die Halbinsel besetzten. Begonnen hatte die griechische Besiedlung der Ufer des Schwarzen Meeres bereits im 6. Jahrhundert.
Die Wurzeln des Griechentums in dieser Region liegen noch weiter zurück. Schon in der Antike lebten Griechen in Kolonien rund um das Schwarze Meer. Seitdem gibt es eine ununterbrochene Präsenz in der heutigen Ostukraine. Und trotz der russischen Bomben wollen die meisten der Griechen dort bleiben.
Wenn Freunde bomben
Die Kämpfe um Mariupol werden in Griechenland sehr genau verfolgt. Die Toten von Sartanas könnten zu einem deutlichen Wandel in der öffentlichen Meinung über Russland führen. Traditionell ist ein großer Teil der griechischen Gesellschaft gegenüber Russland eher positiv gestimmt, manche sprechen sogar von einer ewigen Freundschaft "mit dem großen blonden Bruder".
Die Mehrheit der Bevölkerung beider Länder gehört der orthodoxen Kirche an. Griechen und Russen haben nie gegeneinander gekämpft. Ioannis Kapodistrias, der 1828 erster Gouverneur des freien griechischen Staates nach der Unabhängigkeit vom Osmanischen Reich wurde, war zuvor Außenminister des zaristischen Russlands gewesen. Auch in jüngster Zeit bemühte sich Griechenland eher als Brücke zwischen dem Westen, dem man sich zugehörig fühlt, und Russland zu fungieren. Athen hatte immer viel Verständnis für die Belange Moskaus.
Damit ist nun Schluss. Drei Tage nach der russischen Invasion in der Ukraine beschloss Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis, den ukrainischen Streitkräften militärische Ausrüstung zu liefern. Das war eine Zäsur. Darüber hinaus schickte Griechenland auch humanitäre Hilfe nach Kiew. Das Material wurde mit zwei Flugzeugen nach Polen geschickt und wird von dort in die Ukraine gebracht.